19.01.2022 - Studien
Die gegenwärtig steigende Inflation veranlasst Anleger, nach inflationsresistenten Anlagen zu suchen. Gemeinhin werden zu dieser Anlageklasse auch Aktien gezählt. Doch erfüllen sie die Erwartung?
Theoretisch betrachtet scheint dies der Fall zu sein, denn Gewinne und Dividenden der Unternehmen können im Gegensatz zu den festen Kuponzahlungen von Anleihen mit der Inflation steigen. Doch verändert Inflation auch das Umfeld für Unternehmen und löst Reaktionen der Geldpolitik aus. Wie resistent die Aktienanlage gegen Inflation ist, muss also empirisch geklärt werden.
Frühere Studien haben die nominale und reale Aktienrendite in Perioden mit unterschiedlich hoher Inflation verglichen. So findet zum Beispiel Kai Lehmann in einer Studie des Flossbach von Storch Research Institute (https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/studien/aktien-und-inflation-auf-den-nominalzins-kommt-es-an/), dass sowohl die nominalen als auch realen Renditen auf den deutschen DAX-Index und den amerikanischen S&P500 Index mit steigender Inflation abnehmen.
Zu einem etwas anderen, aber in der Tendenz ähnlichem Ergebnis kommt Peter Oppenheimer von Goldman Sachs (https://www.goldmansachs.com/insights/pages/gs-research/reflation-risk/report.pdf). Er findet, dass die reale Rendite in Perioden am höchsten ist, in denen die Inflation von weniger als einem Prozent ausgehend ansteigt. Am zweithöchsten ist die Rendite bei einer Inflation zwischen 1-3 Prozent, wobei es besser ist, wenn die Inflation in diesem Bereich über die Zeit fällt, statt steigt. In Perioden mit Inflation über 3 Prozent ist die reale Rendite am geringsten. Sie wird sogar negativ, wenn die Inflation von diesem Wert aus über die Zeit ansteigt.
Allerdings könnte es sich bei den betrachteten Zusammenhängen auch um Scheinkorrelationen zwischen Renditen und Inflation handeln und eine andere Variable für die Renditen maßgeblich sein. So sind zum Beispiel in den betrachteten Zeiträumen bei höherer Inflation früher oder später auch die Zinsen gestiegen. Dass die Zinsen einen wichtigen Einfluss ausüben, zeigt die Studie von Kai Lehmann. Sowohl in Deutschland als auch in den USA sind über die verschiedenen Perioden sinkende nominale und reale Aktienrenditen mit steigenden nominalen Zinsen verbunden gewesen. Dies lässt die Vermutung zu, dass die Aktienrendite mit der Inflation zwar korreliert, aber tatsächlich von der Zinsentwicklung beeinflusst worden sein könnte.
Außerdem betrachten die zitierten Studien die Aktienperformance in Anlageperioden mit hoher, mittlerer und niedriger Inflation. Der Anlagehorizont des tatsächlichen Anlegers dürfte aber nicht so klar von unterschiedlichen Inflationsregimen bestimmt sein. Je nach Zeitpunkt der ersten Anlage und Zeithorizont der Anlage dürfte die Anlagen in der realen Welt verschiedene Kombinationen von Phasen niedriger, mittlerer und höherer Inflation durchlaufen.
Wenn steigende Inflation tatsächlich einen negativen Einfluss auf die Aktienanlage ausüben würde, dann würden Anleger bei steigender Inflation weniger Aktien nachfragen. Folglich sollten Veränderungen der Inflation mit Veränderungen der Aktienpreise negativ korreliert sein. Grafik 1 zeigt den Zusammenhang zwischen Veränderungen der jährlichen Inflationsrate und der Aktienpreise am Beispiel der USA für die Zeit von 1871 bis 2021 in einem Streudiagramm. Wie unschwer zu erkennen ist, besteht zwischen beiden Variablen kein systematischer Zusammenhang. Gäbe es diesen, müsste die Regressionslinie eine statistisch signifikant positive Steigung haben. Tatsächlich verläuft diese Linie beinahe horizontal und ihre Neigung ist statistisch insignifikant. Das Bild ändert sich kaum, wenn man die Veränderungen über fünf Jahre statt über einem Jahr betrachtet (Grafik 2).1
Für den Anleger entscheidend ist aber, ob er bei der Aktienanlage eine positive reale Rendite erwarten darf. Um verschiedene Anlagehorizonte zu berücksichtigen, habe ich die (mit dem Konsumentenpreisindex bereinigte) reale Rendite des S&P 500 Performance- („Total Return“) -Index, der Dividendenerträge einschließt, für verschiedene Anlagehorizonte seit 1871 berechnet. Die annualisierten Erträge habe ich dann mit der Entwicklung der Leitzinsen der Federal Reserve (des Diskontsatzes ab 1915 und der Federal-Funds Ziel-Rate ab 2002) sowie der jährlichen Inflationsrate verglichen. Grafik 3 zeigt die durchschnittliche jährliche Rendite zum Ende der jeweiligen Haltedauer und die genannten anderen Variablen.
Seit 1871 haben Anlagen im S&P500 mit 20- bis 30-jähriger Haltedauer für jedes Jahr der Neuanlage unabhängig von der Inflation und den Zinsen am Ende des Anlagezeitraums eine positive reale Rendite erzielt. Bei Anlagen mit 10-jähriger Haltedauer traf dies in 90 % der Fälle, bei Anlage mit 5-jähriger Haltedauer in 79 % der Fälle zu.
Für unsere Fragestellung von besonderem Interesse sind Perioden mit höherer Inflation. Dabei erscheint es sinnvoll, aufgrund der besonderen Umstände die Kriegsjahre 1914-18 und 1941-45 auszublenden. Bei dieser Betrachtung zeigt sich, dass bei 5- und 10-jähriger Haltedauer vor allem dann negative reale Renditen auftraten, wenn die nominalen Zinsen gestiegen sind. Das war im Verlauf der 1920er Jahr und dann wieder im Verlauf der 1970er Jahre der Fall. In den 1920er Jahren überstiegen die Zinsen die sehr niedrigen und zeitweilig sogar negativen Inflationsraten. 1929, im Jahr des großen Aktienmarktcrash, erreichte der Diskontsatz 5 Prozent bei einer Inflationsrate von null. In den 1970er Jahren folgten die Zinsen dem Anstieg der Inflation und überstiegen diese schließlich Anfang der 1980er Jahre.
Insgesamt sind die realen Renditen auf den S&P500 Ertragsindex für alle Halteperioden negativ mit den Zinsen korreliert (mit Korrelationskoeffizienten von -0,11 bis -0,31). Außer des Koeffizienten für Anlagen mit fünfjähriger Haltedauer sind alle Koeffizienten statistisch signifikant mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von weniger als 5 %. Ähnliche negative Korrelationen bestehen auch zwischen den Renditen und der Inflation, doch dürfte dies daran liegen, dass die Federal Reserve auf höhere Inflation mit höheren Zinsen reagiert hat (sichtbar an einer Korrelation zwischen diesen Variablen von +0,31). Höhere Zinsen haben dann die Rendite verringert.
Vergleicht man die Zeit der Großen Depression nach dem Crash von 1929 mit den 1970er Jahren, fällt auf, dass die realen Renditen auf den S&P500 Ertragsindex für die längeren Halteperioden nicht grundsätzlich unterschiedlich ausfallen. Der Grund dafür ist, dass die Deflation der frühen 1930er Jahre den Fall des nominalen Index in realer Größe abgemildert hat, während die Inflation der 1970er Jahre den Anstieg des Indexes im Verlauf des Jahrzehnts in realer Größe abgebremst hat.
Auf den ersten Blick erscheint auch die durchgehend positive reale Rendite für Halteperioden von 20 und 30 Jahren überraschend. Denn oft wird darauf verwiesen, dass der US-Aktienmarkt erst in den 1950er Jahren wieder das Niveau von 1929 erreichte. Das trifft jedoch nur auf die Betrachtung des Preisindex zu. Der Ertragsindex, der auch die Dividendenzahlungen berücksichtig, überstieg schon in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre wieder seinen Stand von 1929. Grafik 4 zeigt, wie sich dies auf die Ertragsberechnungen von Anlagen mit 20-jähriger Haltedauer auswirkte (wobei „PR“ und „TR“ für Preisertrag und Gesamtertrag stehen).
Während man sich bei Aktienanlagen einen gewissen Schutz vor Inflation verspricht, gilt Gold als die ultimative Inflationsversicherung. Der Vergleich der jährlichen Veränderungen zeigt jedoch keine bessere Schutzwirkung als bei der Aktienanlage. Erst wenn man Veränderungen über 5 Jahre betrachtet, zeigt sich die erwartete positive Korrelation (Grafik 5).
Der Korrelationskoeffizient mit 0,36 (Quadratwurzel von 0,1295) ist zwar statistisch signifikant, aber nicht besonders hoch. Das dürfte daran liegen, dass der in US-Dollar ausgedrückte Goldpreis in der Zeit des Goldstandards (ca. 1880 bis 1939) weitgehend stabil war. Betrachtet man jedoch den Zeitraum seit der Entstehung des Fiat-Kreditgeldsystems im Jahr 1971, wird der Inflationsschutz von Gold deutlicher (Grafik 6). Für diese Periode ist der Korrelationskoeffizient (Quadratwurzel von 0,267) mit 0,52 deutlich höher (und mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von weniger als 5 % signifikant).
Allerdings lässt die Goldanlage bei fünfjähriger Haltedauer nicht immer eine positive reale Rendite erwarten. Über den Zeitraum von 1871 bis 2021 war rund die Hälfte der Renditen negativ. Wie Grafik 7 zeigt, waren die Renditen insbesondere in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, während der Zeit des Bretton-Woods Währungssystems (1948-71), sowie in den 1980er und 1990er Jahren negativ. Die beste Performance lieferte Gold in Krisenzeiten. Dazu zählten die frühen 1930er Jahre, die Jahre der „Stagflation“ in den 1970er Jahren und die Jahre nach der Finanzkrise von 2007/08.
Allerdings weist Grafik 7 auf einen anderen Nutzen eines Portfolios aus Aktien- und Goldanlagen hin. Bei der hier betrachteten fünfjährigen Haltedauer ist die reale Rendite der Anlage in Gold mit der in Aktien negativ korreliert. Der Korrelationskoeffizient von -0,29 ist bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von weniger als 5 % statistisch signifikant.
Die Erfahrung der vergangenen 150 Jahre in den USA zeigt, dass es keinen systematischen Zusammenhang zwischen Veränderungen der Inflation und den Aktienpreisen im gleichen Jahr gibt. Auch über einen etwas längeren Zeitraum, wie zum Beispiel fünf Jahre, sind die Veränderungen unkorreliert. Dies legt den Schluss nahe, dass es wahrscheinlich nicht die Inflation selbst, sondern die Reaktion der Zinsen darauf ist, die für negative Renditen auf Aktienanlagen sorgen könnte.
Jedoch erzielte die Aktienanlage mit längeren Anlagehorizonten (hier 20-30 Jahre) auch unter widrigen Umständen durchgehend positive reale Renditen. Aktienanlagen über kürzere Horizonte (5-10 Jahre) brachten gelegentlich negative reale Renditen, wenn die Zentralbank mit energischen Zinserhöhungen auf ansteigende Inflation reagierte.
Aufgrund der hohen Verschuldung öffentlicher und privater Schuldner dürfte heute jedoch die Fähigkeit der Zentralbanken, steigende Inflation mit realen Zinserhöhungen zu bekämpfen, gering sein. Hinzu kommt, dass Anlagen in Anleihen zum gegenwärtigen Zeitpunkt über die betrachteten Anlage-horizonte in der Zukunft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit negative reale Renditen erzielen werden. Folglich könnten Aktien indirekt sogar von steigender Inflation profitieren, wenn Anleger in ihren Portfolios den Anteil von Anleihen und Geldanlagen bei Banken zu Gunsten von Aktienanlagen verringern. Insofern kann die Frage, ob die Aktienanlage der Inflation wohl widerstehen wird, durchaus mit ja beantwortet werden. Dies gilt umso mehr für ein Portfolio mit Aktien von Unternehmen mit hoher Preissetzungsmacht und Profitabilität.
Während von Aktien ein gewisser Schutz vor Inflation erwartet werden kann, gilt Gold als die ultimative Inflationsversicherung. Tatsächlich waren Veränderungen des Goldpreises über einen Zeitraum von fünf Jahren in den USA seit 1871 mit entsprechenden Veränderungen des Preisniveaus positiv korreliert. Die Korrelation war seit Beginn des Fiat Kreditgeldsystems im Jahr 1971 deutlich höher. Da die Anlage in Gold jedoch keine Erträge abwirft, war die reale Rendite bei fünfjähriger Haltedauer in rund der Hälfte der Fälle negativ. Dennoch kann die Anlage in Gold als Schutz in Krisenzeiten dienen und aufgrund ihrer negativen Korrelation mit der Aktienanlage zur Stabilisierung eines Portfolios beitragen.
1 Theoretisch sollten Anleger auf die erwartete statt der laufenden Inflationsrate achten. Jedoch orientieren sich Inflationserwartungen meist an der laufenden Inflationsrate. Zum Beispiel beträgt der Korrelationskoeffizient zwischen der laufenden US-Inflationsrate und der aus nominalen und inflationsindexierten zehnjährigen US-Staatsanleihen berechneten Breakeven-Inflationsrate seit 1998 auf Jahresbasis 0,53. Folglich dürfte der Unterschied zwischen der tatsächlichen und der erwarteten Inflationsrate für die Betrachtung auf Jahresbasis eine geringe und für die Betrachtung auf Fünfjahresbasis eine zu vernachlässigende Rolle spielen.
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