18.10.2024 - Studien
Ein alter Ökonomen-Scherz lautet wie folgt: Ein Ökonom geht mit seiner Begleitung spazieren. Als die Begleitung ihn darauf aufmerksam macht, dass auf der Straße ein 100-Dollar-Schein liegt, winkt dieser ab und entgegnet: „Das kann nicht sein, wenn da wirklich ein echter 100-Dollar-Schein liegen würde, hätte den schon längst jemand aufgehoben.“
Dieser Scherz hat einen wahren Kern. Die Ideen, die heute die moderne Finanzmarkttheorie prägen und die sich größtenteils in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt haben, können wesentliche Phänomene auf Finanzmärkten nicht erklären. Fischer Black, ein amerikanischer Ökonom, der heute insbesondere durch die Entwicklung der „Black-Scholes-Formel“ für die Bepreisung von Optionen bekannt ist, steht nicht nur idealtypisch für die Entwicklung der modernen Finanzmarkttheorie, sondern auch für ihre Relativierung. Sein Lebenslauf führte ihn von den führenden akademischen Institutionen der 1960er und 1970er Jahre, University of Chicago und MIT, zu einem der führenden Finanzmarktinstitutionen der 1980er und 1990er Jahre, Goldman Sachs. Fischer Black war in dieser Zeit die personifizierte Innovation an der Wall Street. Mit seinen akademischen Arbeiten trug er mit dazu bei, dass sich die Finanzwirtschaft von einem kaufmännischen Handwerk in eine mathematische Wissenschaft transformierte. Sichtbar wurde diese Transformation auch im Personal, das für die Investmentfirmen arbeitete. In den 1980er Jahren gehörte Fischer Black zu den ersten „Quants“1. Seit dieser Zeit werden viele Physiker, Mathematiker und Computerwissenschaftler an der Wall Street beschäftigt.
Das Kernthema der Transformation ist der Umgang mit Risiko. Die wichtigste theoretische Grundlage ist das CAPM (Capital Asset Pricing Model). Das CAPM beschreibt die Beziehung zwischen Risiko und erwarteter Rendite bei einer Investition. Aktienpreise werden nach dem Prinzip des „random walk“ wie Ergebnisse eines Würfelwurfs behandelt. Wenn man einmal würfelt, haben alle möglichen Ergebnisse die gleiche Chance. Würfelt man hundert Würfel, kommt im Schnitt eine Zahl heraus, die näher an der 3,5 als an der 1 oder 6 liegt. Das Risiko eines einzelnen Würfels, eine 1 oder 6 zu würfeln, wird durch die anderen minimiert. Im Unterschied zum Würfeln erkennt CAPM an, dass sich Aktienpreise nicht völlig unabhängig voneinander bewegen. Einflüsse wie Zinsen oder Regulierungen oder konjunkturelle Schwankungen können sich auf die ganze Anlageklasse auswirken. Dieses systematische Marktrisiko lässt sich nicht durch Diversifikation in viele Aktien völlig beseitigen.
Eine zweite wichtige theoretische Grundlage ist die Annahme eines effizienten Marktes. Alle verfügbaren Informationen sind in den Aktienkursen enthalten, so dass Änderungen des Aktienpreises nicht vorhersehbar sind. Wenn das der Fall ist, gibt es keine Möglichkeit, durch die Auswahl einzelner Aktien systematisch eine überdurchschnittliche Rendite zu erzielen. Alle Aktien sind zu einem bestimmten Zeitpunkt korrekt bewertet. Markteinschätzungen über den intrinsischen Wert eines Unternehmens weichen von dem wahren Wert nur um einen Zufallsfehler ab, der nicht mit den verfügbaren Informationen in Verbindung steht.2
Auf der theoretischen Grundlage von CAPM und der Effizienzmarkthypothese macht es Sinn, ein möglichst breit diversifiziertes Marktportfolio zu halten, dass das notwendige systematische Aktienmarktrisiko widerspiegelt. Erfolgreiche Portfoliomanager, die eine höhere Rendite erwirtschaften riskieren mehr oder haben nur Glück. So, als ob sie zufällig öfters eine 6 würfeln als andere.
Die Annahme eines effizienten Marktes deutet auf einen grundsätzlichen Widerspruch zwischen der akademischen Welt und dem tatsächlichen Geschehen auf Finanzmärkten hin. Das Ziel aufwendiger Wertpapieranalyse besteht darin, Wertpapiere zu identifizieren, die besser performen, als der Markt sie bepreist. Wenn der Markt aber effizient ist, wäre das nicht möglich. Fisher Black erkannte dieses Problem spätestens ab dem Zeitpunkt, als er selbst aus der akademischen Welt in die Praxis wechselte. “Markets look a lot more efficient from the banks of the Charles (Fluss in Bosten) than from the banks of the Hudson (Fluss in New York)”3 Sein Artikel über Noise bietet wertvolle Erkenntnisse und einen ersten Schritt weg von der Effizienzmarkthypothese.
Die jährliche Konferenz der American Finance Association 1985 fand mitten im Finanzdistrikt in Manhattan statt. Die Rede des Präsidenten der Vereinigung war üblicherweise zum Schluss des zweiten Tages angesetzt. 1985 war der Ökonom Fischer Black Präsident und die Rede wurde gleich an den Anfang, in die Breakfast Session gelegt, damit möglichst viele Praktiker auf dem Weg zum Büro vorbeikommen konnten.4 Statt der üblichen 45 Minuten, redete Black etwa 10 Minuten, doch seine Botschaft sorgte für Aufsehen im Publikum: „We might define an efficient market as one in which price is within the factor of 2 of value; i.e. the price is more than half of value and less then twice value. By this definition, I think almost all markets are efficient almost all of the time.”5
Nicht, dass man im Publikum überrascht war, dass der Preis eines Wertpapiers erheblich von seinem Wert abweichen kann, aber diese Gedanken ausgerechnet von Fischer Black zu hören, war ungewöhnlich. Seit etwa zwei Jahren arbeitete Black zu diesem Zeitpunkt bei Goldman Sachs in der Handelsabteilung. Seine gesamte, sehr erfolgreiche akademische Karriere war auf der Annahme aufgebaut, dass Märkte effizient sind. Jetzt schien es, als ob er das Effizienzkriterium der Beliebigkeit preisgab.
1986 führt Black seine Gedanken in dem Artikel „Noise“ näher aus.6 Fischer Black stellt darin ein grundsätzliches Finanzmarktmodell mit zwei unterschiedlichen Arten von Wertpapierhandel vor, den Handel auf Basis von Informationen und den Handel auf Basis von Noise. Informierte Trader handeln aufgrund echter Informationen. Diese Händler erwarten zu Recht, Gewinne zu erzielen, da ihre Entscheidungen auf fundiertem Wissen beruhen. Auf der anderen Seite gibt es Trader, die aufgrund von Noise handeln, das heißt, sie behandeln zufällige Schwankungen oder Gerüchte fälschlicherweise als wertvolle Informationen. Diese Noise Trader erwarten zwar ebenfalls Gewinne, liegen jedoch falsch. Noise Trader machen Verluste.
Für Black stellt sich die Situation folgendermaßen dar: Besitzt Teilnehmer A auf dem Finanzmarkt Informationen, beispielweise über ein Unternehmen, und möchte aufgrund dieser Informationen handeln, braucht er einen Gegenpart, Teilnehmer B. B besitzt aber ebenfalls Informationen über das Unternehmen, aufgrund derer er die Gegenposition für richtig hält. A muss überlegen, welche Information B haben könnte und ob es für ihn trotz dieser Informationen von B ein lohnendes Geschäft bleibt, auf Grundlage seiner Informationen zu handeln. Aus der Perspektive einer hypothetischen dritten Person, die über alle Informationen verfügt, macht einer der beiden Seiten einen Fehler, der Noise Trader.7 Für Black gibt es im Prinzip bei jedem Geschäft auf der einen Seite einen informierten Händler auf der anderen Seite einen Noise Händler. „I do not believe it makes sense to create a model with information trading but no noise trading where traders have different beliefs and one trader's beliefs are as good as any other trader's beliefs. Differences in beliefs must derive ultimately from differences in information.8
Es stellt sich die Frage, warum es Noise-Trader gibt, wenn sie Verluste machen. Für Fischer Black gibt es zwei mögliche Antworten. Erstens, Noise Trader wissen nicht, dass sie Noise Trader sind. Zweitens, für Noise Trader ist das Handeln nicht nur ein Mittel sondern ein eigenständiges Ziel. „Perhaps they just like to trade.“9 Während die erste Erklärung plausibler ist, passt sie nicht in eine Welt, in der rationale Menschen die ihnen zur Verfügung stehenden Informationen dazu verwenden, ihren Nutzen zu maximieren.
Paradoxerweise sorgen Noise Trader auf der einen Seite dafür, dass der Preis von dem eigentlichen Wert abweicht. „The noise that noise traders put into stock prices will be cumulative, in the same sense that a drunk tends to wander farther and farther from his starting point.”10 Noise ist dadurch die Hauptursache für Preisineffizienzen. Auf der anderen Seite ermöglicht Noise überhaupt erst das Zustandekommen eines Marktes für Wertpapiere. Der Noise Trader gibt den informierten Händlern den Spielraum, der notwendig ist, um die kostenintensiven Informationen zu sammeln. Erst ihre Existenz schafft eine Umgebung, in der informierte Trader Gewinne damit erzielen können, Informationen zu generieren und über ihr Handeln in den Markt einzuspeisen. „The farther the price of a stock gets from its value, the more aggressive the information traders will become. More of them will come in, and they will take larger positions.”11
Obwohl informierte Händler den Preis wieder in Richtung des zugrundeliegenden Wertes drücken, kommt es laut Fischer Black nie dazu, dass der Noise vollständig aus den Preisen verschwindet. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens, auch informierte Händler können den genauen zugrunde liegenden Wert nicht wissen. Schätzungen des Werts, zum Beispiel anhand vergangener Zahlungsströme oder price-earnings-ratios sind auch nur „noisy estimates“. Auf der anderen Seite können informierte Händler nie ganz sicher sein, ob ihre Information nicht schon längst im Preis widergespiegelt ist. „Trading on that kind of information will be just like trading on noise.”12
Die Rolle des Noise Traders und des informierten Traders ist den handelnden Akteuren in Blacks Konzept nicht auf die Stirn geschrieben und auch nicht für immer festgelegt. „Actual return on a portfolio is a very noisy estimate of expected return (…) it will be difficult to show that information traders have an edge.”13
Für Fischer Black sind Noise Trader trotz ihrer irrationalen Erwartungen eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren von Finanzmärkten. Sie sorgen für die notwendige Liquidität der Märkte und ermöglichen so überhaupt das Zustandekommen von Preisen in den Einzeltiteln.
In einem rationalen Markt ohne Noise würde es für informierte Händler schwierig, Handelspartner zu finden. Noise Trader fungieren somit als Gegenspieler, die das Funktionieren des Marktes sichern. Für Fischer Black wären Finanzmärkte ohne Noise in letzter Konsequenz ineffizienter oder würden ganz aufhören zu funktionieren. Über diese Überlegung kommt er zu der Überzeugung, dass Noise Trader Teil des Gleichgewichts auf Finanzmärkten sind und als notwendiges Element für liquide und funktionierende Finanzmärkte nie wegfallen.
Fisher Black kann mit seinem „Noise“ Artikel als ein früher Wegbegleiter der damals aufkommenden Behavioral Finance interpretiert werden. Die verhaltensorientierte Finanzmarkttheorie geht davon aus, dass Menschen häufig irrational handeln und fehlerhafte Entscheidungen treffen, die im Aggregat zu Preisblasen führen können. Der Markt ist dann „animalischen Stimmungen, Moden, Überzuversicht und verwandten psychologischen Neigungen unterworfen.14 Fischer Black verabschiedet sich aber nicht gänzlich von dem Konzept rationaler Märkte. Im Gegenteil, Rationalität auf der Ebene des individuellen Verhaltens wird geopfert, um seine Vorstellung von Effizienz und Gleichgewicht im Gesamtmarkt zu schützen. Noise verschwindet nicht im Aggregat und hat daher dauerhaften Einfluss auf die Preise der finanziellen Vermögenswerte.
Fischer Black versucht auf diese Weise, seine Finanzmarkttheorie mit seinen Erfahrungen in der Praxis in Einklang zu bringen. In klassischen Modellen wie dem Capital Asset Pricing Model (CAPM) wird von vollkommen rationalen Akteuren ausgegangen, die versuchen, ihren Nutzen zu maximieren, indem sie auf Grundlage korrekter Informationen handeln. Fisher versucht, die Logik des CAPM mit dem von ihm beobachteten Verhalten in der Praxis in Einklang zu bringen, dass nicht den herkömmlichen Vorstellungen von rationalem Verhalten entspricht. Das Noise-Modell erlaubt, dass das Verhalten der Marktteilnehmer auch von irrationalen Faktoren beeinflusst wird. Noise Trading ist nicht mehr der Störfaktor, den es gilt, weitgehend zu minimieren, sondern ein integraler Bestandteil des Gleichgewichtsmodells und somit Effizienzbedingung.
Fisher Black wurde Anfang 1984 von Robert Rubin, dem späteren amerikanischen Finanzminister, in die Handelsabteilung bei Goldman Sachs geholt. Als Leiter der Quantitative Strategy Group für das Aktiengeschäft war er damit beauftragt, überdurchschnittliche Rendite zu erzielen, in dem er Arbitragemöglichkeiten ausschöpfte. Zu niedrig bepreiste Assets sollten gekauft und zu hoch bepreiste Assets verkauft werden. Fischer Black arbeitete an quantitativen Modellen, um diese Gewinnmöglichkeiten auszuschöpfen.
Die Aufgabe, überdurchschnittliche Renditen zu erzielen, war für ihn aber in erster Linie eine intellektuelle Herausforderung. Nach seiner akademischen Überzeugung dürften sie eigentlich gar nicht existieren. Und wenn dann nur unsystematisch und kurzfristig aber keinesfalls systematisch und langfristig.
Um dem Ziel näher zu kommen, mussten zwei wichtige Voraussetzungen geschaffen werden. Erstens, die Minimierung von Noise in den eigenen Handelsentscheidungen, zweitens das systematische Ausnutzen von Noise in den vorhandenen Preisen.
Bei Goldman Sachs gab es im Prinzip zwei herkömmliche Arten von Handelsstrategien, die genutzt wurden. Die technische Handelsstrategie fragte nach den Mustern in Preisbewegungen, die fundamentale Handelsstrategie versuchte anhand von Informationen aus Geschäftsberichten oder makroökonomischen Daten gute Zeitpunkte für Ein- oder Ausstiege zu erwischen. Fischer Black war überzeugt, dass Märkte zumindest so effizient sind, dass man mit keiner der beiden Strategien systematisch Geld verdienen konnte. Folglich befürchtete er, dass man sich mit diesen Strategien zu häufig auf der Seite der Noise Trader wiederfindet, die Geld an wirklich informierte Trader verlieren.15
Um überdurchschnittliche Renditen zu erzielen, müsste man seiner Ansicht nach Situationen erkennen, in denen die Gleichgewichtskräfte, die den Preis Richtung Wert drücken, blockiert sind. Es reicht dabei nicht, Preise zu beobachten, die den Anschein erwecken, stark vom Wert abzuweichen. Man muss auch eine Vorstellung davon haben, warum sie abweichen, welche Blockaden vorliegen und am schwierigsten von allem, wie sich diese Blockaden auflösen könnten.16
Um im Handel eine überdurchschnittliche Rendite zu erwirtschaften, muss man mindestens eine der drei Voraussetzungen erfüllen: Man muss entweder schneller sein, bessere Informationen haben oder die vorhandenen Informationen mit einer überlegenen Logik verarbeiten. Black war überzeugt, dass ein Wettbewerbsvorteil darin liegen könnte, Finanzmarkttheorie mit Computertechnologie zu verknüpfen. Anfang der 1980er Jahre wurden Computer zwar schon überall benutzt, aber nur in der Funktion als Hilfsgeräte, um damit technische oder fundamentale Handelsstrategien umzusetzen. Fischer Black wollte, dass die Computer direkt handeln. Er war überzeugt, dass ein Vorsprung in der Computertechnologie Arbitragemöglichkeiten eröffnete, weil andere Marktteilnehmer noch nicht über die Technologie verfügten.
Noise Reduktion und das Aufspüren und Ausnutzen von Arbitrage Möglichkeiten versprach kurzfristige Erfolge. Black zweifelte aber, ob dieser Ansatz langfristig in einem Gleichgewicht funktionieren konnte. Er kam zu der Schlussfolgerung, dass es in einem vollständigen Gleichgewicht zwei Renditequellen für Wertpapierhändler geben musste.17 Zum einen gibt es Zentralbankinterventionen. Zentralbanken stehen bereit, Geld zu verlieren, im Namen ihrer Verpflichtung, für ökonomische Stabilität zu sorgen. Zum anderen sah er eine stetige Renditequelle im „Flow-Trading“. Im Finanzwesen tritt Flow Trading auf, wenn ein Unternehmen Aktien, Anleihen, Währungen, Rohstoffe, deren Derivate oder andere Finanzinstrumente mit Geldern eines Kunden durchführt. Durch das ständige Partizipieren am Markt im Namen ihrer Kunden, erhalten Händler Informationen über Angebot und Nachfrage, die es ihnen erlauben, Preisbewegungen vorherzusehen.
Der frühzeitige Tod von Fischer Black im Jahr 1995 verhinderte, dass er das Platzen der Dot-Com Blase am Ende der 1990er Jahre und die große Finanzmarktkrise 2007- 2009 erlebte. Offensichtlich konnten Preise von Noise Tradern derart verschoben werden, dass informierte Händler nicht die Möglichkeit haben, den Preis Richtung Wert zu drücken.
Als Black “from the banks of the Charles” an die “banks of the Hudson” 1984 wanderte, war der Finanzmarkt noch sehr heterogen. Vollprofis tummelten sich mit Halbprofis und laienhaften Kleinanlegern in einem Markt, auf dem Information im Vergleich zu heute zäh floss. In diesem Umfeld lag es nahe, zwischen informierten und Noise Tradern zu unterscheiden. Heute, vierzig Jahre später, haben sich die Umstände grundlegend verändert, auch aufgrund technologischer Entwicklungen. Die Information fließt zunehmend schneller, so dass Informationsvorsprünge immer kleiner werden. Es wird immer anspruchsvoller, höhere Renditen zu erwirtschaften als der Markt. Kleinanleger und Halbprofis wenden sich zum Beispiel Indexfonds zu, viele haben erkannt, dass sie gegen informierte Trader keine Chance haben. Die Vollprofis – nach Black die „informierten Trader“ – sind zunehmend unter sich. Wie im Fußball wird die „Champions-League“ immer wichtiger. Fischer Black hatte also recht damit, dass man nicht langfristig auf einen Informationsvorsprung oder bessere Informationen vertrauen könne. Finanzmärkte sind durch diese Entwicklung aber nicht zum Erliegen gekommen. Obwohl die informierten Trader in viel größerem Ausmaß unter sich sind, kann der Preis nach wie vor erheblich vom Wert abweichen.
Auch heute sind Marktpreise von der subjektiven Interpretation neuer Fakten und der von den Marktteilnehmern geteilten Narrative geprägt. In diesem Umfeld kommt es zunehmend darauf an, neue Entwicklungen nicht nur treffend zu analysieren, sondern auch die Reaktion anderer Spieler darauf abzuschätzen. Gutes Prognostizieren von beidem ist ein wesentliches Element von überdurchschnittlichen Renditen. Gewinnmöglichkeiten müssen aus kontingenten Veränderungen auf Märkten erkannt und genutzt werden. Das Wort „kontingent“ meint die Möglichkeit, dass etwas eintritt oder nicht eintritt. Diese Offenheit von Situationen in Bezug auf den zukünftigen Ausgang ist der Gegensatz von „notwendig“. Die Kontingenz der Märkte, die sich aus der grundsätzlichen Unsicherheit ergibt und das unvollständige Wissen über diese Prozesse sind wesentliche Eigenschaften. Daraus folgt, dass widersprüchliche Vorhersagen über Kursbewegungen, zum Beispiel die Koexistenz von Bullen und Bären auf den Aktienmärkten, rational sind.18
Informationen oder zutreffender formuliert, Wissen, ist nie eine objektiv gegebene Tatsache, sondern subjektive Interpretation. Praktisches Wissen liegt häufig auch nur implizit vor und kann gar nicht oder nur sehr schwer objektive gemessen werden.19
Die Discovering Market Hypothesis20 baut auf diesen Überlegungen auf und beschreibt die Preisfindung auf Finanzmärkten mittels eines Wettbewerbs unterschiedlicher Narrative. Marktteilnehmer kommunizieren ihre Zukunftserwartungen anhand eigener Narrative und hören die Narrative anderer Marktteilnehmer. Einige Narrative setzen sich gegen die konkurrierenden Narrative durch und üben maßgeblichen Einfluss auf die Preise aus. In Zeiten hoher Volatilität herrscht eine besonders hohe Unsicherheit über das dominierende Narrative im Markt. Entsprechend offen ist die Frage, welches Narrativ sich am Ende durchsetzen wird. Wissen spielt auch für die Narrative eine wichtige Rolle, aber in einer anderen Dynamik als in dem Gegensatz von Noise und Information.
Schließlich stehen die informierten Händler vor der Herausforderung, die Interpretation der anderen informierten Händler abschätzen zu müssen. Hier kommt der „Keynesianische Schönheitswettbewerb“ ins Spiel. Nehmen wir – den heutigen Umständen näher - zum Beispiel die Wahl zum „Tor des Monats“. Wer die Abstimmung gewinnen will, weil er auf das richtige Tor tippt, muss erkennen, was die Masse der Teilnehmer für das richtige Tor hält. Da er davon ausgehen muss, dass auch viele andere Teilnehmer so denken ist die Überlegung sogar noch abstrakter. Die zielführende Frage lautet, was die durchschnittliche Meinung glaubt, was die durchschnittliche Meinung ist.21 Keynes schlussfolgert: „Somit wir der professionelle Anbieter gezwungen, sich mit der Vorhersage bevorstehender Veränderungen zu befassen, in Nachrichten der Art, von denen die Erfahrung zeigt, dass die Massenpsychologie des Marktes am meisten von ihnen beeinflusst wird.“22
Durch die zunehmende Professionalisierung der Marktteilnehmer verändert sich die Art der „Massenpsychologie“. Es kann unterstellt werden, dass die informierten Händler unter sich tendenziell homogener denken. Sie haben ähnlichere Ausbildungen, sie haben vergleichbare berufliche Sozialisierungen hinter sich, sie pflegen einen regelmäßigen Austausch unter sich.
Der französische Psychologe und Soziologe Gustave Le Bon hat bereits Ende des 19. Jahrhunderts ein Buch über die „Psychologie der Massen“ geschrieben.23 Darin argumentiert er, dass Individuen in einer Gruppe dazu tendieren ihre kritische Denkfähigkeit zu verlieren und anfälliger für Suggestionen und kollektive Emotionen zu werden. Dieser Ansatz könnte erklären, warum auch heute noch mit viel Noise in Preisen für Wertpapiere zu rechnen ist.
Fischer Black war überzeugt, dass ihm Computer in der Ausübung der Implikationen theoretischer Finanzmarktmodelle einen Wettbewerbsvorteil im Handel verschaffen. Wenn aber (fast) alle Marktteilnehmer diese Techniken beherrschen und Informationsvorsprünge rar sind, fallen die Noise Trader als Gewinnquelle für die informierten Trader weg. Wie in der Champions-League des Fußballs spielen dann das Vermögen, neue Spielzüge schneller zu erkennen als der Gegner, und Zufall eine herausragende Rolle für überdurchschnittlichen Erfolg. Je mehr Noise Trader verschwinden, desto härter wird der Kampf. Dieser Kampf könnte in Zukunft anfälliger für Massenpsychologie und damit wieder Noise werden. Fischer Blacks zusammenfassende Worte treffen also in einem viel tieferen Sinne zu, als er im Noise Artikel selbst annimmt: „We are forced to act largely in the dark.“24
Abreu, D. und Brunnermeier, M. (2003) Bubbles and Crashes, Econometrica 71, S. 173-204.
Black, Fischer (1985) Noise, The Journal of Finance, Band XLI, Nr. 3, S. 528-543.
Frydman, R. und Goldberg, M. (2012) Jenseits rationaler Märkte, Weinheim; Wiley.
Hayek, Friedrich August von (1945) The Use of Knowledge in Society, American Economic Review, Band 35, Nr. 4, S. 519-530.
Keynes, John Maynard (1936) General Theory of Employment, Interest and Money, Harcourt: Brace and World.
Kleinheyer, Marius und Meyer, Thomas (2019) Discovering Market Hypothesis, Flossbach von Storch Research Institute.
Le Bon, Gustave (1895/2009) Psychologie der Massen, Hamburg: Nikol Verlag.
Mehrling, Perry (2012) Fischer Black and the Revolutionary Idea of Finance, John Wiley: New Jersey.
1 „Quant“ ist eine branchenübliche Abkürzung für „Quantitativer Analyst“
2 Frydman, R. und Goldberg, M. (2012) Jenseits rationaler Märkte, Weinheim; Wiley, S.100.
3 Black, Fischer (1986) Noise, The Journal of Finance, Band XLI, Nr. 3, S.531.
4 Mehrling, Perry (2012) Fischer Black and the Revolutionary Idea of Finance, John Wiley: New Jersey, S. 231.
5 Ibid. S.232.
6 Black, Fischer (1986) Noise, The Journal of Finance, Band XLI, Nr. 3., S. 528 - 543.
7 Ibid. S. 531.
8 Ibid. S.531.
9 Ibid. S. 531.
10 Ibid. S.532.
11 Ibid. S. 532.
12 Ibid. S. 532.
13 Ibid. S. 532.
14 Abreu, D. und Brunnermeier, M. (2003) Bubbles and Crashes, Econometrica 71, S. 173.
15 Mehrling, Perry (2012) Fischer Black and the Revolutionary Idea of Finance, John Wiley: New Jersey, S. 243.
16 Ibid. S. 248.
17 Ibid. S. 251.
18 Frydman, R. und Goldberg, M. (2012) Jenseits rationaler Märkte, Weinheim; Wiley, S. 183.
19 Hayek, Friedrich August von (1945) The Use of Knowledge in Society, American Economic Review, Band 35, Nr. 4, S. 519-530.
20 Kleinheyer, Marius und Meyer, Thomas (2019) Discovering Market Hypothesis
21 John Maynard Keynes verwendete 1936 in seiner General Theory of Employment, Interest and Money einen Schönheitswettbewerb in der Zeitung. (S.156)
22 Ibid. S. 156.
23 Le Bon, Gustave (1895/2009) Psychologie der Massen, Hamburg: Nikol Verlag.
24 Black, Fischer (1986) Noise, The Journal of Finance, Band XLI, Nr. 3, S.531.
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