19.02.2024 - Studien
Es dauerte Ende Januar nur Sekunden nach der Ankündigung einer deutlichen Dividendensenkung und der Aufstockung der Risikovorsorge für ausfallgefährdete Gewerbeimmobilienkredite, dann sackte der Aktienkurs der New York Community Bancorp (NYCB) um 44 Prozent ab. Der Absturz riss gleich den ganzen Index der US-Regionalbanken mit in die Tiefe, der am Ende der ersten fünf Handelswochen dieses Jahres schon knapp zwölf Prozent verloren hatte, während der Weltleitindex S&P 500 sich zu Rekordhöhen aufschwang. Der Aktienkurs der NYCB lag zuletzt sogar niedriger als auf dem Höhepunkt der US-Hypothekenmarktkrise 2008/2009 (Grafik 1).
Am 7. Februar unterbrach die New York Stock Exchange (NYSE) sogar den Handel mit den Papieren der NYBC – ein eher seltener Schritt. Als Grund gab die NYSE „erhöhte Volatilität“ an. Die Ratingagentur Moody's hatte da gerade Anleihen der Bank auf Schrottstatus (junk) herabgestuft.
Nahezu zeitgleich musste die japanische Aozora Bank ihre Risikovorsorge für US-Gewerbeimmobilien deutlich aufstocken. Sie rutschte deshalb zum ersten Mal seit der globalen Finanzkrise in die roten Zahlen. Der Aktienkurs stürzte um ein Drittel ab.
Auch der amerikanische Private-Equity-Riese KKR wartete mit schlechten Nachrichten für seine Investoren auf. Ein zu KKR gehörender Real Estate Finance Trust, der in Gewerbeimmobilien investiert, kürzte die Dividende erheblich, um sich für ausfallgefährdete Kredite zu rüsten. Der Kurs verlor gut zwölf Prozent.
Die Deutsche Pfandbriefbank (PBB) sprach jüngst von der „größten Immobilienkrise seit der Finanzkrise“ für die gesamte Branche. An der Frankfurter Börse sackte ihr Aktienkurs in diesem Februar auf ein Allzeittief. Wegen Problemen bei US-Büroimmobilien musste die PBB die Risikovorsorge stark erhöhen, der Gewinn vor Steuern lag 2023 schlagartig um 58 Prozent unter Vorjahr.
Das alles erinnert an jene große Finanzkrise, die im Jahr 2007 begann, sich zunächst auch in Deutschland mit der Pleite der Düsseldorfer Bank IKB im Juli ausbreitete und sich 15 Monate später im Herbst 2008 mit dem Fall von Lehman Brothers in einem breiten Marktcrash und kostspieligen staatlichen Rettungsaktionen materialisierte.
Könnte eine neue Immobilienkrise Turbulenzen auslösen und Aufsichtsbehörden oder Notenbanken auf den Plan rufen?
Für aufmerksame Beobachter konnte es keine große Überraschung sein, dass die im Frühjahr 2023 bei kleinen und mittelgroßen US-Banken aufgetretenen Probleme früher oder später wieder erscheinen würden.1 Denn diese wurden nicht beseitigt, sondern nur verschoben.
Das deutlich erhöhte Zinsniveau machte bereits im vergangenen Jahr vor allem US-Regionalbanken zu schaffen. Die im 141 im S&P Regional Banking Index vertretenen Institute hatten bei steigenden Preisen die Vergabe von Gewerbeimmobiliendarlehen binnen fünf Jahren per 31. Dezember 2023 um glatt 75 Prozent gesteigert, zeigen Daten von Bloomberg. Im Jahresverlauf 2023 stagnierte die Kreditvergabe. Die Gewerbeimmobilienpreise hatten da bereits ein Tableau ausgebildet (Grafik 2)
Infolge der scharfen Zinswende sanken bereits 2022 die Umsätze bei US-Gewerbeimmobilien um sechs Prozent, 2023 um weitere 1,9 Prozent. Die Nachfrage lag 2023 bereits 10,4 Prozent unter dem Rekordjahr 2019.
Allein der US-Gewerbeimmobilienmarkt wird in seiner weitesten Fassung aktuell vom Datenanbieter Statista auf eine Größe von mehr als 25 Billionen Dollar taxiert. Dabei dürfte jedoch auch das kleinste Motel im tiefsten Westen der USA mitgezählt sein. Für den für die Finanzwelt wichtigen Markt der gewerblichen Immobilienkredite in den USA nannte der US-Vermögensverwalter Vanguard im vergangenen Herbst ein Marktvolumen von insgesamt 5,7 Billionen Dollar.2
Die amerikanische Commercial Real Estate Association gibt an, dass die Entwicklung neuer und der Betrieb bestehender Gewerbegebäude 2022 zu direkten Ausgaben in Höhe von 826,9 Milliarden Dollar geführt habe. Der Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt der USA habe 2,3 Billionen Dollar betragen. Das wäre ein Anteil von neun Prozent.
Die New York Community Bancorp krankt unter anderem daran, dass sie große Teile der im Frühjahr 2023 insolventen Signature Bank übernahm. Sie war dazu von den US-Aufsichtsbehörden gedrängt worden und zählt spätestens seither zu einem der Top-US-Gewerbeimmobilienfinanzierer (Tabelle 1).
In der Summe von 51 Milliarden Dollar stecken gut 37 Milliarden an Krediten für Mehrfamilienhäuser, die als gewerbsmäßige Vermietung den Gewerbeimmobilienkrediten zugeordnet werden. Das Problem: Nahezu die Hälfte dieser Darlehen soll mit mietpreisregulierten Gebäuden abgesichert sein. Während die Refinanzierungskosten steigen, können Vermieter wie NYBC ihre Mieteinnahmen aufgrund des „Mietpreisdeckels“ des Staates New York nur stark eingeschränkt steigern.
Der Geist war seit der ersten Krise im vergangenen Frühjahr in der Flasche. Jetzt bahnt sich möglicherweise größeres Ungemach an.
Die Welle, die sich in den USA aufbaute, hatte 2023 neben den drei US-Regionalbanken Silicon Valley Bank, Signature Bank und First Republic Bank im November auch WeWork erfasst. Der Bürovermieter, der noch im Herbst 2021 an der Börse rund 47 Milliarden Dollar wert war, musste unter einen Insolvenzschutzschirm schlüpfen. WeWork soll im vergangenen Sommer noch für 906.000 physische Arbeitsplätze an 777 Standorten in 39 Ländern und Mietverpflichtungen in Höhe von umgerechnet gut 14 Milliarden Dollar gestanden haben. Mit der Pleite droht ein weiteres Überangebot an Büroflächen.
Laut dem Immobilienspezialisten Jones Lang LaSalle (JLL) sind die Büroleerstände so hoch wie nie zuvor. Im dritten Quartal 2023 stiegen sie in den USA und Kanada auf 21 Prozent und auf 16 Prozent weltweit. Das ist ein Anstieg von 60 Prozent im Vergleich zu den Leerstandsquoten von vor der Corona-Pandemie. In Europa ging der Leerstand von fünf auf acht Prozent nach oben.
Besserung ist kaum in Sicht. Der Trend zum Home-Office kehrt sich nicht um. Zudem entlassen gerade Technologiekonzerne massenweise Mitarbeiter. 2023 sollen sie bis Ende Oktober gut 240.000 Stellen gestrichen haben. Allein Google hatte für 12.000 davon den Rotstift angesetzt.
Der Effekt ist eine Leere in den Büros der Haupt- und Großstädte dieser Welt (Grafik 3).
Mit zuletzt nur 30 Prozent Belegung liegt San Francisco am Ende der Auswahl. Zu Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 gab es weder in der kalifornischen Metropole noch in weiteren neun US-Großstädten nach einer Erhebung von Kastle Systems überhaupt leere Büros.
Die aktuellen, teils sehr hohen Leerstände sind ein Problem, spielt doch der Gewerbeimmobilienmarkt wie der Häusermarkt allgemein eine wichtige Rolle für die Stabilität der Banken und damit im globalen Finanzsystem.
Da Bürogebäude oft langfristig vermietet sind, schlagen sich die Probleme erst nach und nach im Finanzsektor nieder. Zahlreiche Immobilieneigentümer haben nicht realisierte Verluste auf ihren Büchern. Tom Leahy, Executive Director bei MSCI Research, schätzte im vergangenen September, dass in London rund die Hälfte aller Gewerbeimmobilien weniger wert seien als ihr letzter aufgerufener und bezahlter Preis. In New York würde ein Preisrutsch von 13 Prozent die Hälfte der Gewerbeobjekte unter ihren letzten gezahlten Preis drücken.3
Ende Januar äußerte US-Milliardär Barry Sternlicht, Gründer und Chef der Investmentfirma Starwood Capital in Miami, dass es allein bei amerikanischen Büro-Immobilien zu Verlusten von über einer Billion Dollar kommen könnte. Der Markt sei vor der Pandemie gut drei Billionen Dollar schwer gewesen und nun „noch gut 1,8 Billionen Dollar wert“. Der Büro-Markt sei „in einer existenziellen Krise“.
Sollte sich seine Prognose als treffsicher erweisen, dann stellt sich die Frage, inwieweit Kredite noch ausreichend besichert sind. Ein prominentes Beispiel zeigt, wie hoch Abschläge auf frühere Preise ausfallen können. So wurde kürzlich das Aon Center, der dritthöchste Büroturm in Los Angeles, für 147,8 Millionen Dollar verkauft. Das war ein Abschlag von rund 45 Prozent auf den im Jahr 2014 gezahlten Preis.
Einem Bericht von MSCI Real Assets zufolge sind die Verzugsraten im US-Gewerbeimmobiliensektor im dritten Quartal 2023 um 5,6 Milliarden Dollar auf einen Zehn-Jahres-Höchststand von nun 79,7 Milliarden Dollar gestiegen. Auf Büroimmobilien entfielen davon 41 Prozent – was auf Home-Office und schwindende Mieternachfrage in diesem Sektor zurückzuführen sei. MSCI identifizierte zuletzt US-Gewerbeimmobilien im Wert von 215,7 Milliarden Dollar, die für Probleme wie Zahlungsrückstände oder schleppende Nachfrage bei der Vermietung anfällig seien.
Vor allem die Sicherheiten von Regionalbanken dürften von Preisabschlägen oder einem Zahlungsverzug betroffen sein: Gewerbliche Immobilienkredite machen bei kleineren Banken 28,7 Prozent der Bilanzsumme aus, verglichen mit nur 6,5 Prozent bei größeren Häusern, so eine Studie von JP Morgan Chase aus dem Jahr 2023.4
Insgesamt hatten alle US-Banken zuletzt knapp 3.000 Milliarden Dollar an Gewerbeimmobilienkrediten ausstehen. Dazu summieren sich gut 5.500 Milliarden Dollar an klassischen Hypotheken an Haushalte (Grafik 4).
Gemessen an allen Krediten spielen bei Banken Hypotheken eine überragende Rolle. Sie machen 49 Prozent aller Ausleihungen aus und 37 Prozent der aggregierten Bilanzsumme des US-Bankensektors. Und an allen Hypothekendarlehen ist der Anteil der Gewerbeimmobilienkredite in den vergangenen zehn Jahren immer weiter gestiegen (Grafik 5).
Am US-Hypothekensektor hängen der Wohlstand vieler Amerikaner und die Stabilität vor allem der Regionalbanken. Zudem gibt es viele Geldgeber aus dem Schattenbankenbereich (Private Equity, Hedgefonds, Versicherungen). Nach Angaben des US-Gewerbeimmobilienspezialisten Trepp sind rund die Hälfte aller Gewerbehypothekenkredite außerhalb des Bankensektors finanziert.5 Laut Trepp halten etwa Versicherungsunternehmen gut zwölf Prozent aller gewerblichen US-Gewerbeimmobilienhypotheken. Der gesamte Hypothekensektor in den USA ist mit gut 20 Billionen Dollar mehr als doppelt so groß wie die auf die Banken entfallene Summe (siehe auch Grafik 4).
2022 investierten institutionelle Investoren nach Daten des Immobilienspezialisten Knight Frank weltweit insgesamt 440 Milliarden Dollar in Gewerbeimmobilien, bevorzugt in den USA. Private-Equity-Gesellschaften legten in den Jahren 2019 bis 2022 nach Angaben von S&P Global 150 Milliarden Dollar in Gewerbeimmobilien weltweit an. Die Private-Equity-Firma Blackstone gilt als der größte Immobilieninvestor überhaupt mit einem Portfolio von 586 Milliarden Dollar.
Fehlt es bei den Schuldnern solcher Hypotheken an Geldern, um Kredite bedienen zu können, wären Mietanhebungen ein Ausweg. Angesichts rekordhoher Leerstände dürfte das vielfach ein aussichtsloses Unterfangen sein. Die Kreditgeber stehen also Zahlungsausfällen gegenüber.
Die Ausfallrate für Kredite bei gewerblichen hypothekenbesicherten Wertpapieren in den USA lag laut Moody's Analytics im Januar bereits bei 5,07 Prozent – mit steigender Tendenz.6 Die Erwartung ist, dass sich die Ausfallrate ihren Rekordständen der Finanzkrise nähern wird, als sie in der Spitze 10,51 Prozent erreichte.
Dazu kommt seitens der US-Banken ein weiteres Problem: die Finanzierung ihrer eigenen Bilanz. Da die US-Notenbank Fed die kurzfristigen Zinsen stark angehoben hat, sind viele Kunden auf Geldmarktfonds ausgewichen, die einen höheren Zins versprechen. Dagegen stagnieren seit zwei Jahren die niedriger verzinsten Einlagen bei den Regionalbanken. Sie sind für alle Banken sogar rückläufig, während US-Geldmarktfonds mit knapp 5.900 Milliarden Dollar seit Anfang 2019 gut 84 Prozent Einlagenzuwachs verzeichnen (Grafik 6).
Um Wachstum zu erzielen, können die Banken also weniger auf Kundeneinlagen bauen. Auch die Refinanzierung des bestehenden Geschäfts, beispielsweise bei Gewerbeimmobilien, dürfte bei Abflüssen von Kundengeldern ein Problem sein. Neue Bankinsolvenzen könnten die Folge sein.
Im Frühjahr 2023 sicherte die Federal Deposit Insurance Corporation deshalb zunächst Kundengelder oberhalb der bis dahin geltenden Grenze von 250.000 Dollar ab. Dann flankierte dies die Federal Reserve mit einem Bank Term Funding Program (BTFP), um den Banken einen erleichterten und günstigeren Zugang zu Liquidität zu öffnen. Nach der Einführung des Programms vor knapp einem Jahr gab es eine sprunghafte Nachfrage mit einem nochmaligen Schub in den jetzigen Wintermonaten (Grafik 7).
Das BTFP endet nun am 11. März 2024.7 Banken müssen dann auf andere, teurere Finanzierungsquellen zurückgreifen. Mögliche Bewegungen beim Funding nach diesem Zeitpunkt könnten Hinweise auf das Kundenvertrauen geben, da eine sichere Bank, das BTFP, wegfällt.
Dass der finanzielle Schmerz nicht nur bei den Banken zu spüren ist, sondern auch bei anderen Finanzierern, könnte indes ein Vorteil sein.
Denn auf der anderen Seite stehen auch Gelder parat, die die ein oder andere Schieflage auffangen könnten – wenn Renditeaussicht und Risiko aus ihrer Sicht zusammenpassen sollten. So stieg etwa der weltbekannteste Investor Warren Buffett während der Finanzkrise bei Goldman Sachs mit fünf Milliarden Dollar zu einem deutlich unter dem damaligen Börsenkurs liegenden Vorzugspreis ein und ließ sich dies auch noch mit zehn Prozent Garantiedividende versüßen.
In den vergangenen Jahren haben etwa private Kreditfonds (private debt) an Bedeutung gewonnen. Sie saßen zuletzt auf 496 Milliarden Dollar an nicht investiertem Kapital (Grafik 8).
Der weltgrößte Vermögensverwalter Blackrock prognostiziert, dass das aktuelle Volumen der Private-Debt-Fonds bis 2028 um das Doppelte auf 3.500 Milliarden Dollar steigen wird. Der Datenanbieter Preqin geht bis 2028 von einem Volumen von immerhin noch 2.800 Milliarden Dollar aus. Das Kapital für solche Debt-Fonds kommt üblicherweise von institutionellen Investoren wie Versicherern, Pensionskassen oder Family Offices.
Viel Kapital ist notwendig. Laut des Anleihespezialisten Pimco sind bis einschließlich 2027 rund 2,4 Billionen Dollar an US-Gewerbeimmobilienkrediten fällig, davon jeweils gut 500 Milliarden Dollar in diesem und im kommenden Jahr. Bei Banken lägen davon 176 (2023) und 185 (2024) Milliarden Dollar, weitere 169 Milliarden Dollar solcher Bankdarlehen stünden dann 2025 zur Refinanzierung an.
Auch der deutsche Finanzsektor hat nach der Finanzkrise die Immobilienfinanzierung wieder ausgeweitet. Nach Angaben der Deutschen Bundesbank lag der Bestand an Gewerbeimmobilienkrediten bei deutschen Banken per Ende September je nach Lesart bei 854 Milliarden Euro oder, nach einer „neuen Operationalisierung“, sogar bei 1.002 Milliarden. Gemessen an der gesamten Bilanzsumme des deutschen Bankensektors von 10.800 Milliarden Euro ist das ein Anteil von 7,9 beziehungsweise 9,3 Prozent.8
Dazu kommen knapp 1.800 Milliarden Euro an klassischen Hypotheken für den privaten Wohnungskauf oder -bau, die gut besichert sein dürften, zumindest solange eine strenge Regulierung etwa über die Gebäuderichtlinie der EU die Werthaltigkeit nicht bedroht.
Auch hierzulande gibt es Risiken bei den Gewerbeimmobilienkrediten. Die Ratingagentur Fitch wies bereits im Frühjahr 2023 darauf hin, dass deutsche Banken ihre Kreditvergabe für Gewerbeimmobilien seit 2015 deutlich erhöht hätten, um sinkende Nettozinsmargen auszugleichen.9
Die anhaltende Niedrig-, Null- und Negativzinspolitik der Europäischen Zentralbank hatte die Differenz zwischen Kredit- und Einlagenzinsen als traditionelle Einnahmequelle der Banken immer weiter reduziert. Die Zinskurve wurde flacher und drückte die Erträge bei sicheren Anlagen. In riskanteren Sektoren wie dem Gewerbeimmobilienmarkt dagegen ließen sich noch vergleichsweise hohe Zinsen erzielen.
Der Studie von Fitch zufolge sind 17 Prozent der Gewerbeimmobilienkredite deutscher Banken international vergeben, der größte Teil davon in die USA. Teilweise sind die Gewerbeimmobiliendarlehen dominant für die Geschäfte einzelner Institute. Bei der Aareal Bank machten sie beispielsweise 93 Prozent aller Kredite aus.
Einer aktuellen Moody’s-Rangliste nach ist laut „Handelsblatt“ die Aareal Bank auch am stärksten in den USA engagiert.10 Das Institut beziffere sein Engagement auf 8,6 Milliarden Euro, das rund zur Hälfte aus US-Büroimmobilien bestehe. Gut 26 Prozent aller Kredite lägen in den USA. Laut Bloomberg hatte die Aareal Bank per Ende Juni 2023 ein hartes Kernkapital (Tier 1) von knapp 2,6 Milliarden Euro, deutlich unterhalb ihres US-Engagements.
Weitere Banken mit einem hohen Engagement sind laut Moody’s neben der Aareal Bank spezialisierte Immobilienbanken wie die Deutsche Pfandbriefbank (PBB) und einige Landesbanken. Bei der Deutschen Pfandbriefbank stehe allein das Engagement bei US-Büroimmobilien für 150 Prozent des harten Kernkapitals. An Tier-1-Kapital wies die PBB zuletzt knapp 3,1 Milliarden Euro aus, was auf Kredite für US-Büroimmobilien von gut 4,5 Milliarden Euro schließen lässt.
In Deutschland selbst sinken schon seit Mitte 2022 die Preise für Gewerbeimmobilien auf breiter Front. Seit ihrem Rekordhoch im zweiten Quartal brachen sie um 16,5 Prozent ein (Grafik 9).
Die Besicherung ist in Einzelfällen fraglich. Das zeigt die Signa-Holding. Der gerne als „schillernder Immobilieninvestor“ bezeichnete Österreicher René Benko hatte es über Jahre geschafft, mit seiner verschachtelten Gruppe Schulden von „wenigstens 13 Milliarden Euro“ anzuhäufen, heißt es.
Geldgeber Benkos sind sowohl prominente Vermögende als auch das Who’s Who der Banken- und Versicherungswelt aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Zwar verweisen nahezu alle Financiers auf die gute Besicherung ihrer Darlehen. Doch das ist nicht zwingend der Fall, wie Julius Bär zeigt. Der Schweizer Vermögensverwalter hat an Gesellschaften der Signa-Gruppe vergebene Darlehen in Höhe von 586 Millionen Schweizer Franken komplett abgeschrieben.
Bei Signa liegt vieles noch im Dunkeln. So sind laut der deutschen Finanzsaufsicht BaFin 46 deutsche Versicherer „gegenüber der Signa-Gruppe exponiert“.11 Bei neun Adressen liege das Engagement bei mehr als einem Prozent der Kapitalanlagen. Laut „Financial Times“ sollen deutsche Versicherer drei Milliarden Euro in die Signa-Gruppe investiert haben.12
Nach Angaben der BaFin machten Gewerbeimmobilien am 30. September 2023 rund acht Prozent aller Kapitalanlagen der Versicherer aus. Aufgrund noch „sehr hoher Bewertungsreserven“ schätzt die BaFin das „Risiko aus Bewertungsänderungen insgesamt als beherrschbar ein“.13
Bei den Banken könnte die negative Entwicklung im Gewerbeimmobiliensektor zunächst „die Ertragslage der Institute stark belasten“. In einigen Fällen könnten „Kreditausfälle die Institute sogar gefährden, wenn diese nicht ausreichend diversifiziert sind und in besonders kritische Segmente investiert haben“, so die BaFin.
Ob damit auch Signa gemeint ist? Zu den deutschen Banken gab es jedenfalls mehrere Medienberichte über bis zu im dreistelligen Millionenbereich liegenden Engagements bei der insolventen Holding. Die Berichte wurden entweder seitens der Geldhäuser nicht, oder als nicht nachvollziehbar kommentiert. Sicher ist, dass der deutsche Gewerbeimmobiliensektor nicht erst seit Signa für negative Überraschungen gut ist, auch mangels Transparenz.14
Zwar stellte die ein oder andere Bank in den vergangenen Monaten Kapital für ausfallgefährdete Gewerbeimmobiliendarlehen zurück, doch bewegten sich diese jeweils in einem überschaubaren Rahmen. So hatten etwa die zur Sparkasse-Gruppe gehörenden deutschen Landesbanken im ersten Halbjahr 2023 laut Bloomberg rund 400 Millionen Euro an Risikovorsorge gebildet.15
Die Helaba habe demnach in ihrem Halbjahresbericht ein Gesamtkreditvolumen bei Gewerbeimmobilien von 44,3 Milliarden Euro angegeben. Bei der BayernLB soll sich das Brutto-Kreditvolumen im Bereich Gewerbeimmobilien auf 67 Milliarden Euro belaufen haben, bei der LBBW seien es 56 Milliarden Euro und bei der NordLB 16,8 Milliarden Euro gewesen. Diese Werte seien nicht direkt miteinander vergleichbar, böten aber eine Annäherung, so Bloomberg.
Möglicherweise sind auch in Deutschland wie in den USA eher kleinere und mittlere Häuser gefährdet. Einige der größten gewerblichen Immobilienfinanzierer zählen nach ihrer Bilanzsumme jedenfalls nicht den 20 größten Banken in Deutschland.
Die Deutsche Bundesbank folgert in ihrem jüngsten Stabilitätsbericht, dass sich die „systemischen Risiken aus Entwicklungen an den Gewerbeimmobilienmärkten“ mit dem Zinsanstieg „weiter erhöht“ hätten. Immobilienunternehmen wiesen vergleichsweise niedrige Zinsdeckungsquoten auf, „wodurch sie verwundbarer gegenüber Zinssteigerungen sind“. Bei rund einem Drittel der Gewerbeimmobilienkredite könnten laut Bundesbank „in den nächsten drei Jahren deutliche Anpassungen der Kreditzinsen anstehen“, sprich diese steigen. „Damit könnten die Kreditausfälle und Kreditverluste stärker steigen, da der Wert der Kreditsicherheiten seit einiger Zeit sinkt“16 (siehe auch Grafik 8).
Auch die Europäische Zentralbank (EZB) schätzt Gewerbeimmobilien als einen gefährdeten Sektor ein und plant deshalb, die Aufsicht über das Engagement der Banken in diesem Markt zu verstärken. Eine Untersuchung von 40 Bankengruppen ergab bereits 2022, dass bis zu 30 Prozent der notleidenden Kredite der Banken auf gewerbliche Immobilien entfallen.17 Erst diesen Februar soll die EZB Banken mit risikoreichen Gewerbeimmobilienkrediten höhere Kapitalanforderungen angedroht haben.18
In Deutschland und Europa steht der europäische Immobiliensektor zusätzlich unter Druck, seine Treibhausgasemissionen auf netto null bis zum Jahr 2050 zu reduzieren. Wer diesem Druck nicht standhält und nicht in die Sanierung investiert, der sitzt möglicherweise auf einem "stranded asset“ – auf einer Gewerbeimmobilie, die unverkäuflich ist und als Kreditsicherheit ausfällt.
Ein Beispiel soll der Commerzbank-Tower in Frankfurt sein, der Eigentum einer Tochter des südkoreanischen Samsung-Konzerns ist. Er steht laut „Financial Times“ auf einer „Todesliste“ der kalifornischen Immobilienanalysten von Green Street.19 Diese zeige europäische Bürogebäude im Wert von mehr als 3,3 Milliarden Euro, deren Verkauf bisher nicht unter Dach und Fach gebracht werden konnte, da sich keine Käufer fanden. Diese Liste sei „wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs der gescheiterten Verkäufe".
An einer sogenannten Bilanzrezession, einem Wirtschaftsabschwung nach dem Platzen einer Vermögensblase wie bei Immobilien etwa, können weder die Banken selbst noch die Notenbanken ein Interesse haben: Zu groß sind die Gefahren einer Ansteckung innerhalb des Finanzsektors. Denn die Banken vergeben auch an Schattenbanken Kredite. Der Schattenbanksektor ist am Bankensektor beteiligt – über den Kauf von Aktien, Anleihen oder nachrangigem Kapital.
Die zunehmend zutage tretenden Probleme bei Gewerbeimmobilien versetzen die Notenbanken in eine schwierige Lage. Die Inflation hat die Zielwerte noch nicht erreicht, sodass möglicherweise verfrühte Zinssenkungen die Saat für einen neuerlichen Preisschub legen könnten. Andererseits sind sowohl die kurzfristige Finanzierung von Gewerbeimmobilien als auch das Funding der Banken teuer, was auf die Objektpreise drückt.
Ob es zur Ansteckung innerhalb des Finanzsektors kommen wird, lässt sich nicht vorhersagen. Der Cocktail aus fallenden Gewerbeimmobilienpreisen und stillen Buchverlusten, steigenden Ausfallraten bei Hypothekendarlehen und deutlich teureren Zinsen ist jedenfalls toxisch. Banken könnten gezwungen sein, ihre Kreditvergabe einzuschränken.
Es gehört nicht allzu viel Pessimismus dazu, um weitere Probleme vorherzusagen. Nur die Härte der Einschläge ist noch unbekannt.
3 https://www.msci.com/www/blog-posts/loss-aversion-and-property/04076684543
7 https://www.federalreserve.gov/newsevents/pressreleases/monetary20240124a.htm
8 Laut Bundesbank ist derzeit öffentlich noch keine Zeitreihe verfügbar. Der Bereich Statistik der Bundesbank plane jedoch, künftig auch Zeitreihen für alle Interessierten zugänglich zu machen.
11 So eine Antwort auf eine Anfrage des Finanzstaatssekretär Florian Toncar (FDP)
12 https://www.ft.com/content/cae0ff11-01cb-48e2-badf-e4c192caf6b6
19 https://www.ft.com/content/13e17879-eb58-46ba-b202-4e77e69d82ee
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