04.01.2019 - Kommentare
Kurz vor Weihnachten hat die italienische Regierung die erste Runde in ihrem Pokerspiel gegen harte Budgetrestriktionen in der EWU gewonnen. Da nicht nur Italien von diesem Sieg profitiert, sondern zunehmend auch Frankreich und andere Staaten, spricht zur Zeit wenig dafür, daß die vertraglich vereinbarten harten Budgetrestriktionen durchgesetzt werden.
Die italienische Regierung aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung hatte seit ihrem Amtsantritt gefordert, daß erstens die Verschuldungsregeln in der Europäischen Währungsunion geändert werden müssen und daß zweitens die EZB sicherstellen solle, daß die Renditeabstände von Staatsanleihen der Euro-Länder auf eine maximale Differenz von 1,5 Prozentpunkten begrenzt werden. Zur Durchsetzung dieser Forderungen hat die italienische Regierung dann ab August 2018 begonnen, ganz offen und unverblümt gegen die EU-Kommission, die anderen Euro-Länder und die EZB zu spielen. Die Forderung lautet: Gehen die EU-Kommission, die anderen Euro-Länder und die EZB nicht auf unsere Vorstellungen ein, drohen wir mit dem ungeregelten Auseinanderbrechen der Eurozone. Kurz vor Weihnachten hat die italienische Regierung die erste Runde in diesem Spiel bereits gewonnen.
Einige italienische Politiker schreckten nicht davor zurück, den Einsturz der Autobahnbrücke in Genua in Zusammenhang mit den Euro-Verschuldungsregeln zu stellen. Denn diese Regeln würden Italien angeblich die Möglichkeit für sichere Brücken und notwendige Infrastrukturausgaben nehmen und so die Sicherheit der italienischen Bürger gefährden. Da die Sicherheit der italienischen Bürger Vorrang vor den europäischen Verschuldungsregeln hätte, solle sich Italien ab sofort nicht mehr an die europäischen Regeln halten.
Zwar betonte die italienische Regierung noch im August, daß sie im September 2018 einen Staatshaushalt vorlegen wolle, welcher den haushaltspolitischen Empfehlungen entspreche, welche der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister der Europäischen Union – einschließlich Italien selbst – am 13. Juli 2018 beschlossen hatten und welche vom Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs am 28. Juni 2018 gebilligt wurden. Der von Italiens Regierung dann tatsächlich vorgelegte Haushalt widersprach indes massiv der eigenen Ankündigung, was angesichts der teuren Wahlversprechen der Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung auch mehr als wahrscheinlich war. Anstelle von 0,8 Prozent Neuverschuldung sah der Ende September vorgelegte Haushaltsentwurf für 2019 eine Neuverschuldung von 2,4 Prozent vor. Der stellvertretende italienische Ministerpräsident Luigi die Maio von den Fünf-Sternen verkündete bei dieser Gelegenheit:
"Heute gewinnt nicht die Regierung, sondern die Italiener, die uns am 4. März gewählt haben. Und das ist nur der Beginn. Das Haushaltsgesetz öffnet die Türen zum 'Manöver des Volkes', es löscht die Armut aus: Es gibt viele Bürger, Unternehmer, Menschen die arbeiten und unter der Armutsgrenze leben. Viele Steuerzahler werden weniger zahlen. 2,4 Prozent Neuverschuldung bedeutet viel für die Würde der Personen und für den Reichtum der italienischen Familien."
Und der stellvertretende Ministerpräsident Matteo Salvini von der Lega bemerkte:
"Na klar, das Recht von Millionen von Bürgern auf Arbeit, Gesundheit, auf Leben auf Glück ist ein paar Nümmerchen wert."
Da die italienische Regierung trotz wiederholter Aufforderungen durch die EU-Kommission und vieler anderer Euro-Länder, darunter Frankreich, nicht bereit war, Änderungen an ihrem Haushaltsentwurf vorzunehmen, stellte die EU-Kommission am 23. Oktober 2018 in einer offiziellen Stellungnahme fest, daß der von Italien vorgelegte Haushalt für 2019 einen besonders schwerwiegenden Verstoß gegen die haushaltspolitischen Empfehlungen für Italien darstellt, welche der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister der Europäischen Union einschließlich Italien selbst im Juli 2018 beschlossen hatten. Diese Feststellung vom 23. Oktober 2018 bedeutete die offizielle Zurückweisung eines Staatshaushalts eines Euro-Mitgliedsstaates, was bislang einzigartig war. Entsprechend der Verordnung Nr. 473/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates aus dem Jahr 2013 hatte Italien nun bis zum 13. November 2018 Zeit, einen überarbeiteten Haushaltsentwurf vorzulegen. Italien ließ diese Frist verstreichen, schlug im Laufe des Dezembers angesichts eines drohenden Defizitverfahrens jedoch eine Neuverschuldung von 2,04 Prozent anstelle der geplanten 2,4 Prozent vor. Darüber hinaus senkte die italienische Regierung die Annahme für das Wachstum der italienischen Wirtschaft im kommenden Jahr auf 1 % nach zuvor 1,5 %. Zudem sollen das von der italienischen Regierung geplante geringere Renteneintrittsalter sowie das angepeilte Grundeinkommen später kommen und höhere Staatseinnahmen erzielt werden.
Bei nüchterner Betrachtung kann dieser Vorschlag nur als Finte der italienischen Regierung bezeichnet werden, weil er immer noch erheblich von den Vereinbarungen vom Juli 2018 abweicht. Und im Haushaltsvollzug des Jahres 2019 dürfte die Neuverschuldungsgrenze von 2,04 Prozent ohnehin nicht eingehalten werden und im Ergebnis weit darüber liegen. Dennoch hat die EU-Kommission diesen Vorschlag akzeptiert. Das bedeutet, daß die Rechnung der italienischen Regierung aufging und sie den Kampf gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt gewonnen hat. Die Verschuldungsregeln der Europäischen Währungsunion sind nun de facto endgültig außer Kraft gesetzt - und das mit dem Segen der EU-Kommission.
Diesen Segen dürfte die EU-Kommission vor allem deshalb erteilt haben, weil der französische Staatspräsident Macron aufgrund der gewalttätigen Proteste der sogenannten Gelbwesten Seuersenkungen und Ausgabensteigerungen versprochen hat. Frankreich wird deshalb im Jahr 2019 die Budget- und Verschuldungsregeln der Europäischen Währungsunion ebenfalls nicht einhalten. Allgemein steht zu befürchten, daß eine expansive Fiskalpolitik nicht nur in Frankreich und Italien eine zunehmende Rolle zur Bedienung populistischer Interessen und Forderungen spielen werden.
Da bereits heute die hohe Staatsverschuldung von vielen Euro-Ländern nur bei Beibehaltung der Niedrigzinspolitik der EZB getragen werden kann, hat Italien die besten Karten, um auch die nächsten Runden in seinem Spiel gegen die in den EWU-Regeln festgelegte harte Budgetrestriktion zu gewinnen. Italien kann davon ausgehen, daß die EU-Kommission, die anderen Euroländer und die EZB unbedingt verhindern wollen, daß die Eurozone Mitglieder verliert. Und die italienische Regierung weiß genau, daß weder die EU-Kommission noch die anderen Euroländer Italien ohne Hilfe der EZB aus dem Euro werfen können. Erst wenn die EZB die Refinanzierung des überschuldeten italienischen Bankensystems einstellen würde, wäre Italien gezwungen, eine eigene Währung zu emittieren, um sein Bankensystem vor dem Zusammenbruch zu bewahren.
Aber zahlt Italien dann seine ausländischen Euroschulden oder begleicht Italien dann seine Targetverbindlichkeiten? Und bricht die Währungsunion dann nicht ungeordnet auseinander? Das heißt, daß es immer wahrscheinlicher wird, daß Italien auch die nächsten Runden in seinem Spiel gewinnen wird. Zur Durchsetzung seiner Forderungen an die EZB nach Finanzierungshilfe für seinen Staatshaushalt muß Italien nur zu gegebener Zeit - vermutlich nach der Europawahl im Mai 2019 - mit der Einführung einer Parallelwährung oder dem Austritt aus dem Euro und so mit der Möglichkeit des ungeregelten Zusammenbrechens der Eurozone drohen
Das Spiel Italiens würde sich zwar sofort als Bluff erweisen, wenn die EZB ihr „whatever it takes“ widerriefe und die EU-Kommission und die Regierungen der anderen Euro-Länder Austritte aus dem Euro nicht panikartig vermeiden wollen würden. Da aber nicht nur Italien von seinem Spiel profitiert, sondern zunehmend auch Frankreich und andere Staaten, spricht viel dafür, daß der Bluff der italienischen Regierung aufgehen wird. Die Verlierer sind diejenigen Länder, die den Euro vor der fiskalischen Dominanz durch andere schützen wollten, die unfähig sind, harte Budgetrestriktionen einzuhalten.
25.10.2018 - Wirtschaft & Politik
20.09.2018 - Makro
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