09.10.2023 - Kommentare
Die Ergebnisse der gestrigen Landtagswahlen in Bayern und Hessen bestätigen einen schon sich länger entwickelnden Umbruch des deutschen Parteiensystems, wie er in den letzten Jahren auch in fast allen westlichen Ländern beobachtbar war. Die ungebremste und ungeregelte Zuwanderung stärkt vor allem Parteien am rechten Rand.
Diese Polarisierung durch Problemverschleppung der Migrationsfrage ist zwar keine deutsche Besonderheit, - Deutschland hinkte anderen westlichen Ländern sogar deutlich hinterher -, aber anstatt aus den Fehlern der anderen Länder zu lernen, verschlossen sich die etablierten Parteien in Deutschland trotzig jahrelang einer rationalen Asyl-, Flüchtlings- und Einwanderungspolitik. Einwanderung von notwendigen Fachkräften und Leistungsträgern fand kaum statt. Einwanderung in die Sozialsysteme boomte. Ab 2015 gelang es Bundeskanzlerin Angela Merkel durch ihre „Wir-schaffen-das“-Politik sogar, die sich eigentlich schon in selbstzerfleischender Auflösung befindende AfD wiederzubeleben, so daß die AfD 2017 in den Deutschen Bundestag einzog.
Obwohl seitdem die rechtsextremen Kräfte innerhalb der AfD zunehmend Gewicht erhielten und die gemäßigten Kräfte einschließlich der Parteivorsitzenden Frauke Petry und Jörg Meuthen die Partei verließen, hat sich die AfD inzwischen in den deutschen Parlamenten etabliert. Die gestrigen Wahlergebnisse für die AfD in Bayern (14,6 Prozent und damit drittstärkste Partei) und Hessen (18,4 Prozent und damit zweitstärkste Partei) sind eindeutig. Ein Herausreden und ein Verweis auf ostdeutsche Besonderheiten, wie bislang von den eigentlichen Problemverschleppern immer angeführt, ist damit nicht mehr möglich. Die Polarisierung durch Problemverschleppung der Migrationsfrage ist mittlerweile so stark, daß in Landtagswahlen Landespolitik nur noch eine untergeordnete Rolle spielt und Bundespolitik wie die Asyl-, Flüchtlings- und Einwanderungspolitik alle anderen Fragen dominiert.
Daß angesichts der starken rechtsextremen Kräfte innerhalb der AfD (noch) keine andere Partei mit der AfD koalieren will, ist richtig, aber auf Dauer nur dann ansatzweise durchzuhalten, wenn die anderen Parteien die Problemverschleppung der Migrationsfrage schnell und wirksam beenden. Bundeskanzler Olaf Scholz wäre deshalb gut beraten, das Angebot von Oppositionsführer Friedrich Merz anzunehmen, um gemeinsam die ungebremste und ungeregelte Zuwanderung in die deutschen Sozialsystem schnell und wirksam zu begrenzen. Aber selbst falls das gelingen sollte, was im Moment fraglich ist, heißt das nicht, daß die AfD aus den deutschen Parlamenten verschwindet oder auch nur erhebliche Verluste zeitigen muß. Die gesellschaftliche Lage in Deutschland könnte bereits in einem Maße verändert sein, daß viele Menschen, die ursprünglich nur AfD-Protestwähler waren, nicht mehr zurückgewonnen werden können.
Wir hatten in den letzten Jahren immer wieder argumentiert, daß die Polarisierung in den westlichen Gesellschaften primär durch ökonomische und politische Problemverschleppung verursacht wurde und daß sich die Polarisierung dann erheblich verringern dürfte, wenn diese ökonomischen und politischen Problemverschleppungen beendet werden.
Wie die bisherige Amtszeit von US-Präsident Joe Biden beispielhaft zeigt, ist das jedoch leichter gesagt als getan. Joe Biden ist es bislang nicht ansatzweise gelungen, die politische und gesellschaftliche Polarisierung in den USA zu vermindern. Das liegt zum einen an seinem wirtschaftspolitischen Programm, in welchem die einen bereits den Sozialismus am Werk sehen und welches anderen längst nicht weit genug geht. Zum anderen liegt es jedoch auch an den kulturkämpferischen Frontstellungen in den USA, die durch das Stichwort Identitätspolitik gekennzeichnet werden können. Und diese kulturkämpferische Frontstellung wirkt zurück auf die Wirtschaftspolitik. Denn die kulturkämpferischen Frontstellungen verhindern die Formulierung eines wirtschaftspolitischen Programmes, das über die Parteigrenzen hinweg hinreichend Zustimmung erhalten könnte und zudem auch inhaltlich geeignet sein muß, die ökonomischen Problemverschleppungen zu beenden.
Dieser Zusammenhang zwischen kulturkämpferischer gesellschaftlicher Frontstellung und wirtschaftspolitischem Programm – oder kurz: zwischen Kulturkampf und Ökonomik – bildet auch in vielen anderen westlichen Gesellschaften die existenzgefährdende Melange, welche die Polarisierung durch Problemverschleppung verstetigt und steigert.
Für mögliche zukünftige Mehrheiten, um in Deutschland marktwirtschaftliche Reformen zur Steigerung der Produktivität zu beschließen, verheißt das nichts Gutes. Zudem könnte von weiteren Problemverschleppungen im ökonomischen Bereich abermals die AfD profitieren.
Im AfD-Programm findet man durchaus eine auffällige marktwirtschaftliche Rhetorik, die einerseits auf die AfD-Gründungsphase durch wirtschaftsliberale Professoren zurückzuführen ist. Andererseits dient diese marktwirtschaftliche Rhetorik der AfD dazu, sich gegen den interventionistischen Mainstream der meisten anderen Parteien abzuheben. In Frankreich hatte das Jean-Marie Le Pen jahrelang mit seinem Front Nationale vorexerziert. Aber erst Jean-Marie Le Pens Tochter, Marine Le Pen, hat unter anderem deshalb große Wahlerfolge erringen können, weil sie sich – ohne mit der Wimper zu zucken – von diesen marktwirtschaftlichen Positionen löste. Da Björn Höcke und seine Anhänger letztlich einen ökonomischen (nationalen) Sozialismus verfolgen und da Höcke und seine Anhänger innerhalb der AfD das maßgebliche Gewicht darstellen, ist die marktwirtschaftliche Rhetorik im AfD-Programm nichts anderes als ein strategisches und zeitlich begrenztes Vehikel im Kampf gegen das System. Und gerade deshalb sollten in Deutschland marktwirtschaftliche Reformen zur Steigerung der Produktivität nicht länger verschleppt werden.
Die weitere Problemverschleppung marktwirtschaftlicher Reformen dürfte bei Wahlen vor allem der AfD zu Gute kommen. Daß die heutige Berliner Ampel-Regierung zu solchen Reformen noch in der Lage ist, muß leider stark bezweifelt werden. Wahrscheinlicher ist, daß identitätspolitischer Kulturkampf und Staatsinterventionismus auch in Deutschland den rechten politischen Rand weiter stärken werden. Insofern konvergiert Deutschland zeitverzögert mit anderen großen Ländern Europas. In Italien regiert schon eine rechts-konservative Premierministerin. In Frankreich läuft sich eine rechts-konservative Anwärterin auf die Präsidentschaft warm. Mit dem Verblassen der Ampel ändert sich auch in Deutschland die politische Landschaft.
Aber vielleicht können sich in Deutschland auf Bundesebene die Freien Wähler eine machtrelevante Position erarbeiten, so daß auf Bundesebene eine Koalition aus CDU/CSU, Freien Wählern und FDP möglich wird, eine bürgerliche Koalition, die marktwirtschaftliche Reformen konsequent umsetzt. Das setzt aber voraus, daß die FDP die Ampel überlebt. Die FDP hatte 1969 und 1982 den Mut zur Wende. Von 2009 bis 2013 unter Angela Merkel fehlte der FDP dieser Mut, so daß sie 2013 vom Wähler „einfach, niedrig und gerecht“ aus dem Bundestag geworfen wurde. Wenn Christian Lindner jetzt nicht springt, könnte das bei der nächsten Bundestagswahl wieder der Fall sein. Ob dann die Schwüre der Union halten, nie mit der AfD zusammenarbeiten zu wollen, darf bezweifelt werden.
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