28.12.2020 - Kommentare

What a difference a year makes!

von Thomas Mayer


Die Erfahrung der Corona-Pandemie dürfte die größte Erschütterung der Welt seit dem Kollaps des Sowjetimperiums vor dreißig Jahren sein. Und wie der Untergang der Sowjetunion dürfte auch die Corona-Pandemie zu weitreichenden Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft führen.

Ich hoffe, Fans von Dinah Washington nehmen es mir nicht übel, wenn ich den Titel ihres wunderbaren Songs leicht abgeändert habe. Aber er passt einfach perfekt auf das vergangene Jahr, das uns eine umfassende Veränderung unserer Lebensumstände brachte, die noch lange nachwirken wird.

Ich denke, es ist keine Übertreibung, zu sagen, dass die Erfahrung der Corona-Pandemie die größte Erschütterung der Welt seit dem Kollaps des Sowjetimperiums vor dreißig Jahren war. Beide Ereignisse schlichen sich an und brachen dann unerwartet über uns herein. Und wie der Untergang der Sowjetunion dürfte die Corona-Pandemie zu weitreichenden Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft führen. Nach dem spektakulären Versagen des „real existierenden Sozialismus“ triumphierte zunächst die liberale Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft. Francis Fukuyama meinte, die geschichtliche Evolution habe ihr „Ende“ - im Sinne von ihrer „höchsten Entwicklungsstufe“ - erreicht. Aber schon im Moment des Triumphs keimte der Rückschlag.

Die der liberalen Ordnung widersprechende Zinsmanipulation durch die Zentralbanken löste eine Serie von Finanzkrisen aus, die in der Großen Finanzkrise von 2007/08 ihren Höhepunkt fand. Diese Krise wurde durch das zu erwartende Versagen der Zentralplaner bei der Steuerung des Zinses verursacht. Aber sie wurde fälschlicherweise der liberalen Ordnung angelastet und leitete den Rückschlag in der „Evolution der Geschichte“ ein. Die liberale Gesellschaft begann, in linke und rechte Identitätsgruppen zu zersplittern. Die Linksidentitären verleumdeten den Liberalismus, um ihr Konzept der Identitätsgerechtigkeit voranzutreiben. Sie pressten der Mehrheitsgesellschaft Ablasszahlungen an von ihnen definierte Opfergruppen für frühere Sünden ab. Die Rechtsidentitären erklärten sich zum Beschützer des „Volks“ gegen die Ansprüche der Opfergruppen und den Liberalismus. Dazwischen kletterte der Staat, der sich nach links lehnt, um ja nicht nach rechts zu kippen, wieder auf die Kommandobrücke über Wirtschaft und Gesellschaft.

Mit der Corona-Pandemie ist er nun dort vollständig angekommen. Er regelt unser Leben in der Pandemie mehr schlecht als recht und fördert die Abhängigkeit der Wirtschaft von seinen Futtertrögen, die er mit dem von seinen Zentralbanken in üppigen Mengen hergestellten Geld füllt. Nach dem durch die Pandemie verursachten Teilabriss, will er die Wirtschaft nach seinen Vorstellungen wieder auf- und dabei „grüner“ umbauen. Unangefochten von einer zerrissenen Wählerschaft wird er wohl auf dem Weg der Staatswirtschaft solange weitergehen, bis sein erneutes Scheitern einen neuen Neuanfang erlaubt. Auch dem, der dem Staats- und Geschichtsphilosophen Georg Friedrich Wilhelm Hegel kritisch gegenübersteht, dängt sich das von ihm begründete Prinzip der dialektischen Entwicklung auf.

Schon in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts wusste Alexis de Tocqueville über die „Vormundschaftsgewalt“ des Staates über seine Bürger: „Sie arbeitet gern für ihr Glück; aber sie will allein daran arbeiten und allein darüber entscheiden; sie sorgt für ihre Sicherheit, sieht und sichert ihren Bedarf, erleichtert ihre Vergnügungen, führt ihre wichtigsten Geschäfte, leitet ihre gewerblichen Unternehmungen, regelt ihre Erfolge und teilt ihren Nachlass; könnte sie ihnen nicht vollends die Sorge, zu denken, abnehmen und die Mühe, zu leben?“ Beinahe scheint es, als ob die heutige links-grüne Vormundschaftsgewalt und ihre staatlichen Medien Tocquevilles Frage mit ja beantworten wollten.

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