21.09.2018 - Kommentare
Russland, China und die USA, aber auch viele andere Staaten, setzen den Außenhandel heute vermehrt als die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln ein. Daraus folgt insgesamt ein verstärkter geoökonomischer Wettbewerb der Staaten und Staatenblöcke, der die heutige Weltwirtschaftsordnung zerstören könnte. Ob das positiv oder negativ zu bewerten ist, hängt davon ab, ob sich aus dieser möglichen „Zerstörung“ früher oder später eine bessere neue Weltwirtschaftsordnung entwickelt.
I.
Heute scheinen Russland, China und die USA, aber auch viele andere Staaten, den Außenhandel vermehrt als die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln einzusetzen. Vielfach wird „der Logik des Krieges in der Grammatik des Kommerzes“1 gefolgt.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 und der folgenden Präsidenten-Ära von Boris Jelzin hat Russland seit dem Jahr 2000 unter der Führung von Wladimir Putin den Export von Gas und Öl zu einer geopolitischen Waffe geformt. So ist die geplante Gaspipeline durch die Ostsee „Nordstream 2“ ein geoökonomisches Mittel zur Erreichung geopolitischer Ziele. China strebt unter Xi Jingping mit seiner One-Belt-One-Road-Strategie außenpolitische Hegemonie durch Erzeugung ökonomischer Abhängigkeiten an. Und Donald Trump will durch Schutzzölle die heimische Industrie schützen und verachtet die Regeln der WTO. Insgesamt ist ein verstärkter geoökonomischer Wettbewerb der Staaten und Staatenblöcke zu beobachten, der die heutige Weltwirtschaftsordnung sprengen könnte. Ob das positiv oder negativ zu bewerten ist, hängt davon ab, ob sich aus dieser möglichen „Zerstörung“ eine bessere neue Weltwirtschaftsordnung entwickelt und wie dieses „Bessere“ definiert wird.
Offen ist, ob sich entgegen der nationalen und geopolitischen Absichten der derzeitigen politischen Führer, welche durch die Bank allgemeine und abstrakte Regeln und die Freiheit schaffende Trennung von Wirtschaft und Politik mißachten, nicht gerade aufgrund des sich verstärkenden Wettbewerbs der Staaten und Staatenblöcke früher oder später Regeln und Regelsysteme der Weltwirtschaft entwickeln, die Freiheit und Wohlstand für alle besser fördern und Globalisierung und Kapitalismus erhalten helfen.
Allgemein formuliert: Regeln und Regelsysteme, die für alle beteiligten Konfliktparteien von Vorteil und auf Dauer tragfähig sind, entwickeln sich in der politischen und ökonomischen Praxis nur, wenn erstens von jedem die eigenen Interessen formuliert und offen gegen die Interessen der anderen gestellt werden und wenn zweitens eine Machtkonstellation vorherrscht, in welcher keine Partei der anderen ihren Willen aufzwingen kann, so daß drittens die Konfliktparteien früher oder später gezwungen sind, sich auf Regeln und Regelsysteme der Konfliktlösung und des Interessenausgleiches zu verständigen.
An Staaten und politischen Führern, welche die eigenen Interessen formulieren und offen gegen die Interessen der anderen Staaten stellen, herrscht – von einzelnen Ausnahmen abgesehen2 – weltweit zur Zeit kein Mangel. Und auch Donald Trump hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die Interessen der USA zu formulieren und offen gegen die Interessen der anderen Staaten zu stellen, wobei in einer freien Gesellschaft natürlich darüber gestritten werden kann und muß, was die Interessen der USA sind. Der entscheidende Unterschied zwischen Trump einerseits und Xi und Putin andererseits besteht darin, daß in den USA offen darüber gestritten werden darf und durch freie und gleiche Wahlen Machtwechsel herbeigeführt werden können, was weder in Russland noch in China der Fall ist.
Woran es heute jedoch in Europa und den USA und insbesondere bei Donald Trump mangelt, ist das tiefere Verständnis für Machtkonstellationen und der Wille zum systematischen Aufbau von Gegenmacht. Zur Lösung von politischen und gesellschaftlichen Problemen und zur Beendigung von sich kumulierenden Problemverschleppungen bedarf es neben durchdachter und schlüssiger Reformkonzepte auch eines tieferen Verständnisses von politischen Machtkonstellationen auf nationaler und internationaler Ebene. Daß Putin 2014 die Krim annektieren konnte, liegt nicht zuletzt daran, daß der Westen die strategische Sicherheitslücke in Europa nicht erkannt und nicht entsprechend rechtzeitig und wirksam strategische Gegenmacht aufgebaut hat, so daß Putin die Schlußakte von Helsinki, das Budapester Memorandum und die Charta von Paris aus purem Eigeninteresse hätte einhalten müssen. Die Einhaltung von Regeln und Regelsystemen ist kein Selbstläufer, sondern folgt aus Machtkonstellationen, in welcher keine Partei der anderen ihren Willen aufzwingen kann.
Und das gilt auch für die Weltwirtschaft. Anstatt gemeinsam mit den europäischen Bündnispartnern dem größten geopolitischen Konkurrenten des Westens und der liberalen Gesellschaftsordnung entgegenzutreten, hat Trump der Volksrepublik China durch die Aussetzung der TTIP-Verhandlungen zwischen den USA und Europa, der Nichtunterzeichnung des pazifischen Freihandelsabkommens TPP und mit dem drohenden Handelskrieg mit der EU geradezu den Weg freigeräumt, um geopolitisch immer weiter Raum und Gewicht gewinnen zu können. Wie durch diese geoökonomische Politik geopolitische Gegenmacht aufgebaut und eine Machtkonstellation entstehen soll, die China zwingen könnte, sich an allgemeine und abstrakte Regeln zu halten, die für die gesamte Weltwirtschaft von Vorteil sind, bleibt im Dunkeln.
II.
Im Dunkeln bleibt darüber hinaus auch, wie mit der von Putin, Xi und Trump und vielen anderen verfolgten „Geoökonomik“3 in ihren eigenen Ländern dauerhaft Wachstum ermöglicht werden soll. Denn der Einsatz von Handel, Zöllen, Energie, Rohstoffen, Zinsen, Krediten, Investitionen, Hilfsprogrammen und Sanktionen als politische Instrumente zur Verfolgung nationaler Interessen und zur Gewinnung geopolitischer Vorteile hebelt systematisch den Haupttreiber des Wohlstands aus.
Während das Recht die Grundlage des Wohlstands bildet, ist die funktionale Differenzierung der Gesellschaft sein Treiber. Unter funktionaler Differenzierung wird die Entstehung von gesellschaftlichen Teilsystemen wie Wirtschaft, Politik, Recht, Wissenschaft, Medien, Religion, Kunst etc. verstanden, die auch als Funktionssysteme bezeichnet werden, weil sie für die Gesamtgesellschaft jeweils – und in gewissem Ausmaß selbststeuernd – unterschiedliche Funktionen erfüllen. So besteht die Aufgabe der Wissenschaft darin, falsches Wissen zu entlarven und nicht falsifiziertes Wissen zu sammeln. Die Aufgabe der Politik ist es, allgemeinverbindliche Entscheidungen herbeizuführen, die allgemeinen und abstrakten Regeln entsprechen.
Diese gesellschaftliche Arbeits- und Machtteilung in Teilsysteme bedeutet jedoch nicht, daß keine Interdependenzen zwischen den Teilsystemen bestehen. Sollte die Politik der Wissenschaft die Kriterien vorschreiben, nach denen die Wissenschaft vorzugehen hat, dann kann die Wissenschaft ihre wissenschaftliche Funktion für die Gesamtgesellschaft nicht erfüllen. Sollte die Politik der Wissenschaft vorschreiben, was wissenschaftlicher Fortschritt ist, dann wird die Wissenschaft nur sehr selten Innovationen hervorbringen.
Das Gleiche gilt, wenn die Politik der Wirtschaft Vorschriften macht, die der Handlungslogik der Wirtschaft widersprechen. Die Wirtschaft kann dann keinen Wohlstand für alle erzeugen. Umgekehrt führt eine Übertragung von wirtschaftlicher Handlungslogik (z. B. Gewinne zu maximieren) in die Politik zur Korruption der politischen Entscheidungsträger. Die Politik erfüllt dann nicht ihre Funktion für die Gesamtgesellschaft, allgemeine und abstrakte Regeln durchzusetzen.
Die von Ökonomen vielzitierte „Interdependenz der Wirtschaftsordnung mit allen übrigen Lebensordnungen“4 (Walter Eucken) bedeutet deshalb nicht, daß alle übrigen Lebensordnungen die Handlungslogik der Wirtschaft annehmen sollen. Die übrigen Lebensordnungen oder funktionalen Teilsysteme (Politik, Recht, Wissenschaft, Medien, Religion etc.) können ihre Leistung für die Gesamtordnung (und damit auch für das Wirtschaftssystem) nur erbringen, wenn sie ihre eigene Handlungslogik bewahren. Gerade in der Bewahrung der eigenen Handlungslogik der gesellschaftlichen Teilsysteme besteht die gesellschaftliche Arbeits- und Machtteilung in offenen Gesellschaften, die in beispielloser Weise Wohlstand für alle ermöglicht hat.
Der Einsatz von Handel, Zöllen, Energie, Rohstoffen, Zinsen, Krediten, Investitionen, Hilfsprogrammen und Sanktionen als politische Instrumente zur Verfolgung nationaler Interessen und zur Gewinnung geopolitischer Vorteile ist nichts anderes als die teilweise oder gänzliche Ausschaltung (und Gleichschaltung) der Handlungslogik des gesellschaftlichen Teilsystems Wirtschaft und erzeugt enorme Wohlfahrtsverluste.
Wir stehen deshalb heute vor der Herausforderung, wie die Eigenlogik der Wirtschaft, aber auch die Eigenlogik der anderen gesellschaftlichen Teilbereiche, sowohl innerhalb der Staaten als auch in den internationalen Beziehungen und der Weltwirtschaft erhalten und gestärkt werden kann. Eine neue Weltwirtschaftsordnung wird dann eine bessere globale Ordnung als die heutige sein, wenn der sich weiter verstärkenden Wettbewerb der Staaten und Staatenblöcke zu Regeln und Regelsysteme der Weltwirtschaft führt, die Freiheit und Wohlstand für alle besser fördern und Globalisierung und Kapitalismus erhalten helfen.
1 Siehe allgemein Edward N. Luttwark: „From Geopolitics to Geo-Economics. Logic of Conflict, Grammar of Commerce”, in: The National Interest, No. 20, Summer 1990, S. 17 – 23
2 Siehe Thomas Mayer und Norbert F. Tofall: Die neue deutsche Europapolitik hat keine Interessen. Das Wunder Europa ist jedoch aus Interessenkonflikten hervorgegangen, Kommentar zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 2. Februar 2018, online abrufbar unter: www.fvs-ri.com
3 Zum Begriff Geoökonomik siehe Robert D. Blackwill and Jennifer M. Harris: War by Other Means. Geoeconomics and Statecraft, Cambridge, Massachusetts, and London, England, (Harvard University Press) 2017, S. 20: „Geoeconomics: The use of economic instruments to promote and defend national interests, and to produce beneficial geopolitical results; and the effects of other nations’ economic actions on a country’s geopolitical goals.” Notabene: Der Begriff Geoökonomik wird zwar immer populärer, es hat sich jedoch bislang keine allgemein anerkannte Definition durchgesetzt.
4 Walter Eucken: Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 5., unveränderte Auflage, Tübingen (Mohr) 1975, S. 14.
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