25.03.2020 - Kommentare

Befinden wir uns in der Corona-Blase?

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Ökonomen verwenden für die Beschreibung von Finanzmarktblasen den Wortschatz von Epidemiologen. Eine neue Idee oder Innovation „steckt die Marktteilnehmer an“, Anleger werden „infiziert“ von Gier und das „Fieber“ breitet sich aus. Platzt die Illusion, sind die Investoren vorerst „geheilt“.  Der Verlauf der Preiskurve in einer Blase gleicht der Glockenkurve in einem klassischen Infektionsmodell. Der britische Finanzhistoriker Edward Chancellor hat die weltweiten Reaktionen auf das Coronavirus mit einer invertierten Spekulationsblase verglichen. Statt Gier geht der Pessimismus viral. Das Platzen der Blase würde in diesem Fall bedeuten, dass die Wirtschaft schnell wieder hochgefahren wird.  Mit Blick auf den Verlauf der letzten Wochen könnte sich die These bestätigen.

Die bestimmenden Narrative der letzten Wochen

Marktpreise sind von der subjektiven Interpretation neuer Fakten und gemeinsamer Narrative geprägt. Dominante Narrative prägen die Marktpreise, bis ihr Sieg durch die Fakten bestätigt wird, oder sie durch Faken widerlegt und durch neue Narrative ersetzt werden. Diese Theorie der „Discovering Markets“1 lässt sich aktuell unter dem Eindruck des Coronavirus wie durch ein Brennglas beobachten. Die Krise kennt bisher vier Narrative, die zum Absturz der Kapitalmärkte geführt haben.

  1. Das Virus ist ein chinesisches Phänomen. (15.01 – 23.02.)
  2. Das Virus ist in Europa, aber mit Vorsichtsmaßnahmen kontrollierbar. (24.02-12.03)
  3. Nur ein Shutdown kann die Ausbreitung des Virus verlangsamen, Kosten spielen keine Rolle. (13.03-22.03.)
  4. Die Kosten der Maßnahmen dürfen nicht die Kosten des Virus übersteigen. (23.03.-?)

Kampf zwischen Narrativ 3 und 4 entscheidet über den weiteren Verlauf. Gewinnt Narrativ 4 stehen die Zeichen auf Erholung. Das rettende fünfte Narrativ wäre dagegen die Entdeckung eines wirksamen und massentauglichen Medikaments oder Impfstoffs.

Relativ lange Zeit blieben die Märkte unbeeindruckt vom Coronavirus. Bis Mitte Februar wurde das Virus als ein chinesisches Problem wahrgenommen, das bald von den Behörden vor Ort unter Kontrolle gebracht würde. Entsprechend war die Sorge der Menschen vor allem in China groß.2 Diese Interpretation wurde durch den Ausbruch des Coronavirus in Italien widerlegt. Zwar stiegen in Deutschland und etwas verhaltener auch in den USA die Sorgen vor einer Pandemie an, aber massiv einschneidende Maßnahmen wie Ausgangssperren waren noch kein realistisches Szenario. Das änderte sich in der Woche zwischen dem 09. und 13. März als die Fallzahlen das Gesundheitssystem in Italien überlasteten und auch in anderen Ländern die Infektionskurve exponentiell anstieg. Der Pessimismus ging viral. Das herrschende Narrativ der darauffolgenden Woche lautete: Wir müssen das gesamte System runterfahren und „Social Distancing“ durchsetzen, um die Kontaktrate so gering wie möglich zu halten. Damit sollte die Infektionskurve abgeflacht werden. Kosten, insbesondere ökonomische, spielten keine Rolle. Staaten versprachen ausreichende Unterstützung, Haushaltsregeln wurden ausgesetzt. Dieses dritte Narrativ ist bis heute vorherrschend und wird von Politikern und Virologen bestimmt. Der Höhepunkt dieser Blase war am Wochenende vom 21.03-22.03. erreicht, als weltweit Ausgangssperren und Kontaktverbote durchgesetzt werden.

Mit neuen Narrativen könnte die Blase platzen

Seit dieser Woche gibt es ein neues Narrativ, das gegen das dritte Narrativ den Kampf aufgenommen hat. Es lautet: Die Kosten der Maßnahmen gegen das Virus dürfen nicht schädlicher sein als das Virus selbst. Das bedeutet, die gesellschaftlichen Kosten dürfen nicht unterschätzt und das Virus nicht überschätzt werden. Die Pessimismus-Blase platzt zum einen, wenn sich herausstellt, dass das Virus sehr viel weniger tödlich ist als gedacht. Zum anderen könnte auch die Erkenntnis, dass die Maßnahmen potentiell einen zu großen Schaden in der Bevölkerung anrichten, die Pessimismus-Blase patzen lassen und zu einem Narrativwechsel führen.

Setzen sich diese neuen Narrative in der öffentlichen Debatte durch, könnten Marktteilnehmer neue Hoffnung schöpfen. Kommt das Gesundheitssystem aufgrund der absoluten Fallzahl schwerer Verläufe weiter an die Belastungsgrenze, behält Narrativ 3 die Herrschaft und die Pessimismus-Blase wächst weiter.

Eine wirkliche Befreiung der Märkte vom Coronavirus kann Narrativ 5 bieten: Es gibt ein wirksames Medikament oder einen wirksamen Impfstoff der in ausreichender Menge produziert werden kann.


1Marius Kleinheyer/ Thomas Mayer (2019) Discovering Markets

2 Google wird in China trotz Firewall von vielen Menschen benutzt.