21.02.2023 - Studien
Höhere Marktzinsen setzen die Prämien, die Unternehmen einst bei Übernahmen gezahlt haben, unter Druck. Es drohen Abschreibungen.
Lange Jahre war bei der Svenskt Stål AB (SSAB) die Welt in Ordnung. Der schwedische Konzern wuchs, auch mit Übernahmen. In den Jahren 2007 und 2014 kaufte der Stahlspezialist die Konkurrenten Ipsco und Rautaruukki. Dafür ließ SSAB die ein oder andere Krone springen.
Abzulesen ist das am sogenannten Goodwill, einer Position auf der Vermögensseite einer Unternehmensbilanz. Dort finden sich die Aufschläge, die Unternehmen einst bei einer Übernahme auf das danach ermittelte Nettovermögen der neuen Töchter gezahlt hatten. Im Falle von SSAB war das im vergangenen Jahr ein Goodwill von 33,6 Milliarden Schwedischen Kronen.
Doch zum Jahresende schlagen sich nur noch 349 Millionen Kronen oder gut ein Prozent davon in der Bilanz noch nieder. Grund: Der Stahlkonzern hatte zum Jahresende fast alle diese Hoffnungswerte abgeschrieben.
Hoffnungswerte, weil der Goodwill künftige Synergien und Cashflows nach Übernahmen widerspiegeln soll. Die, das wissen Börsianer, lassen sich jedoch nur schätzen. Und Schätzungen unterliegen Fehlern – das weiß jedermann.
Trotz großer Unsicherheit, ob sich Zukäufe auch rechnen werden, dürfen Unternehmen den vollen Kaufpreis (netto, nach Abzug übernommener Schulden) nach Akquisitionen bilanzieren, so erlauben es die Bilanzregeln. Und zwar selbst dann, wenn die Manager hohe Aufschläge auf das Nettovermögen des übernommenen Konzerns zahlen. So etwas kommt regelmäßig vor: als Microsoft sich einst die Handysparte von Nokia einverleibte, bei der deutschen Bayer nach der Übernahme des Saatgutherstellers Monsanto oder bei dem Zusammenschluss der Industriegase-Riesen Linde und Praxair.
Der Goodwill bleibt so lange in der Bilanz, bis sich die Buchwerte nicht mehr halten lassen. Das wäre beispielweise dann der Fall, wenn ein vermuteter Verkaufspreis von Geschäftseinheiten, auf denen der Goodwill bilanziert wurde, nicht mehr an dessen Buchwert heranreicht. Oder wenn sich Geschäftsaussichten so stark eintrüben, dass Planungen für die erwarteten Cashflows mehr oder weniger deutlich zurückgenommen werden müssen.
Beides kommt jedoch fast nur in der Theorie vor. Regelmäßig umschiffen die Unternehmenslenker von akquisitionsfreudigen Unternehmen das Eingeständnis, Töchter zu teuer eingekauft zu haben.
Dafür gibt es den ein oder anderen Kniff. So lassen sich Planungshorizonte verlängern. Und die Geschäftseinheiten, auf denen der Goodwill allokiert ist, lassen sich neu zuschneiden.
Diese Geschäftseinheiten sind häufig ohnehin so konzipiert, dass sich keine damit vergleichbare Markttransaktion finden lässt – wo keine Transaktion, da kein Marktpreis. Ausnahmen bestätigen die Regel. Dass etwa Geschäfte in Russland voraussichtlich dauerhaft viel weniger wert sind als noch vor einigen Jahren angenommen, lässt sich kaum verbergen.
Warum aber hat SSAB abgewertet? Hier kommt eine dritte Komponente ins Spiel, die Finanzchefs keinesfalls ignorieren und schönrechnen dürfen: das aktuelle Marktzinsniveau.
So gab SSAB denn auch als „Hintergrund der Wertminderung gestiegene Zinssätze und eine vorsichtigere Methode bei der Wertminderungsprüfung“ an. Nach der massiven Goodwill-Abschreibung rutschte der Stahlkonzern in die roten Zahlen.
Genau wie SSAB wies zuletzt auch beispielsweise AT&T Verluste aus. Ebenfalls „aufgrund höherer Zinssätze“ schrieb der US-Telefonie-Traditionskonzern zum Jahresende 24,8 Milliarden Dollar auf seinen Goodwill ab. Im vierten Quartal fuhr AT&T deshalb einen operativen Verlust über 21,1 Milliarden Dollar ein.
Doch wie wirkt sich das aktuelle Zinsniveau überhaupt aus auf den Goodwill? Dieser wird im Gegensatz zu anderen Vermögensgegenständen wie etwa dem Fuhrpark oder Immobilien von Unternehmen nur unregelmäßig abgeschrieben. Zwar gab es Pläne, eine bereits bis vor knapp 20 Jahren geltende Regelung der ratierlichen Abschreibung wieder einzuführen;1 doch diese sind inzwischen wieder in der Schublade verschwunden.
Deshalb liegt es weiter in der Hand der Unternehmen, die Werthaltigkeit des Goodwill zu ermitteln. Dabei kam es den Managern zupass, dass die Markzinsen über lange Jahre gefallen sind. In der Zukunft erwartete Cashflows waren deshalb auf den aktuellen Bilanzstichtag diskontiert regelmäßig mehr wert. Das hemmte Abschreibungen.
Nun steigen vielfach die Kosten, die Kunden-Nachfrage ist nicht selten rückläufig, was schon für sich genommen zu einer Schwächung der Cashflow-Erwartungen führen sollte – zumindest in Einzelfällen.
Mit Sicherheit aber reduziert sich der sogenannte Barwert des Cashflows angesichts des spürbar gestiegenen Zinsniveaus. Dieses hatte sich gemessen an Renditen zehnjähriger Unternehmenspapiere mittlerer Qualität vom Tief aus zwischenzeitlich mehr als verdreifacht und verharrte zuletzt auf einem deutlichen erhöhten Plateau (Grafik 1).
Für den Abschluss nach den für kapitalmarktorientierte Konzerne geltenden International Financial Reporting Standards (IFRS) oder US Generally Accepted Accounting Principles (US GAAP) hat das einen erheblichen Einfluss auf die Höhe der Diskontierungssätze.
So ist etwa ein über fünf Jahre erwarteter und in einem Jahr zum ersten Mal, danach einmal jährlich fließender Cashflow von jeweils 100 Millionen Euro oder Dollar bei einem Diskontsatz von einem Prozent aktuell gut 485 Millionen wert. Bei einem Zinssatz von fünf Prozent reduziert sich dieser aktuelle Wert auf knapp 433 Millionen.
Der aus einem solchen Cashflow ermittelte Nutzungswert (Value in use) wird mit dem Buchwert einer Geschäftseinheit verglichen. Fällt der Nutzungswert unter den Buchwert, dann muss zunächst der Goodwill der Geschäftseinheit abgeschrieben werden.
Der in den Planungen der Unternehmen erwartete, mit Marktzinsen abgezinste Cashflow ist also zentral für die Ermittlung der Werthaltigkeit des bilanzierten Goodwill.
Liegt der Buchwert im Beispiel bei 475 Millionen, ergibt sich bei einem Diskontierungssatz von einem Prozent kein Wertminderungsbedarf, da der Nutzungswert ja um zehn Millionen darüber liegt. Bei fünf Prozent Diskontierungszins müsste das Unternehmen jedoch um 52 Millionen (Buchwert von 485 Millionen minus Nutzungswert von 433 Millionen) abwerten.
Je näher die erwarteten Cashflows und der darauf basierende Nutzungswert schon in der Vergangenheit am Buchwert lag, desto mehr steigt das Risiko bei einem erhöhten Marktzins abschreiben zu müssen. Diesen Preis der Zeit dürften viele Unternehmen jetzt oder bald zahlen und könnten damit möglicherweise den ein oder anderen unaufmerksamen Beobachter auf dem falschen Fuß erwischen.
Investoren haben den gerne als „Wackelposition“ bezeichneten Goodwill im Blick – zumindest bei einer ganzen Reihe an Unternehmen. Abzulesen ist das am Börsenwert. Liegt dieser nahe oder gar unterhalb des bilanzierten Goodwill, dann erwartet der Markt eine Abwertung. Investoren misstrauen in diesen Fällen also schon dem Wertansatz des Unternehmens.
Dabei ist wichtig zu wissen: Wenn Konzerne auf ihre Geschäfte abschreiben, dann steht der Goodwill (so vorhanden) immer an erster Stelle einer Abschreibungskaskade. Der Goodwill ist deshalb eine sehr „weiche“ Position bei den auf der Aktivseite bilanzierten Langfristvermögen.
Hat der Markt eine solche Abschreibung bereits antizipiert, abzulesen an einem niedrigen Börsenwert im Vergleich zum Goodwill, dann sind Abwertungen nicht mehr als eine Bestätigung des dann regelmäßig vorherigen Kursrückganges der Aktie des betreffenden Unternehmens.
Doch kommt es auch häufig vor, dass Investoren sich der Gefahr einer Goodwill-Abwertung nicht bewusst sind.
So schrieb etwa der amerikanische Finanzservicedienstleister Fidelity National Information (FIS) am 13. Februar dieses Jahres 17,6 Milliarden Dollar an Goodwill auf den Bereich Merchant Solutions ab. Offenbar erwischte das Anleger auf dem falschen Fuß: jedenfalls spricht der Kursabschlag von 15 Prozent der FIS-Aktie, der sich umgehend nach dieser Nachricht einstellte, dafür.
Gerne argumentieren die Finanzchefs gerade bei hohen Abwertungen auf den Goodwill damit, dass diese nicht cashwirksam seien. So auch FIS in seiner Mitteilung an die Investoren.
Das ist zwar formal korrekt. Allerdings mindern die Abschreibungen das Eigenkapital, und damit anteiligen Vermögenswert (Buchwert) der Anteilseigner an ihrem Unternehmen. Zudem räumen Unternehmen mit einer Goodwill-Abwertung ein, in der Vergangenheit mit dem Geld ihrer Aktionäre nicht sorgsam umgegangen zu sein. Denn cashwirksam war die einstige Übernahme, die zum Goodwill geführt hatte.
Doch welche Rolle spielt der Goodwill in den Unternehmensbilanzen? Gemessen an allen Vermögenswerten spielt diese Position im Durchschnitt zwar keine überragende, aber auch keine untergeordnete Rolle. Im S&P 500 waren zuletzt 8,8 Prozent aller Aktiva, im Stoxx 600 deren 4,3 Prozent und im MSCI World 5,0 Prozent Goodwill.
Zu beachten ist, dass die Quoten höher wären, würden Finanzdienstleister wie Banken mit ihren durchweg sehr hohen Aktiva nicht berücksichtigt. So stiege etwa die Quote von Goodwill zu Vermögen im S&P 500 auf bereits 10,2 Prozent, wenn die sechs größten Finanzkonzerne im Index unberücksichtigt blieben.
Insgesamt repräsentiert der Goodwill 10,3 Prozent (S&P 500), 16 Prozent (Stoxx 600) und 11,3 Prozent (MSCI World) der Marktkapitalisierung der drei Indizes.
In erster Linie beachtenswert ist aber das Verhältnis zum Eigenkapital, auf das die Abschreibungen relativ betrachtet am stärksten durchschlagen.
Im S&P 500 machte die Quote Goodwill zu Eigenkapital zuletzt gut 41 Prozent, im Stoxx 600 rund 30 Prozent und im MSCI World gut 29 Prozent aus (Grafik 2).
Durchschnittlich zeigen sich also schon beachtenswert hohe Quoten zum Eigenkapital. Nicht bei allen Unternehmen hat dies jedoch Relevanz. So weisen knapp 200 Unternehmen im MSCI World gar keinen Goodwill aus.
Bei mehr als einem Drittel der Unternehmen im Weltindex spielt der Goodwill eine große bis sehr große Rolle mit Quoten zu Eigenkapital von mehr als 40 bis zum Teil deutlich über 100 Prozent (Grafik 3).
Aus allen drei Indizes lassen sich derzeit 49 Unternehmen identifizieren, die einen Goodwill von mehr als 70 Prozent gemessen an ihrer Börsenkapitalisierung aufweisen (Tabelle 1).
Hier sind Investoren also skeptisch. Eine Goodwill-Abwertung wäre deshalb wenig überraschend und die Auswirkung auf den Kurs vermutlich deshalb auch begrenzt.
Das gestiegene Zinsniveau kann negative Auswirkungen auf Gewinne und Bilanzen von Unternehmen haben, die einen Goodwill aus Übernahmen ausweisen.
Dabei könnten insbesondere Unternehmen in ihrer Kursperformance negativ betroffen sein, bei denen der Markt noch keine oder nur geringe Abwertungen erwartet. Diese zu identifizieren, bedarf der Einzelanalyse.
1 Goodwill – noch ist der Geist in der Flasche
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