23.05.2024 - Studien

Wie leistungs(un)fähig ist der deutsche Staat?

von Agnieszka Gehringer


Der Deutsche Bundestag hat so viele Abgeordnete wie noch nie. Das im Jahr 2021 gewählte Parlament zählt 736. Das sind beinahe zwei Dutzend mehr als in der vorigen Legislaturperiode und beinahe 100 mehr als noch im Jahr 2013. Schon damals gehörte der Bundestag zu den größten Parlamenten der westlichen Welt. Dabei lag die gesetzlich vorgesehene Sollgröße bis März 2023 bei 598. Sie wurde mit der Wahlrechtsreform im März 2023 auf 630 hochgesetzt, wobei durch die Neuregelung der Zuteilung sogenannter Überhang- und Ausgleichsmandate die Zahl diesmal verlässlich begrenzt werden sollte.

Neben dem Bundestag wächst die gesamte Bundesverwaltung. Aus dem Bericht des Bundesrechnungshofs an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nach § 88 Absatz 2 BHO vom 5. Mai 2022 unter dem Titel „Stellenmehrung und Stellenschere in der Bundesverwaltung“ geht hervor, dass in der 19. Wahlperiode über 30.000 neue Stellen in der Bundesverwaltung geschaffen wurden. Das entspricht einem Zuwachs von 12 % gegenüber dem Stellensoll vom Beginn der Wahlperiode im Jahr 2017.1

Das starke Wachstum des öffentlichen Sektors wäre prinzipiell gerechtfertigt, wenn die damit einhergehenden Mehrausgaben durch Effizienzgewinne des Staatsapparates gedeckt werden könnten. Das scheint allerdings nicht der Fall zu sein. Es gibt gute Gründe zu behaupten, dass die Aufblähung des Staates nicht selten mit Effizienzverlusten und Performanceproblemen einhergeht. Das schadet nicht nur dem Staatssektor selbst, sondern lastet auf dem ganzen Wirtschaftssystem.

Obwohl das zugrundeliegende Leistungsproblem des Staates breit bekannt ist, ist die öffentliche Debatte darüber sehr fragmentiert. Dies liegt nicht nur daran, dass die verantwortlichen Entscheidungsträger ein unzureichendes Interesse an einer Änderung des Status quo aufweisen, sondern auch daran, dass die Datenlage, die nötig wäre, um die Leistungsfähigkeit des Staates zu erfassen, nur rudimentär und unübersichtlich ist.

Dagegen soll das Interesse an der Frage, wie gut der deutsche Staat wirtschaftet, sehr groß sein. Schließlich bedeutet eine übermäßige Aufblähung des Staates nicht nur eine Abgabenbelastung für die Steuerzahler. Mindestens zwei negative Nebenwirkungen treten zusätzlich ein. Erstens entstehen durch die Ineffizienz des Staates Barrieren für die unternehmerische Aktivität des Privatsektors. Zweitens geht eine damit verbundene Ausgabenerhöhung oft mit einem weiteren Anstieg der Staatsverschuldung einher, wodurch schließlich die Generationengerechtigkeit und daher Nachhaltigkeit unterminiert wird. Ziel dieser Studie ist daher, den Flickenteppich aus Daten und Fakten über die Leistungsfähigkeit des Staates in ein kohärentes Bild zu übertragen.

Leistungsfähigkeit des Staates – ein multidimensionales Konzept

So wie ein ehrgeiziger Sportler seine verfügbaren Ressourcen zur Verbesserung seiner Leistungsstärke optimal einsetzt, um die besten Ergebnisse zu erreichen, sollte auch ein jedes Unternehmen – ob privat oder staatlich – daran interessiert sein, seine Leistungsfähigkeit zu stärken, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Während jedoch die Leistungsstärke eines Sportlers anhand von klardefinierten Maßstäben, wie bspw. Zeit-, Distanz- oder Höhenmessung erfasst werden kann, fällt das Messverfahren bei Unternehmen und mehr noch dem Staat viel komplexer aus. Sie kann aber mit Budget-Effizienz, Produktivität und Performance approximiert werden. Am Ende der Betrachtung dieser drei Merkmale können sinnvolle Rückschlüsse auf das Preis-Leistungsverhältnis des Staates (aus dem Englischen Value for Money) gezogen werden und somit darüber, wie der Staat am besten seine Ressourcen nutzen kann, um Mehrwert zu generieren und erwünschte Ergebnisse zu liefern. Diese analytische Vorgehensweise ist in Abbildung 1 zusammengefasst.

Im Allgemeinen ist Effizienz ein Maß dafür, wie gut die verfügbaren Ressourcen verwendet werden, um gesetzte Ziele zu erreichen. Der Fokus liegt auf der Frage, wie sinnvoll das Budget eingesetzt wird, um preisgünstig die Vorleistungen (Input) zu erwerben. Ein effizienter Herstellungsprozess liegt vor, wenn bei konstantem Output die Produktionskosten minimiert werden. Die daraus resultierende Budget-Effizienz kann im öffentlichen Bereich verhältnismäßig einfach und schnell – durch bspw. Kostenersparnisse für Personal – beeinflusst werden.

Obwohl konzeptuell Effizienz klar und präzise zu sein scheint, bestehen einige Unklarheiten über Ihre Messbarkeit, insbesondere aufgrund der Notwendigkeit, mehrere Inputs und Outputs gleichzeitig zu berücksichtigen. Zu den am weitesten fortgeschrittenen methodologischen Bemühungen, eine Metrik der Effizienz des öffentlichen Sektors zu entwickeln, gehört die sog. Data Envelope Analysis (DEA). Das Ziel dieser Analyse besteht darin, die relative Effizienz verschiedener Entscheidungseinheiten zu messen, indem jede Einheit mit einer vergleichbaren hypothetischen Einheit verglichen wird, die als gewichteter Durchschnitt einer Reihe effizienter Einheiten, einer Referenzgruppe, gebildet wird.2 Allerdings ist die Methode rein mathematisch, was mehrere Probleme, wie beispielsweise die mangelnde Beachtung der statistischen Signifikanz der zugrundeliegenden Input-Output Beziehung, mit sich bringt. Dazu finden die Berechnungen der Effizienz nach diesem Verfahren nicht flächendeckend statt. Aus diesen Gründen erscheint Blick auf das Konzept der Produktivität attraktiver.

Die Produktivität geht der Frage nach, wie viel Output eine jede Inputeinheit leistet. Sie wird üblicherweise anhand des Verhältnisses zwischen den erzielten Ergebnissen (Output) und den eingesetzten Ressourcen (Input) gemessen.3 Eine Verbesserung der Produktivität kann daher entweder durch einen Anstieg des Outputs, einen Rückgang des Inputs oder aus beiden Vorgängen gleichzeitig erreicht werden. Obwohl Produktivitätsgewinne grundsätzlich vorteilhalft sein dürften, sind sie besonders dann erwünscht, wenn sie sich aus Qualitätsverbesserungen im Herstellungsverfahren ergeben.4

Obwohl die Messung der Produktivität sehr intuitiv erscheint, ist ihre praktische Umsetzung besonders für den öffentlichen Sektor alles andere als trivial. Das Hauptproblem besteht in der korrekten Erfassung der öffentlichen Outputs. Dies ist nicht nur weil für die meisten öffentlichen Leistungen keine Marktpreise beobachtet werden können, sondern auch weil die vergleichbaren Transaktionen auf diesen Leistungen unterschiedlich erfasst werden. Die Heterogenität führt zu Schwierigkeiten bei der Trennung von Quantitäts- und Qualitätsschwankungen und bei der Festlegung von Einheitspreisen für vergleichbare Dienstleistungen. Aufgrund dieser Schwierigkeiten haben die statistischen Ämter in vielen Ländern die sog. Input-Methode zur Messung von Output angewendet, bei welcher die Messung des Outputvolumens lediglich anhand der Erfassung der dafür verwendeten Inputs erfolgt. Die direkte Folge dieser Methode ist, dass damit die Berechnung der Produktivität nicht möglich ist, da Input gleich Output stets ein Verhältnis von Eins zwischen den beiden impliziert. Das Statistische Bundesamt hat deshalb eine einfache Annahme eines jährlichen Produktivitätsanstiegs im öffentlichen Sektor von 0,5 % zugrunde gelegt.

Aufgrund dieser Problematik wurden alternative Methoden der sog. direkten Outputmessung entwickelt, wobei die Mengenangaben für einzelne messbare Dienstleistungen durch geeignet gewählte Gewichte in einen aggregierten Outputindikator erfasst werden. Diese Methode ist besonders für individuell zurechenbare Dienstleistungen – solche also die unmittelbar für einzelne Nachfrager bereitgestellt werden, wie z.B. Erziehung – geeignet. Problematisch ist der Fall von kollektiven Dienstleistungen, die nicht für den Einzelnen, sondern für die Allgemeinheit erbracht werden und eine individuelle Transaktion zwischen Staat und Individuum nicht beobachtbar ist.

Die Europäische Kommission hat in diesem Zusammenhang im Jahr 2002 beschlossen, die statistischen Methoden nach einem A/B/C-Schema zu klassifizieren, wobei A-Methoden als am geeignetsten, B-Methoden als zulässig und C-Methoden als grundsätzlich unzulässig eingestuft werden. Entsprechend wurde die Input-Methode als C-Methode klassifiziert und deren Verwendung ab dem Jahr 2006 – mit Ausnahme für kollektive Leistungen – für nicht zulässig erkläret. Diese Empfehlungen wurden in Deutschland im Zuge der Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen vom Jahr 2005 teilweise umgesetzt.

Schließlich muss jedoch nicht alles, was effizient oder produktiv erwirtschaftet wird, auch zu erwünschten Ergebnissen führen. Vor diesem Hintergrund kann der Blick auf das Konzept der Performance hilfreich sein, die die Wirkung der erzielten Ergebnisse in den Fokus stellt und damit die Effektivität der ergriffenen Maßnahmen in Hinblick auf die Zielerreichung hinterfragt. Während also der Fokus bei Produktivität auf das Output und damit eher auf das „Was“ liegt, hat bei der Performance das Outcome – also das „Wie“ – eine größere Bedeutung. So kann es beispielsweise wichtig sein, die Aktivitäten eines Krankenhauses nicht nur anhand der Anzahl der durchgeführten Operationen pro Inputeinheit, sondern auch im Hinblick auf ihren Erfolg zu betrachten. Analog dazu ist die Bürokratie zwar ein notwendiger Bestandteil der Verwaltung eines Staates, insbesondere in komplexen Gesellschaften, aber eine zu komplexe und schwerfällige Bürokratie verlangsamt die Entscheidungsfindung, verhindert eine wirksame Kommunikation und das Erreichen von Zielen. Eine effektive Regierung sollte daher bestrebt sein, eine ausgewogene Bürokratie aufrechtzuerhalten, die die Notwendigkeit der Verwaltung und Regeln mit der Effizienz und Flexibilität vereint, um den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden.

Was sagen die Daten über die Leistungsfähigkeit des deutschen Staates?

Der multidimensionale konzeptuelle Rahmen zur Betrachtung der Leistungsfähigkeit des Staates erfordert einen breiten Blick auf die Daten, die die drei zugrundeliegenden Konzepte abbilden.

Effizienz

Beim Thema Budget-Effizienz hat das Bundesministerium der Finanzen im Jahr 2015 das Verfahren der sog. Spending Reviews auf Bundesebene etabliert. Seitdem sind Spending Reviews ein Bestandteil des regierungsinternen Verfahrens zur Aufstellung des Bundeshaushalts. Allerdings werden jedes Jahr unterschiedliche Schwerpunkte dem Review zugrunde gelegt. So wurde im Abschlussbericht aus dem Jahr 2022 die Verknüpfung von Nachhaltigkeitszielen mit dem Bundeshaushalt 2021/2022 untersucht. Ein Jahr zuvor haben sich die BMF-Experten dagegen mit „Weiterbildung, Wiedereinstieg, Existenzgründung“ auseinandergesetzt. Der ständige Wechsel der Schwerpunktthemen impliziert, dass sich daraus kein konsistentes und einheitliches Bild über die Entwicklung der Budget-Effizienz im Zeitablauf ergeben kann. Darüber hinaus handelt es sich hierbei um ein regierungsinternes Verfahren, sodass der Öffentlichkeit lediglich ein Abschlussbericht ohne eine umfassende und konsistente Datenanalyse zur Verfügung steht. Beispielsweise begrenzt sich der Bericht aus dem Jahr 2022 auf eine Handvoll Verbesserungsvorschläge zur Messung von Effektivität und Effizienz der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele, unter deren bspw. eine vage Formulierung, „[d]ie Genderwirkung (…) als ein herausgehobenes Ziel“ (BMF 2022, S. 3) zu berücksichtigen, ihren Eintrag in den Bericht gefunden hat.5

Produktivität

Am weitesten entwickelt ist die Messung der Produktivität des Staates. Auch der Sachverständigen Rat zur Begutachtung der Wirtschaftlichen Entwicklung beobachtet regelmäßig in seinem Jahresgutachten die Produktivitätsentwicklung. Allerdings fehlt dort bisher komplett die Einschätzung zum öffentlichen Sektor. Dagegen errechnet das Statistische Bundesamt auf Grundlage der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen drei Produktivitätsindikatoren – Arbeits-, Kapital- und Multifaktorproduktivität – u. a. für den Bereich der öffentlichen Dienstleister, Erziehung und Gesundheit.6

Arbeitsproduktivität stellt das bekannteste Einzelfaktorproduktivitätsmaß dar. Sie wird berechnet als das Verhältnis zwischen dem Output – in der Regel gemessen durch die preisbereinigte Bruttowertschöpfung (BWS) für einzelne Wirtschaftsbereiche – und dem Arbeitseinsatz.7 Der Letztere kann über die Anzahl der Erwerbstätigen oder der geleisteten Arbeitsstunden gemessen werden. Es gibt eine Übereinstimmung darüber, dass die letzte Größe – insbesondere für Deutschland, aufgrund der großen Bedeutung der Teilzeit- und Kurzarbeit – zielführender ist. Für die Messung der Leistungsfähigkeit einer Wirtschaft dürfte jedoch Produktivität pro Erwerbstätigen nicht weniger bedeutend sein, weil sie die tatsächlich verfügbaren (Arbeits)Ressourcen berücksichtigt. Damit sind künstliche Anstiege der Produktivität durch Arbeitszeitverkürzungen ausgeschlossen.

Die Kapitalproduktivität wird analog zu Arbeitsproduktivität berechnet, wobei der Output ins Verhältnis zum Kapitalstock gesetzt wird. Dagegen setzt Multifaktorproduktivität den Output nicht in Relation zu einem einzelnen Produktionsfaktor, sondern zum kombinierten Einsatz der Produktionsfaktoren, üblicherweise Arbeit und Kapital. Der resultierende Indikator reflektiert den kombinierten Einfluss der Produktionsfaktoren auf den Output.

Die Entwicklung der Arbeitsproduktivität des öffentlichen Sektors seit 1994 zeigt ein ernüchterndes Bild. Während die Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigenstunde bis 2002 (je Erwerbstätigen nur bis 1998) gestiegen ist, war ihre Entwicklung seither enttäuschend. Zwischen 2004 und bis zur Europäischen Staatsschuldenkrise (2012) lag ihre Wachstumsrate im Durchschnitt bei 0,3 % (-0,3 % für die Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigen). Nach der Europäischen Staatsschuldenkrise ist sie im Durchschnitt um -0,1 % jährlich (-0,5 % bei der Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigen) geschrumpft. Grundsätzlich ist ein Abwärtstrend im Arbeitsproduktivitätswachstum seit der Großen Finanzkrise zu beobachten (Abb. 2). Dies ist insofern bemerkenswert, dass der öffentliche Sektor einen immer weiter steigenden Anteil der Erwerbstätigen beschäftigt, die somit dem Rest des Wirtschaftssystems nicht mehr zur Verfügung stehen. Während der Anteil der Erwerbstätigen im öffentlichen Sektor als prozentualer Anteil an den Erwerbstätigen im Jahr 1991 bei 20,8 % lag, wuchs er seitdem beinahe ununterbrochen, bis ein Allzeithoch von 26,2 % im Jahr 2023 erreicht wurde (Abb. 3).

Das Bild über die vergangene Entwicklung der Kapital- und Multifaktorproduktivität8 ist gemischter. Zwischen der Euro-Einführung und der Großen Finanzkrise ist eine längere Abwärtstendenz sowohl bei der Kapitalproduktivität als auch beim Multifaktorproduktivitätswachstum zu beobachten. Danach folgte ein zyklischer aber tendenziell schwacher Verlauf (Abb. 4). Im Durchschnitt seit 2006 lag das Wachstum der Kapitalproduktivität des Staatssektors bei 0,1 % und der Multifaktorproduktivität bei 0 %.

Neben der am häufigsten analysierten Arbeitsproduktivität kann ein Blick auf die Produktivität der öffentlichen Ausgaben sehr nützlich sein.9 Diese wird als der Quotient zwischen der Bruttowertschöpfung des öffentlichen Sektors und den jeweiligen Ausgabenaggregaten gemessen. Die Evidenz zeigt eine fallende Tendenz der Produktivität der öffentlichen Ausgaben seit mindestens 2017, wobei die Produktivität der Ausgaben für Anlageinvestitionen bereits seit 2014 rückläufig ist (Abb. 5). Es scheint also, dass jeder Euro der Staatsausgaben, die sich nominal zwischen 2004 und 2022 nahezu verdoppelt haben (Abb. 5), seit einigen Jahren immer weniger Mehrwert generiert.

Performance

In den offiziellen deutschen Statistiken wird weder die Performance noch die Effektivität des Staatssektors erfasst. Dagegen befasst sich die Weltbank seit 1996 mit der Messung der Governance in über 200 Ländern, anhand derer die Entwicklung der Staatsperformance sich gut approximieren lässt. Besonders zwei von den insgesamt sechs gemessenen Governance-Dimensionen – Government Effectiveness und Regulatory Quality10 – dürften dafür geeignet sein. Insbesondere misst die Governance Effectiveness die Wahrnehmung über die Qualität der öffentlichen Dienstleistungen in der Politikgestaltung und -umsetzung, den Grad der Unabhängigkeit des öffentlichen Dienstes von politischem Druck und die Glaubwürdigkeit des Engagements der Regierung. Regulatory Quality erfasst die Wahrnehmung der Fähigkeit der Regierung, solide Politiken und Vorschriften zu formulieren und umzusetzen, und zwar solche, die die Entwicklung des Privatsektors ermöglichen und fördern. Die jüngsten Entwicklungen der beiden Indizes für Deutschland bestätigen einen Abwärtstrend seit ca. 2016, welcher bereits bei der Produktivität beobachtet wurde.

Diese Evidenz scheint sich in der Forsa-Umfrage für den Gewerkschaftsdachverband DBB Beamtenbund und Tarifunion zu widerspiegeln. Im Jahr 2023 hielten 69 % der Befragten den Staat für überfordert, seine Aufgaben zu erfüllen und Probleme zu lösen – beinahe 30 % mehr als noch im Jahr 2020 (Abb. 7).

Eine Erklärung für die rückläufige Effektivität des Staates in der öffentlichen Wahrnehmung kann in den hohen und tendenziell steigenden Bürokratiekosten liegen. Bürokratie per se muss nichts Schlimmes sein, wenn sie das Ausführen von notwendigen Verwaltungstätigkeiten impliziert. Oft wird dennoch Bürokratie als belastend empfunden, weil sie durch ein Übermaß an Vorschriften zu hohen Kosten und einem erheblichen Zeitaufwand für die Betroffenen führen. Für die Messung der Gesetzesfolgen und des damit verbundenen zeitlichen und sachkostenbezogenen Belastungsgrades wird der Erfüllungsaufwand erfasst. Die Bundesregierung ist verpflichtet, die im Zuge der Anpassung der rechtlichen Regelungen entstehende Veränderung des Erfüllungsaufwands zu ermitteln.11 Dabei wird zwischen dem laufenden (jährlich auftretenden) und dem einmaligen Erfüllungsaufwand (Umstellungsaufwand) unterschieden und die beiden Aufwandkategorien für drei Normadressaten – Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft und Verwaltung – gemessen.

Im Durchschnitt zwischen 2012 und 2022 entstand der Wirtschaft jährlich eine zusätzliche Belastung beim Befolgen von neuen Gesetzen von 863 Mio. Euro beim jährlichen und von 2.375 Mio. Euro beim einmaligen Erfüllungsaufwand. Ähnlich sieht die Entwicklung in der Verwaltung aus: die durchschnittliche jährliche Belastung im selben Zeitraum betrug 774 Mio. Euro beim jährlichen und 1.710 Mio. Euro beim einmaligen Erfüllungsaufwand. Vor allem die Kategorie der einmaligen Befolgungskosten verursacht kontinuierlich höhere Kosten für die Wirtschaft und Verwaltung (Abb. 8).12

Fazit

Die Datengrundlage zur Messung der Leistungsfähigkeit des deutschen Staates ist begrenzt und fragmentiert. Vor allem bei der Messung der Budget-Effizienz ergibt sich ein gewaltiges Verbesserungspotential. Der aktuell verwendete Messungsrahmen des BMF eines Spending Reviews deutet auf mehrere analytischen Ineffizienzen hin. Erstens verhindert der ständige Wechsel der Schwerpunktthemen in den jährlichen Berichten eine konsistente Bewertung der Budget-Effizienz. Er lenkt vielmehr von der eigentlichen Budget-Effizienz ab. Die Herstellung eines konsistenten Bildes ist auch dadurch erschwert, dass der thematische Fokuswechsel eine ständige Anpassung der zuständigen Arbeitsgruppe erfordert. Zweitens werden im Zuge des Spending Reviews keine konkreten und greifbaren Zahlen ausgearbeitet, welche das Monitoring der Budget-Effizienz im Zeitablauf ermöglichen würden.

Die bisher verfügbare Evidenz zur Einschätzung der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Sektors deutet jedoch darauf hin, dass der deutsche Staat in den vergangenen Jahren in seiner Leistungsfähigkeit Einbußen zu verzeichnen hat. Sowohl die Produktivitäts- als auch Performanceindikatoren zeigen seit circa 2016 eine kontinuierliche Abwärtstendenz. Diese Entwicklung dürfte insofern bedenklich sein, dass sie mit einer steigenden Präsenz und Durchdringung des Staates in der Wirtschaft einhergeht. Eine fallende Leistungsfähigkeit des Staates stellt wiederum ein Hindernis und eine Belastung für die Funktionsweise der privaten Wirtschaft dar.

Leider führen oft die Schwierigkeiten des Staates bei der Erfüllung seiner Aufgaben zum Ruf nach einer verstärkten Personalaufstockung. Alternativ wird die Digitalisierung der Verwaltung gefordert. Diese ist zwar dringend nötig, kann die Produktivität der Staatstätigkeit jedoch nur geringfügig steigern. Das grundlegende Problem ist, dass der Staat seinen eigentlichen Tätigkeitsbereich, die Schaffung verlässlicher gesetzlicher Rahmenbedingungen und öffentlicher Infrastruktur für den Privatsektor, vernachlässigt und zunehmend „gestalterisch“ in Wirtschaft und Gesellschaft eingreift. Die Übergriffigkeit des Staates in andere Bereiche führt zur Zentralplanung und Bürokratenherrschaft, die seit jeher mit Produktivitätsverlusten für die Wirtschaft verbunden waren. Nicht mehr Staat und dessen Digitalisierung, sondern weniger Staat wäre nötig. Doch dafür fehlt den Regierenden wohl die Einsicht.


1 Der Bericht ist abrufbar unter: https://www.bundesrechnungshof.de/SharedDocs/Downloads/DE/Berichte/2022/stellenschere-bundesverwaltung-volltext.pdf?__blob=publicationFile&v=1

2 Farrell, M. J. (1957), „The measurement of productive efficiency”. Journal of the Royal Statistical Society, Series A, 120, 253-90.

3 Dabei kann sich Output auf die Herstellung von Waren oder Dienstleistungen sowie auf organisatorische Abläufe, wie Budgetierung oder Zahlung, beziehen.

4 Produktivität steht in enger Verbindung zur Effizienz. Allerdings ist die Übereinstimmung zwischen den beiden Konzepten nicht perfekt. So kann ein Unternehmen zwar eine hohe Produktivität aufweisen, aber ineffizient in der Art und Weise sein, wie seine Ressourcen eingesetzt werden, wenn bspw. das Output mit Einsatz von Überstunden erzeugt wird.

5 Siehe BMF (2022), „Abschlussbericht: Verknüpfung von Nachhaltigkeitszielen mit dem Bundeshaushalt“, abrufbar unter: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Broschueren_Bestellservice/abschlussbericht-spending-review-nachhaltig.pdf?__blob=publicationFile&v=3

6 Kuntze, P. & Kuckelkorn, B. (2021), „Multifaktorproduktivität in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen“, Statistisches Bundesamt, WISTA.

7 Die BWS des Staates wird durch Markt- und Nicht-Marktproduktion geschaffen, wobei die Letztere den Löwenanteil ausmacht, und wird nach der Input-Methode erhoben. Demnach werden die Arbeitsnehmerentgelte, die anderen Produktionssteuern abzüglich der anderen Subventionen, und der Kapitalkonsum aufsummiert. Detaillierte methodologische Hintergründe dieser Methode wurden ausführlich beschrieben in Destatis (2022) „National Accounts: ESA 2010 methods and sources for the German GNI and its components”, Federal Statistical Office.

8 Multifaktorproduktivität wird vom Statistischen Bundesamt ausschließlich in jährlichen Wachstumsraten ausgewiesen.

9 Für eine ausführliche Analyse darüber, siehe Gehringer, A. (2023), „Den Staat nicht überfordern!“, Flossbach von Storch Research Institute, abrufbar unter: https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/studien/den-staat-nicht-ueberfordern/

10 Es handelt sich um die zusammengesetzten Maßstäbe für Governance, die in Einheiten einer Standardnormalverteilung mit einem Mittelwert von Null und einer Standardabweichung von eins berechnet sind und reichen von -2,5 bis 2,5, wobei höhere Werte einer besseren Governance entsprechen.

11 Die Ergebnisse über die Entwicklung des Erfüllungsaufwands werden im Jahresbericht „Bessere Rechtnutzung“ von der Bundesregierung veröffentlicht.

12 Auch für die Bürgerinnen und Bürger verursachen die neuen Gesetze in der Regel zusätzliche Kosten, obwohl niedriger als für die Wirtschaft und Verwaltung. Diese lagen bei 68 Mio. Euro für die jährliche bzw. 169 Mio. Euro für die einmalige Belastung.