05.12.2023 - Studien

Innovation und Wettbewerb in der Automobilindustrie - Teil 1: Lehren aus den frühen Jahren

von Philipp Immenkötter, Marius Kleinheyer


Mit dem Markteintritt chinesischer Elektroautos wird die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Automobilbauer grundlegend in Frage gestellt. Um im Wettbewerb zu bestehen, müssen die deutschen Hersteller sich einer Vielzahl unterschiedlicher, zeitgleich auftretender Herausforderungen stellen. Sie reichen von E-Mobilität über den Einsatz neuer Technologien, dem Trend zur Nachhaltigkeit bis zu einer veränderten Konsumentennachfrage.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Automobilindustrie vor grundsätzlichen Problemen steht. Wir blicken zurück in die Anfänge der 140-jährigen Automobilgeschichte, um daraus zu lernen, wie die deutschen Automobilhersteller mit den Herausforderungen der damaligen Zeit umgegangen sind. Der Staat prägte durch Regulierung und Handelshemmnisse den Wettbewerb und schwächte dadurch den Innovationsdruck ab.

Vor dem ersten Weltkrieg war es eine offene Frage, welche Antriebstechnik sich für Automobile durchsetzen würde. Der Staat und andere Institutionen in Deutschland, England und den USA hemmten die Verbreitung des Verbrennungsmotors und förderten den Elektromotor. Trotzdem konnte sich der Verbrenner durchsetzen. Er war bei dem damaligen technischen Entwicklungsstand die effizienteste Lösung. Die staatliche Lenkung konnte das nicht überschreiben.

Nach dem ersten Weltkrieg kam der internationale Handel Deutschlands fast zum Erliegen. Zudem verursachte die monetäre Finanzierung staatlicher Haushaltsdefizite einen heftigen Währungsverfall. Beides führte dazu, dass die heimische Automobilindustrie eine kurze Wachstumsphase erlebte. Mit der Hyperinflation im Jahr 1923 offenbarte sich jedoch, dass die staatlichen Rahmenbedingungen eine Marktstruktur hervorgebracht hatten, die nicht überlebensfähig war.

Im weiteren Verlauf der 1920er Jahre stellte sich heraus, dass durch den Protektionismus die deutsche Automobilindustrie in Qualität, Fertigungsverfahren und Preis der internationalen Konkurrenz mit dem neuen Produktionsverfahren der Massenfertigung weit unterlegen war. Die Isolationspolitik hatte den Austausch von Wissen gehemmt und den Innovationsdruck durch internationale Konkurrenz außer Kraft gesetzt. Erst durch den stufenweisen Abbau der Handelshemmnisse entstand der Anreiz zu technischen Erneuerungen. Die Fließbandproduktion in den 1920er Jahren konnte auf Grund eines zu kleinen Absatzmarkts in Deutschland nicht profitabel etabliert werden. Die heimischen Hersteller litten kurzfristig bis mittelfristig unter der übermächtigen internationalen Konkurrenz. Langfristig gingen sie aber gestärkt aus der schwierigen Phase hervor, da sie durch ihre geringe Größe flexibler aufgestellt waren. Sie konnten technische Neuerungen schneller aufnehmen und sich auf eine Marktnische konzentrieren. Hierdurch wurde der Grundstein für die späteren Erfolge der deutschen Automobilindustrie gelegt.

Vor dem Hintergrund der heutigen Herausforderungen für die deutsche Automobilindustrie lässt sich aus der Geschichte eine wichtige Lehre ziehen. Auch wenn offene Märkte in herausfordernden Zeiten eine Bedrohung für die gesamte Branche darstellen, hat die Geschichte gezeigt, dass sie ein notwendiges Instrument für Innovationen sind. Die Analyse der Geschichte der Automobilindustrie und die Parallelen zur heutigen Situation erlauben keine Ableitung von strengen ökonomischen Gesetzmäßigkeiten. Trotzdem verstärkt unsere Analyse die Gültigkeit des normativen Konzeptes von Wettbewerb als Innovationstreiber. Da die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Realitäten divers und komplex sind, muss der Staat zum Wohle der Gesellschaft darauf achten, Innovationsprozesse nicht zu unterdrücken.

Vor über 100 Jahren: Der Kampf um die Antriebstechnik

Bei den ersten Versuchen der Menschheit, ein Gefährt zu bauen, das nicht von Zugtieren abhängig war, stand immer die Frage, wie es angetrieben werden soll, im Vordergrund. Die ersten Erfolge technischer Antriebe gehen auf den Anfang des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden zurück. Damals baute niederländische Ingenieur Simon Stevin einen Wagen, der über ein Segel mit Windkraft angetrieben wurde. Aber erst mit der Erfindung der Dampfmaschine im frühen 18. Jahrhundert in England kam die Entwicklung in Schwung. Im Jahr 1769 nutzte der Franzose Nicolas Cugnot erstmals eine Dampfmaschine zum Antrieb eines schienenlosen Fahrzeugs. In Deutschland gilt das Jahr 1886 als Geburtsstunde des Automobils mit der Patentierung der Fahrzeuge von Gottlieb Daimler und Carl Benz, die von einem Verbrennungsmotor angetrieben wurden.

Es dauerte jedoch noch viele Jahre und etliche Verbesserungen, bis das Automobil zu einem zuverlässigen Transportmittel wurde. In Deutschland hatte es bis zum ersten Weltkrieg einen schweren Stand, da es auf Grund der hohen Anschaffungs- und Unterhaltskosten lediglich zum Vergnügen weniger reicher Bürger zu dienen schien. Die gesellschaftlichen Kosten in Form von Lärm, Gestank, Straßenschäden und Gefahr musste aber die Mehrheit tragen. Folglich belegte der Staat den Kauf und Unterhalt von Kraftfahrzeugen mit hohen Steuern.

Der Kampf um die Antriebstechnologie prägte die frühen Jahre der Automobilindustrie nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Das zog sich bis in die 1920er Jahre hin. Ingenieure konkurrierten darum, Motoren mit Holz, Dampf, Gas, Benzol, Benzin oder Diesel anzutreiben. Ein technischer Antrieb sollte die Pferdekutsche verdrängen.

Auf den Konkurrenzkampf um die Antriebsarten wirkten verschiedene Kräfte ein, die sich für oder gegen bestimmte Antriebsarten positionierten. Der früheste dokumentierte staatliche Eingriff erfolgte in England im Jahr 1865 im Wettkampf zwischen Pferdefuhrwerken und selbstangetriebenen Fahrzeugen. Durch den „Red Flag Act“ wurde die Geschwindigkeit für motorisierte Fahrzeuge stark beschränkt. Ein Fußgänger musste mit einer roten Fahne vor dem Fahrzeug hergehen, um andere Verkehrsteilnehmer zu warnen. Dadurch wurden Automobile noch langsamer als Pferdekutschen. Langfristig konnte der Red Flag Act aber nicht die Entwicklung des motorisierten Straßenverkehrs verhindern. Das Gesetz wurde zunehmend weniger angewendet und schließlich 1896 aufgehoben.1

In den USA behinderte anfänglich das „Selden-Patent“ den Wettbewerb um die Antriebsarten. Der Antrag auf Patentierung eines theoretischen Entwurfs eines Automobils mit Dampfantrieb im Jahr 1879 durch George Baldwin Selden hatte zur Folge, dass für Autos mit jeglicher Antriebsart Lizenzgebühren eingefordert wurden. Erst durch lange Rechtsstreits mit der Ford Motor Company verlor das Patent im Jahr 1911 seine Wirkung und ließ mehr Wettbewerb zwischen den Antriebstechnologien zu.2

Wegen des Selden-Patents wurden im Jahr 1900 rund 40 Prozent aller in den USA fahrenden Automobile mit einer Dampfmaschine angetrieben.3 Der Dampfantrieb hatte den technischen Vorzug einer hohen Kraftübertragung. Mit Dampfmotoren konnten (unter Versuchsbedingungen) Geschwindigkeiten von über 200 km/h erreicht werden, was für Verbrennungsmotoren damals noch unmöglich schien.4 Zwar konnte die Zeit für das Vorheizen des Dampfkessels von knapp einer Stunde auf wenige Minuten reduziert werden, aber eine flächendeckende Versorgung mit Wasser und Heizmitteln kam nicht zu Stande. Folglich blieb das hohe Gewicht des Fahrzeugs wegen der Notwendigkeit, immer Brennmittel und Wasser mitzuführen, ein grundsätzliches und nicht gelöstes Problem.5

Auch der Elektromotor profitierte vom Selden-Patent und kam im Jahr 1900 bei rund 38 Prozent der genutzten Antriebe in den USA zum Einsatz. Der Elektromotor bestach durch seine einfache Handhabung, geringe Lautstärke und Verschleiß. Der größte Nachteil war das Verhältnis von Masse zu Leistung der Fahrzeuge, da es keine kompakten Akkumulatoren mit einer hinreichend hohen Energiedichte gab. Durch ihr hohes Gewicht konnten elektrisch betriebene Automobile weder eine hohe Geschwindigkeit noch eine große Reichweite erreichen.6

In Deutschland sowie in anderen Ländern beeinflussten Staat und Regulierungsbehörden den Wettbewerb um die Antriebsarten. Auf Kraftstoffe für Verbrennungsmotoren wurden Steuern erhoben, für Dampfmotoren wurden jährliche Kesselinspektionen vorgeschrieben und die staatliche Reichspost zum Beispiel ausschließlich mit Fahrzeugen mit Elektromotoren ausgestattet.

Die Stadt Berlin förderte ab 1909 Droschken (die damaligen Taxis) mit Elektroantrieb dadurch, dass die Zulassung einer Elektro-Droschke von der Rückgabe der Lizenz einer Pferdedroschke abhängig gemacht wurde. Für eine Droschke mit Verbrennungsmotor mussten hingegen zehn Pferdedroschken-Lizenzen abgegeben werden. Hierdurch erlangten im Jahr 1914 Motordroschken in Berlin mit 14 Prozent einen, im Vergleich zum gesamten Automobilmarkt, hohen Marktanteil. Zusätzlich erlitt nach dem ersten Weltkrieg der Marktanteil an Droschken mit Verbrennungsmotor einen Rückschlag, da durch die staatliche Kraftstoffbewirtschaftung alternative Antriebe günstiger im Unterhalt waren. Auf Grund der geringeren Geschwindigkeit und Reichweite konnten sich die elektrischen Droschken trotz der staatlichen Bevorzugung langfristig nicht gegen den Verbrennungsmotor durchsetzen.7

Während noch bis in die 1920er Jahre verschiedene Antriebsarten auf den Straßen vorzufinden waren, setzte sich gegen Ende der 1920er Jahre der Verbrennungsmotor mit Benzin, Benzol oder Diesel durch. Pferde verschwanden nahezu gänzlich aus dem Straßenbild deutscher Städte.

Die historischen Beispiele zeigen, dass sich langfristig eine Antriebstechnologie nur durchsetzen kann, wenn auch die technischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für eine wirtschaftliche Nutzung gegeben sind. Die Versuch des Staates und einzelner Marktteilnehmer konnten Dampf- und Elektromotoren nur zu temporären Scheinerfolgen verhelfen. Trotz der Hemmnisse setze sich der Verbrennungsmotor durch.

Aufgrund der staatlichen Förderung einzelner Antriebsarten kam es dennoch zu einer Fehlallokation von Arbeitskräften, Material, Kapital und Energie. Es wurden Ressourcen gebunden, obwohl sie keinem langfristig wirtschaftlichen Ziel dienten.

Ab den 1920er Jahren stellte der Verbrennungsmotor den beim damaligen technischen Entwicklungsstands und der Ressourcenverfügbarkeit effizientesten Antrieb dar. Dadurch konnte er sich langfristig weltweit durchsetzen.

Nach dem ersten Weltkrieg: Handelshemmnisse und Geldpolitik

Die Automobilindustrie in Deutschland hatte nach dem ersten Weltkrieg ihre Start-up Phase überwunden und die Gesellschaft hatte sich an den neuen Verkehrsteilnehmer gewöhnt. Doch die ehemaligen Kriegsparteien schotteten ab 1918 ihre Wirtschaften gegeneinander ab, so dass es wenig internationale Absatzmärkte für deutsche Hersteller gab und der Zugang zu Ressourcen erschwert wurde. Dennoch erlebten die deutschen Automobilhersteller in den Jahren 1921 bis 1923 eine bedeutende Wachstumsphase. Hierfür gab es primär zwei Gründe: Zum einen wurden die Zulassungsbeschränkungen für private Kraftfahrzeuge, die nach dem ersten Weltkrieg herrschten, aufgehoben. Folglich konnte der Nachfrageüberhang, der sich in der Nachkriegszeit aufgebaut hatte, bedient werden. Zum anderen wirkte sich die inflationsbedingte Abwertung der Reichsmark auf die nationale und internationale Nachfrage nach deutschen Automobilen positiv aus. In dem Zeitraum zwischen der Aufhebung des Goldstandards im Jahre 1914 bis zur Vorzeit der Hyperinflation im Jahr 1921 betrug die Geldentwertung der Reichsmark über 90 Prozent und der Wechselkurs zum US-Dollar fiel um 95 Prozent.8

Da die deutsche Automobilproduktion primär im Inland produzierte Vorprodukte nutze, waren deutsche Automobile im neutralen Ausland günstig zu erwerben. Zwar bestanden in anderen Ländern ebenfalls Importzölle für deutsche Automobile, die Währungsabwertung konnte diese jedoch weitgehend aufwiegen. Auch bot ein Automobil während der Hyperinflation für wohlhabende Haushalte die Möglichkeit zur Wertaufbewahrung.

Als Folge der hohen nationalen und internationalen Nachfrage waren die Kapazitäten der Automobilhersteller in den Jahren 1921 und 1922 voll ausgelastet. Es kam zu zahlreichen Neugründungen von Automobilherstellern, die häufig ohne viel Erfahrung Kleinwagen minderer Qualität produzierten. Im Jahr 1923 gab es in Deutschland über 90 Hersteller von Personenkraftfahrzeugen mit Verbrennungsmotoren, so viel wie nie.

Doch die sich im Verlauf des Jahres 1923 beschleunigende Hyperinflation setzte der kurzen Wachstumsphase ein jähes Ende. Die Nachfrage nach Automobilen brach sowohl seitens privater Haushalte als auch von Unternehmen ein. Im Jahr 1924 meldeten mehr als ein Drittel aller Hersteller Konkurs an. Es kam zu der ersten großen Konsolidierungs- und Bereinigungswelle. Erst gegen Ende des Jahres 1924 stabilisierte sich die Nachfrage nach Automobilen wieder, als nach der Währungsreform wieder ausländische Kredite nach Deutschland flossen und die Finanzierung von Produktion und Kauf wieder ermöglichte.

Die staatlichen Schutzmaßnahmen für die heimische Industrie in Kombination mit dem politisch verursachten Währungsverfall halfen den deutschen Autobauern also bis 1923 zu wirtschaftlichen Erfolgen. Doch die staatlich gesetzten Rahmenbedingungen erzeugten eine unwirtschaftliche Marktstruktur mit vielen nicht überlebensfähigen Anbietern.

In den 1920er Jahren: Die amerikanische Konkurrenz als Schlüsselmoment

Eine direkte Folge der Schutz- und Isolationspolitik war, dass der internationale Austausch neuer technischer Entwicklungen seit Ausbruch des ersten Weltkriegs zum Erliegen gekommen war. Knapp zehn Jahre lang hatten die deutschen Autobauer nahezu keinen Zugriff auf die internationalen technischen Errungenschaften der Industrie. Noch vor dem ersten Weltkrieg hatten deutsche Automobile einen internationalen Ruf hoher Qualität. Der währungsbedingte erneute Exporterfolg erzeugte den Anschein, dass die deutschen Automobile international konkurrenzfähig und weiterhin technisch führend seien. Dies erwies sich Mitte der 1920er Jahre als Trugschluss.

Nach dem ersten Weltkrieg gab es auf Grund der Handelshemmnisse nur wenige neue Importwagen. Erst durch die Besetzung des Rheinlands ab 1923 gelangten vereinzelt US-amerikanische Automobile über nicht bewachte Grenzen in die unbesetzten Teile des Deutschen Reichs. Als nun mehr US-Wagen auf deutschen Straßen zu sehen waren, wurde auch den deutschen Autobauern klar, dass man bei Preis, Ausstattung und Fahrgefühl den amerikanischen Herstellern weit unterlegen war.9

Das Automobil traf in den USA von Anfang an auf eine gänzlich andere Nachfrage als im dicht besiedelten Europa, wo die öffentlichen Verkehrsmittel gut ausgebaut waren und die Nachfrage nach Mobilität zunächst befriedigen konnten. Da es in den USA nur wenige öffentliche Verkehrsmittel gab und die Distanzen zwischen Städten und Dörfer häufig groß waren, bot das Automobil der Landbevölkerung eine neue Möglichkeit, am öffentlichen Leben besser teilzuhaben. Handwerkern und Bauern erschlossen sich neue Absatzmärkte. Nach der Eisenbahn war das Auto das letzte Bindeglied zur Schaffung des großen amerikanischen Binnenmarkts.10 Dadurch entstand in den USA eine wesentlich höhere Nachfrage nach Automobilen zu niedrigen Preisen als in Deutschland. Zudem profitierten US-amerikanische Autofahrer von geringen Betriebskosten durch die reichen Ölvorkommnisse im eigenen Lande. Dagegen hatte die deutsche Mittelschicht in Folge des Kriegs und der Hyperinflation keine hinreichende Kaufkraft und auch weniger Bedarf für die eigene Motorisierung.

Der entscheidende Schritt zur Senkung der Produktionskosten gelang der Ford Motor Company bereits vor dem ersten Weltkrieg. Mit der Einführung der Fließbandproduktion nach dem Konzept des Taylorismus konnte die Fertigungsgeschwindigkeit bedeutend erhöht werden.11 Während in den deutschen Fabriken die Produktion eines Automobils rund ein dreiviertel Jahr dauerte und Kapital über diesen Zeitraum band, dauerte es bei Ford nur wenige Tage. Obwohl der Arbeitslohn bei Ford rund das doppelte des Lohnes in deutschen Werken betrug, konnten Automobile zu der Hälfte der deutschen Kosten gefertigt werden.

Die US-amerikanische Fließbandproduktion war durch ihre Größe kapitalintensiver als die Werkstattproduktion deutscher Großfabriken. Während vor dem ersten Weltkrieg die Produktivität deutscher Autobauer bei weniger als einem Wagen je Mitarbeiter und Jahr lag, erreichte Ford damals schon Werte zwischen 10 und 26.

Mit der Fließbandproduktion konnten Hersteller nur bestehen, wenn sie eine große Kapazitäten aufbauten und diese hoch auslasteten. Hersteller ohne Fließbandproduktion litten unter hohen Stückkosten, so dass sie im Preiskampf nicht mithalten konnten. Hierdurch entstand in den USA in den 1910er Jahren das erste Oligopol der Automobilindustrie. Ein Oligopol ist eine Marktform, bei der ein Markt von wenigen Großunternehmern beherrscht wird. Das Automobiloligopol in den 1910er Jahren bestand aus den Herstellern Ford Motor Company, Chrysler und General Motors, sowie ein paar kleineren Marktteilnehmern.

Da im Laufe der 1920er Jahre der Erstkäufermarkt in den USA zunehmend gesättigt war, sank die Kapazitätsauslastung der Ford Motor Company. Um profitabel zu bleiben, waren die Oligopolisten gezwungen, neue Absatzmärkte zu erschließen und international zu expandieren. Da die Kraftfahrzeugdichte in Deutschland noch gering war, sah man im deutschen Absatzmarkt ein großes Potential.

Auf der deutschen Seite gab es unterschiedliche Sichtweisen, wie mit der neuen und übermächtigen internationalen Konkurrenz umzugehen sei. Die Automobilhersteller fürchteten um ihr Geschäft und drängten die Regierung zur Erhebung von hohen Einfuhrzöllen, die einem Importstopp gleichkamen. Unternehmen anderer Wirtschaftszweige argumentierten jedoch dagegen, weil sie Vergeltungszölle für ihre Güter befürchteten. Auch die Automobilhändler waren gegen Zölle, da der Automobilimport für sie lukrativ war. Selbst Arbeiter und Gewerkschaften hegten Sympathien für die US-Importe, da sie die deutschen Unternehmer zur Verbesserung ihrer Produktionsmethoden zwingen würden. Durch die Fließbandproduktion erhoffte man sich aufgrund der höheren Produktivität auch höhere Löhne. Getragen wurde diese Erwartung von der damals gängigen Erzählung, dass sich die Angestellten der Ford Motor Company selbst ein Automobil leisten konnten, da sie den vierfachen Lohn deutscher Arbeiter bekamen. Dagegen war der PKW-Erwerb in Deutschland weiterhin nur den wohlhabendsten Haushalten möglich.12

Mit dem deutschen Automobilzoll-Gesetz von 1925 wurde ein Kompromiss zwischen den Interessen der Automobilhersteller, der Automobilhändler, der Arbeiter und der ausländischen Automobillobby geschlossen. Im Sinne eines „Erziehungszolls“ (nach Friedrich List (1841) 13) wurde den deutschen Herstellern eine Schonzeit von drei Jahren eingeräumt. Die Einfuhrzölle wurden zunächst stark angehoben und dann halbjährlich wieder abgesenkt, bis sie 1928 auf einem geringeren Niveau als 1925 endeten. Die Schonzeit sollten die Hersteller dazu nutzen, internationale Wettbewerbsfähigkeit aufzubauen. Ab 1928 hatte das Deutsche Reich auch deshalb die nahezu niedrigsten Einfuhrzölle weltweit.14

Als Resultat traten nach und nach neue Konkurrenten im deutschen Markt auf, die sowohl Automobile nach Deutschland importieren, vor Ort Montage- und Produktionswerke errichteten oder heimische Hersteller übernahmen. Im Jahr 1928 gab es zehn ausländische Automobilhersteller in Deutschland, die zusammen ein Viertel des deutschen Absatzmarktes abdeckten.15

Nachdem die US-Hersteller zunehmend Fuß auf dem deutschen Markt gefasst hatten, dominierten sie wegen ihrer günstigen Preise den Mittelklasse-Markt. Die deutschen Hersteller waren gezwungen, ihre Produktionsanlagen zu modernisieren und ihre Modellpalette anzupassen, um der veränderten Nachfrage zu genügen. Folglich konzentrierten sich die deutschen Hersteller entweder auf die großen Modelle der Oberklasse (bspw. Daimler-Benz, Adler) oder auf Kleinwagen (Hanomag, Dixi, BMW, Opel). Die Großserienproduktion mit dem Fließband wurde Stück für Stück eingeführt, so dass sich zwischen 1925 und 1929 die Arbeitsproduktivität verdreifachte.16 Trotz der Verbesserung führte die Fließbandproduktion jedoch nie zu dem Erfolg der US-Konkurrenz, da in Deutschland die notwendige Größe des Absatzmarktes weiterhin fehlte.

Die internationale Konkurrenz hatte auch zur Folge, dass sich die 1923 begonnene Konsolidierungswelle fortsetzte und bis in die Weltwirtschaftskrise des Jahres 1929 anhielt. In diese Zeitperiode fällt bspw. der Zusammenschluss von der Daimler Motorenwerke und Benz & Cie zur Daimler-Benz AG (1926), sowie die Übernahme der Adam Opel AG durch General Motors (1928). Bis 1933 war der Übergang für den Markt deutscher Automobilhersteller von einem Polypol mit über 90 Anbietern zu einem Oligopol mit vier Konzernen abgeschlossen: Daimler-Benz, Auto-Union, Opel und Ford. Daneben gab es fünf mittelgroße Hersteller, hierunter BMW, sowie 11 kleinere Betriebe.

Die deutschen Automobilbauer hatten gegenüber der übermächtigen US-amerikanischen Konkurrenz einen entscheidenden Vorteil: ihre geringere Größe. Während die Fließbandproduktion der US-Hersteller nur unter enormen Kosten für technische Erneuerungen angepasst werden konnte, hatte man in den deutschen Fabriken eine größere Flexibilität kleine Veränderungen vorzunehmen, ohne die gesamte Produktion stoppen zu müssen. Durch den hohen Innovationsdruck der 1920er und 1930er Jahre erfolgte Schritt für Schritt die Entwicklung eines kompakten Kleinwagens mit geringem Kraftstoffverbrauch, hoher Zuverlässigkeit und guten Fahreigenschaften. Der bis 1933 hohe Produktivitätsdruck auf die Automobilindustrie legte den Grundstein für den Erfolg der Branche, sowohl nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten als auch während der 1950er und 1960er Jahre.17

Die internationale Konkurrenz gepaart mit technischem Fortschritt bewirkte, dass die Preise für Automobile in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre stetig fielen. 1931 kosteten Automobile nur noch 58 % des Preises der Vorkriegszeit und die Unterhaltskosten fielen um 60 %. Für die deutsche Mittelschicht wurden Automobile dadurch jedoch immer noch nicht erschwinglich.

Zwar konnten vor dem ersten Weltkrieg viele deutsche Automobilhersteller profitabel wirtschaften, jedoch war das Umfeld in der Zwischenkriegszeit deutlich anspruchsvoller. Die Kriegsfolgen und Inflation machten den Start in die 1920er Jahre schwer und die US-Importe drückten auf den Markt.

Die Entwicklung in der zweiten Hälfte der 1920er Jahr zeigt, dass die staatliche Regulierung und die Geldpolitik für den international nicht konkurrenzfähigen Zustand der deutschen Automobilbranche eine Mitschuld trugen. Durch die Stabilisierung der Währung und den Rückbau der Handelshemmnisse wurde Innovationsdruck auf die Industrie ausgeübt, der zwar kurz- und mittelfristig schwer auf der Industrie lastete, langfristig aber die Bedingungen für den späteren Erfolg schuf. Staat und Gesellschaft haben daran mitgewirkt, indem sie die ausländische Konkurrenz zugelassen haben. Damit wurde die Grundlage für den Erfolg der deutschen Automobilindustrie bis zum zweiten Weltkrieg und in den frühen Jahren der Bundesrepublik gelegt.

Fazit

Die ersten 50 Jahre der deutschen Automobilgeschichte zeigen, wie wichtig Wettbewerb schon in den Anfängen der Entwicklung für die Zukunftsfähigkeit einer Industrie ist. Der Wettbewerb hat gegen den staatlichen Eingriff die effizienteste Antriebstechnik der damaligen Zeit hervorgebracht. Das Zulassen ausländischer Konkurrenz hat den Innovationsdruck auf deutsche Hersteller gefördert, so dass die Automobilindustrie gestärkt aus der schwierigen Phase der Zwischenkriegszeit herausgehen und den Grundstein für die späteren Erfolge legen konnte.

Heute ist der Staat erneut dabei, mit Subventionen und Steuern in den Kampf um die Antriebstechnologien einzugreifen. Jedoch könnte auch heute der Wettbewerb mit chinesischen Automobilherstellern für den nötigen Innovationsdruck auf die deutschen Autobauer sorgen. Die Erfahrung der 1920er Jahre zeigt, dass staatliche Eingriffe dem Wettbewerb bei der Schaffung einer wirtschaftlich erfolgreichen Autoindustrie klar unterlegen sind.


Literaturverzeichnis

Büchner, Karl (1910): „Der gegenwärtige Stand des Automobilismus“, in Zeitschrift des Mitteleuropäischen Motorwaten-Vereins, S.1-20.

Flik, Reiner (2001): „Von Ford lernen? Automobilbau und Motorisierung in Deutschland bis 1933“, Böhlau Verlag, Köln.

Kirchberg, Peter (2021): „Automobilgeschichte in Deutschland – Die Motorisierungswellen bis 1939“, Georg Ohms Verlag, Hildesheim.

List, Friedrich (1841): „Das nationale System der politischen Ökonomie“, Tübingen.

Merki, Christoph Maria (2002): „Der holprige Siegeszug des Automobils 1895-1930“, Böhlau Verlag, Wien.

Roe, Mark J. (2021): „Dodge v. Ford: What Happened and Why?”, in Vanderbilt Law Review (74) 1755.

Seherr-Toss, H.C. (1974): „Die deutsche Automobilindustrie / Eine Dokumentation von 1886 bis heute“, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart.

Thieme, Carsten (2004): „Daimler-Benz zwischen Anpassungskrise und Rüstungskonjunktur 1919-1936“, Wissenschaftliche Schriftenreihe des DaimlerChrysler Konzernarchivs, Band 7, Hg. Niemann/Feldkirchen


1 Siehe Legislation.gov.uk.

2 The Henry Ford Museum (2016): Selden Patent Lawsuit Collection (Link).

3 Siehe Kirchberg (2021) S. 64.

4 Im Jahr 1906 erreichte der US-Amerikaner Fred Marriott mit einem Dampfwagen der Stanley Motor Carriage Company 205 km/h.

5 Siehe Kirchberg (2021) S. 62.

6 Siehe Kirchberg (2021) S. 64.

7 Siehe Merki (2002), S. 91ff.

8 Siehe Deutsche Bundesbank

9 Siehe Flik (2001), S.157.

10 Siehe Flik (2001), S.247.

11 Der Begriff geht auf den US-amerikanischen Ingenieur Frederick W. Taylor zurück, bei dem Arbeitsprozesse auf kleinste Teilprozesse heruntergebrochen werden und für den einzelnen Arbeitern einen nicht mehr erkennbaren Zusammenhang zu den Unternehmenszielen besteht.

12 Siehe Flik (2001), S.165.

13 Siehe List (1841), S. 31.

14 Siehe Kirchberg (2021), S. 265.

15 Siehe Flik (2001), S.173.

16 Siehe Flik (2001), S.233.

17 Siehe Flik (2001), S.240.

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