06.06.2024 - Kommentare

Was sind die wirtschaftlichen Kosten der globalen Erwärmung? Wir wissen es nicht

von Pablo Duarte


Eine neue Studie zweier Ökonomen kommt zu dem Schluss, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen steigender globaler Durchschnittstemperaturen enorm sein können. Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass ihre Ergebnisse diese Schlussfolgerung nicht hergeben. Alles in allem wissen wir es nicht, so die wirkliche Botschaft der Untersuchung. Diese Unwissenheit sollte in der Medienberichterstattung berücksichtigt werden.

Wir wissen, dass wir es nicht wissen

Der jüngste Bericht des „Intergovernmental Panel on Climate Change“ (IPCC-Bericht AR6) fasst die wirtschaftlichen Auswirkungen der globalen Erwärmung auf das BIP wie folgt zusammen: “Estimates of the global effects of climate change on aggregate measures of economic performance and gross domestic product (GDP) range from negative to positive, in part due to uncertainty in how weather variability and climate impacts manifest in GDP.”1

Eine kürzlich erschienene Studie zweier an US-amerikanischen Universitäten tätigen Ökonomen kommt dagegen zu dem Schluss, dass „ein Anstieg der globalen Temperatur um 1°C zu einem Rückgang des weltweiten BIP um 12 % führt“.2 Der enorme negative Effekt hat eine breite Medienberichterstattung ausgelöst, wohl nicht nur wegen der über den Konsens hinausgehenden Dramatik, sondern auch, weil dadurch ein dringender politischer Handlungsbedarf suggeriert wird. Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch, dass die Untersuchung keine über die Zusammenfassung des IPCC hinausgehende Erkenntnisse bringt.

Woher kommt der riesige Effekt?

Die Autoren verfolgen einen einfachen Zeitreihen-Ansatz, um die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf das globale BIP zu schätzen. Sie untersuchen die gemeinsamen Bewegungen sogenannter „Temperaturschocks“ mit späteren Veränderungen des Wachstums des globalen BIP pro Kopf. Die Temperaturschocks (Abbildung 1) sind definiert als Abweichungen von der langfristigen globalen Trendtemperatur, die seit den 1950er Jahren zunimmt (Abbildung 2). Die Autoren führen mehrere lineare Regressionen des jährlichen globalen BIP-Wachstums pro Kopf auf die globalen Temperaturschocks durch und erhöhen jedes Mal den zeitlichen Abstand zwischen dem Temperaturschock und dem Wachstum, um die zeitlichen Auswirkungen des Schocks zu erfassen. Dieser Ansatz ermöglicht es ihnen, den Effekt eines Temperaturschocks über einen Zeitraum von 10 Jahren zu schätzen. Dieser Prozess der wiederholten Regressionen mit zunehmendem zeitlichem Abstand ist das Kernstück der “Local Projections”-Methode.3 Sie fügen außerdem Dummy-Variablen für die Jahre globaler Wirtschaftskrisen sowie weitere Kontrollvariablen, die nicht näher spezifiziert werden, hinzu.4

Abbildung 3 zeigt das Hauptergebnis ihrer statistischen Analyse, aus dem die enormen Auswirkungen der globalen Erwärmung auf das Wachstum abgeleitet werden. Die dunkelblaue Linie zeigt die Punktschätzung des Koeffizienten des Temperaturschocks in jeder der linearen Regressionen für die Zeitspanne zwischen dem Schock und dem Effekt auf das Wachstum. Daher kann jeder Datenpunkt, der der blauen Linie entspricht, als die Auswirkung eines Temperaturschocks von einem Grad Celsius auf das globale Wachstum t Jahre später interpretiert werden. Die geschätzten Auswirkungen nach sechs Jahren sind mit einem Wachstumseffekt von 12 Prozentpunkten am größten.

Nuancierte Interpretation der Ergebnisse

Die Lesart der Autoren ist aus mindestens zwei Gründen übertrieben. Erstens ist es unrealistisch, eine Abweichung von 1°C über den langfristigen Trend in einem Jahr als Benchmark-Vergleichsschock zu wählen. Die Erdtemperatur ist seit 1982 um 0,20°C pro Jahrzehnt gestiegen, also um etwa 0,02°C pro Jahr. Ein „Temperaturschock“ von 1°C würde bedeuten, dass in einem Jahr die Durchschnittstemperatur der Erde um 1,02°C höher sein müsste als im Vorjahr. Das klingt unglaubwürdig. Die eigenen Berechnungen der Autoren zeigen, dass die maximale Schockgröße nur einmal leicht über 0,2°C lag (Abbildung 1). Die Autoren erwähnen dieses Ausmaß, behaupten aber, dass Schocks im Laufe der Zeit kumuliert werden können, um den Anstieg um 1°C zu erreichen. Da das Modell mit Jahresdaten geschätzt wurde, ist diese Interpretation der Schätzergebnisse jedoch unzulässig. Außerdem folgen auf positive Schocks in der Regel negative Schocks (Abbildung 1), die sich positiv auf das Wachstum auswirken können. Für eine realistische Interpretation der Ergebnisse müsste man die Größe des Schocks durch 10 teilen, um eine plausible Schockgröße von 0,1°C über dem Trend zu erhalten. Dann würde der Effekt auf das BIP nicht 12 %, sondern 1,2 % betragen.

Zweitens könnte der Effekt viel kleiner oder sogar null sein. Wie bei jeder Schätzung gibt es Unsicherheiten, weshalb auch ein Konfidenzintervall geschätzt wird. Interessanterweise zeigen die Autoren nicht die üblichen 99 %, 95 % und 90 % Konfidenzintervalle, sondern nur 90 % und 68 %. Die Autoren erklären nicht warum, aber man kann vermuten, dass sie keine zu breiten Konfidenzbänder zeigen wollten, die die Null enthalten und die Ergebnisse statistisch insignifikant machen würden. Vermutlich schließt das 99 %-Band sogar die Null ein. Daher könnte der Effekt 1,2 % oder auch null betragen. Im Anhang testen die Autoren die Empfindlichkeit der Ergebnisse gegenüber Änderungen in der Spezifikation des Modells und zeigen Schätzungen, bei denen die Null sogar innerhalb des 90 %-Konfidenzbandes liegt (Abbildung 4).

Alles in allem liefert diese Analyse einen überschaubaren Effekt eines Temperaturschocks. Geht man von plausiblen Temperaturänderungen aus, ist der Effekt allenfalls moderat. Die Unsicherheitsmarge bei der Schätzung lässt sogar zu, dass Temperaturschocks keine Auswirkungen auf das Wachstum der Wirtschaft haben könnten.

Schlussfolgerung

Die jüngste Studie von Bilal & Känzig (2024) hat viel Aufmerksamkeit erregt, weil sie dem Konsens über einen vernachlässigbaren Wachstumseffekt durch die globale Erwärmung zu widersprechen scheint. Die Studie wurde jedoch – vermutlich mit politischen Hintergedanken - falsch interpretiert. Die Ergebnisse passen in Wirklichkeit zu der eher unspektakulären Einschätzung des IPCC in seinem letzten Bericht (AR6): Wir wissen nicht, wie sich der Klimawandel auf das Wachstum auswirkt.

Die komplexen Phänomene, die im Mittelpunkt der Klima- und Wirtschaftsdebatten stehen, werden immer als einfache Fragen mit einer einzigen zutreffenden Antwort dargestellt.5 Wie der Wissenschaftler und ehemaliger Berater der US-Regierung von Obama Steven Koonin (2021) anschaulich darstellte, wird die Unsicherheit, die die Klimawissenschaft umgibt, von den Medien und der Politik oft falsch dargestellt, entweder aufgrund mangelnden Wissens darüber, was die Klimawissenschaft sagt, oder aufgrund von politischen Ideologien und Interessen. Die Studie von Bilal & Känzig (2024) hat ein hohes Potenzial für ideologischen und politischen Missbrauch, insbesondere weil die Autoren selbst die Unsicherheit ihres empirischen Hauptergebnisses verschleiern.  Aber ohne diese Verschleierung hätte diese Analyse kaum das Medienecho bekommen, das die Autoren anscheinend anstrebten.


Referenzen

Bilal, A., & Känzig, D. R. (2024). The Macroeconomic Impact of Climate Change: Global vs. Local Temperature (No. w32450). National Bureau of Economic Research.

Jordà, Ò. (2005). Estimation and inference of impulse responses by local projections. American economic review, 95(1), 161-182.

Koonin, S. E. (2021). Unsettled: What climate science tells us, what it doesn't, and why it matters. BenBella Books.


1 Siehe IPCC, 2022: Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability. Contribution of Working Group II to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [H.-O. Pörtner, D.C. Roberts, M. Tignor, E.S. Poloczanska, K. Mintenbeck, A. Alegría, M. Craig, S. Langsdorf, S. Löschke, V. Möller, A. Okem, B. Rama (eds.)]. Cambridge University Press. Cambridge University Press, Cambridge, UK and New York, NY, USA, 3056 pp., doi:10.1017/9781009325844. IPCC_AR6_WGII_FullReport.pdf, S. 54.

2 Siehe Bilal & Känzig (2024). “A 1°C increase in global temperature leads to a 12% decline in world GDP”

3 Siehe Jordà (2005).

5 “In particular, we control for global economic downturns, such as the large oil shocks in the 1970s or the Great Recession, using a set of dummy variables.2 Alternatively, we include a wider set of global macroeconomic and financial variables as additional controls.” (S. 12).

5 Siehe Tofall, N. (2019), Apocalypse now? Klimawandel und Weltuntergang, Flossbach von Storch Research Institute, Kommentar.

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