14.02.2020 - Kommentare
Die Bank of Canada, die Bank of England, die Bank of Japan, die Europäische Zentralbank, die Schwedische Reichsbank und die Schweizer Nationalbank haben zusammen mit der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) eine Arbeitsgruppe für digitales Zentralbankgeld gegründet. Unter der gemeinsamen Leitung des ehemaligen EZB-Direktors und neuen Leiters des BIZ-Innovationszentrums Benoit Coeuré und Jon Cunliffe, dem stellvertretenden Gouverneur der Bank of England, soll die Arbeitsgruppe untersuchen, welche möglichen Anwendungsfälle von Central Bank Digital Currency (CBDC) sich ergeben könnten. Insbesondere sollen die ökonomischen, funktionalen und technischen Gestaltungsmöglichkeiten einschließlich des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs analysiert werden, wobei die Gruppe in enger Koordination mit dem Finanzstabilitätsrat und dem Ausschuß für Zahlungsverkehr und Marktinfrastrukturen der BIZ zusammenarbeiten soll.1
In diesem Zusammenhang ist es sicherlich kein Zufall, daß die Europäische Zentralbank im Januar 2020 ein Working Paper ihres Generaldirektors für Marktinfrastrukuren Ulrich Bindseil veröffentlicht hat, in welchem Bindseil nicht nur den allgemeinen Zweck von Central Bank Digital Currency und mögliche Folgen für das bestehende Finanzsystem diskutiert, sondern ein Modell vorstellt, in welchem jedem Haushalt und jedem Unternehmen im Euroraum ein Einlagenkonto mit digitalem Zentralbankgeld bei der EZB eingerichtet wird.2 Laut Disclaimer dieses Working Papers sollen die Ausführungen von Ulrich Bindseil nicht als „representing the views of the European Central Bank“ zitiert werden. Da die EZB-Präsidentin Christine Lagarde aber bereits wiederholt gefordert hat, daß die Zentralbanken bei der Entwicklung von digitalem Geld vorangehen müßten, und da Christine Lagarde die ultralockere und unkonventionelle Geldpolitik ihres Vorgängers Mario Draghi nicht nur fortsetzen, sondern für Zwecke des Klimaschutzes und anderer politischer Aufgaben weiter ausbauen möchte, war nicht zu erwarten, daß ihr Generaldirektor für Marktinfrastrukturen Vorschläge für digitales Zentralbankgeld vorlegt, welche die Marktinfrastrukturen so gestalten, daß die ultralockere und unkonventionelle Geldpolitik der EZB zurückgedrängt oder auch nur begrenzt werden wird.
Folglich dienen die Vorschläge von Bindseil nicht dazu, die Möglichkeiten der Digitalisierung für eine Geldsystemreform zu nutzen und eine ordnungspolitische Stabilisierung des Euro durch Privatwährungswettbewerb einzuleiten.3 Ulrich Bindseil beschreibt seine Absicht wörtlich:
„It is therefore essential to be able to steer the issuance of CBDC in such a way that it serves the efficiency of retail payments, without necessarily putting into question the monetary order by making CBDC a major form of store of value.”4
Für Ulrich Bindseil ist es unerläßlich, daß die Emittierung von Central Bank Digital Currency (CBDC) so gesteuert werden muß, daß die bestehende Währungsordnung nicht dadurch in Frage gestellt wird, daß digitales Zentralbankgeld zu einer wichtigen Form der Wertaufbewahrung für die Bürger wird. Geld soll weiterhin durch Kreditvergabe erzeugt werden, aber der Nutzer soll dieses nun nicht nur in Zentralbankgeld aus Papier (also Bargeld in Form der uns bekannten Geldscheine), sondern in begrenztem Umfang auch in von der EZB geschaffenes „digitales“ Geld tauschen können. Jedem Haushalt bzw. Bürger in der Eurozone soll zu diesem Zweck bei der EZB ein eigenes Einlagenkonto mit digitalem Zentralbankgeld eingerichtet werden, wodurch die Anzahl der Einlagenkonten bei der EZB von derzeit ca. 10.000 auf 300 Millionen bis 500 Millionen steigen dürfte. Alternativ könnte die EZB digitales Zentralbankgeld aber auch als Kryptogeld ausgeben. Da dies direkt („peer-to-peer“) übertragen werden kann, würde die Kontoführung bei der EZB entfallen.
Um zu verhindern, daß das digitale Zentralbankgeld von den Bürgern verstärkt zur Wertaufbewahrung verwendet wird, schlägt Bindseil eine gestaffelte Vergütung (tiered remuneration) für die Einlagen aus digitalem Zentralgeld vor. In der Stufe 1 (Tier 1) soll bis zu einer Höhe von 3000 Euro die Vergütung der Vergütungshöhe für Überschußreserven entsprechen, wobei eine „Untergrenze“ von Null gilt. In der Stufe 2 (Tier 2) soll die Vergütung 2 Prozentpunkte unterhalb der Vergütung für Überschußreserven liegen, wobei eine „Obergrenze“ von Null gilt. Die Stufe 2 dient also ausdrücklich der „Disincentivierung“.
Das heißt, nach Ulrich Bindseil muß das von der EZB emittierte digitale Zentralbankgeld für die Bürger von vornherein so unattraktiv sein, daß von ihm kein heilsamer Zwang zur Reform der fragilen Europäischen Währungsunion ausgelöst werden kann. Für Bindseil, der den Euro als Kreditgeld und die derzeitige ultralockere Geldpolitik der EZB nicht in Frage stellt, ist das auch nur konsequent. Die innovativen Möglichkeiten der Digitalisierung sollen deshalb gerade nicht dazu genutzt werden, das bestehende Geldsystem durch eine Geldreform zu verändern. Bindseil führt deshalb sehr detailreich in 8 Kapiteln aus, wie digitales Zentralbankgeld eingesetzt werden kann, um das bestehende Banken- und Geldsystem zu verlängern und zu verfestigen.
Wird diese durchaus verständliche, aber wenig selbstkritische EZB-Binnensicht jedoch nicht geteilt, dann stellt sich die Frage, ob mit Bindseils digitalem Zentralbankkonzept nicht eine große Chance verpaßt und eine geldpolitische Evolution hin zu einer marktwirtschaftlichen Geldordnung im Sinne von Friedrich August von Hayek behindert wird. Denn durch die Einrichtung eines Einlagenkontos bei der EZB mit digitalem Zentralbankgeld für jeden Bürger in Höhe eines durchschnittlichen monatlichen Haushaltseinkommens wird einerseits die Verbreitung und Verwendung von digitalem Zentralbankgeld ermöglicht (Payment-Funktionalität), aber dadurch gleichzeitig staatlicherseits behindert, daß eine der Staatswährung Euro Konkurrenz machende Massennachfrage nach privaten digitalen Währungen für den Zahlungsverkehr entsteht, durch welche ein heilsamer Zwang zur Stabilisierung des Euro und zu einer Geldsystemreform ausgelöst werden könnte. Andererseits soll das digitale Zentralbankgeld der EZB so unattraktiv sein, daß es nicht seinerseits diesen heilsamen Zwang hervorbringt. Es soll schließlich verhindert werden, daß durch Währungswettbewerb evolutionär eine neue Geldordnung entsteht.5 Das digitale Zentralbankgeld à la Bindseil dient deshalb lediglich der Ergänzung und Aufrechterhaltung des Euro in unserem bestehenden fragilen Kreditgeldsystems.
Würde hingegen der Euro von der EZB als eine mit Staatsanleihen gedeckte Digitalwährung („asset-backed token“ oder „stablecoin“) geschaffen, wäre er nicht nur länger vom Zerfall in widrigen Umständen bedroht, sondern würde auch die Möglichkeit eröffnen, die am Markt ausstehende Schuld der Eurostaaten erheblich zu verringern.6 Eine Entschuldung der Eurozone könnte so anlässlich der Digitalisierung der Währung vorangetrieben werden. Die für die Stabilität des Kreditgeldsystems lebenswichtige aber politisch kaum durchsetzbare Vergemeinschaftung der Versicherung für Bankeinlagen und der Staatsschulden wäre nicht nötig, weil unser fragiles Kreditgeldsystem durch digitales Stablecoin-Zentralbankgeld in ein stabiles Geldsystem überführt würde. Folglich könnte die Neuaufstellung des Euro als vollständig gedeckte Digitalwährung nicht nur die Europäische Währungsunion auf eine nachhaltige Grundlage stellen, sondern auch andauernde politische Zwistigkeiten über die Vergemeinschaftung der Haftung für Banken- und Staatsschulden beenden.
Die derzeitigen Versuche, den geldpolitischen Status quo zu sichern, dürfte keinen Erfolg haben. Der technische Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Und den technischen Fortschritt mit Hilfe des technischen Fortschritts blockieren zu wollen, führt nur dazu, daß man sich selbst die Zukunft verbaut und anderen die Wachstumschancen in diesen Zukunftsfeldern überläßt. Auch digitale Privatwährungen wären nur zum Preis von Zugangsbeschränkungen im Internet wie sie China praktiziert aufzuhalten. Gemeinsam mit digitalem Zentralbankgeld aus China werden sich Privatwährungen über Südamerika und Afrika ausbreiten und müssten von einer Art europäischer „Internet-Frontex“ aus dem den Europäern zugänglichen Netz verbannt werden. Statt aber Verbote und Abwehrmaßnahmen zu ersinnen, sollten wir den Mut haben, die Möglichkeiten der Digitalisierung für eine Geldreform zur Verhinderung des in der nächsten Krise drohenden Zerfalls des Euro zu nutzen.
1 Vgl. Pressemitteilung der Europäischen Zentralbank vom 21. Januar 2020, online unter: www.ecb.europa.eu/press/pr/date/2020/html/ecb.pr200121_1~e99d7946d6.en.html
2 Siehe Ulrich Bindseil: Tiered CBDC and the financial system, European Central Bank, Working Paper Series, No 2351, January 2020.
3 Zur Rettung des Euro durch Privatwährungswettbewerb und Begrenzung der ultralockeren Geldpolitik durch einen digitalen Euro als Vollgeld siehe Thomas Mayer und Norbert F. Tofall: Währungswettbewerb zur Rettung des Euro, Studie zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 31. Oktober 2018, online unter: www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/studien/waehrungswettbewerb-zur-rettung-des-euro/
4 Ulrich Bindseil: Tiered CBDC and the financial system, … a.a.O., S. 2.
5 Zum evolutionären Übergang zu einer marktwirtschaftlichen Geldordnung bereits FRANK SCHÄFFLER und NORBERT F. TOFALL: „Währungswettbewerb als Evolutionsverfahren. Der Übergang vom staatlichen Papiergeldmonopol zu einer marktwirtschaftlichen Geldordnung ist evolutionär mittels Wettbewerb möglich“, in: PETER ALTMIKS (Hg.): Im Schatten der Finanzkrise. Muss das staatliche Zentralbankwesen abgeschafft werden? München (Olzog) 2010, S. 135 – 155 sowie FRANK SCHÄFFLER und NORBERT F. TOFALL: „Euro-Stabilität durch konkurrierende Privatwährungen“, in: DIRK MEYER (Hg.): Die Zukunft der Währungsunion. Chancen und Risiken des Euros, mit Beiträgen von Helmut Schmidt, Václav Klaus, Arnulf Baring, Roland Vaubel, Wolf Schäfer, Hans-Olaf Henkel, Charles B. Blankart und anderen, Berlin (LIT) 2012, S. 275 – 288.
6 Siehe dazu Thomas Mayer: „A digital Euro to save the Euro“, voxeu.org vom 6. November 2019 und Thomas Mayer: “To save the euro, turn it into a digital currency”, Financial Times vom 18. November 2019.
15.01.2018 - Wirtschaft & Politik
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