18.06.2024 - Studien

Wer die Wahl hat, hat die Qual – Strategien zur richtigen Wahl der Kapitalanlage

von Sven Ebert


Anlegern stehen in Deutschland eine Vielzahl an Möglichkeiten zur Verfügung, um am Kapitalmarkt teilzunehmen. Zuviel Auswahl könnte mit dafür verantwortlich sein, dass diese Möglichkeiten bisher nur von wenigen wahrgenommen werden. Wir stellen Verhaltensweisen vor, die Entscheidungsfindung und Teilnahme erleichtern.

I. Große Auswahl als Entscheidungsproblem und Heuristiken als Lösungsmöglichkeit

Die Qual der Wahl

Viele werden die Situation kennen: Man will auf dem Heimweg nur noch mal eben schnell eine Tüte Milch kaufen. Aber im Supermarkt angekommen, stockt das Vorhaben beim Blick auf die Auswahl: Soll es Biomilch sein, regional erzeugt oder doch eher das günstigste Produkt. Welcher Fettgehalt darf es sein? Oder probiere ich heute mal die pflanzliche Alternative? Am Ende vergehen quälende Minuten ohne eine Entscheidung und beim Blick auf die lange Schlange an der Kasse verlässt man den Supermarkt schlussendlich unverrichteter Dinge und genießt den Kaffee am nächsten Morgen ohne Milch. Wissenschaftler bezeichnen dieses Phänomen als „Choice Overload“ – zu viele Möglichkeiten hemmen die Fähigkeit zu entscheiden.1

Automobilhersteller reduzieren aktuell die Zahl der angebotenen Varianten ihrer Fahrzeuge. Ob bei Felgen, Sitzen oder der Farbe, der Trend geht zu weniger Auswahl. Die Abkehr von der historisch gewachsenen Modellvielfalt deutet daraufhin, dass neben Kostenüberlegungen auch die Überforderung des Kunden durch zu viel Auswahl von den Herstellern zunehmend als Problem wahrgenommen wird.2

Und auch in der Finanzindustrie droht Choice Overload. In Deutschland gibt es fast 15.000 Investmentfonds und an der Börse in Frankfurt werden 1,5 Millionen Wertpapiere gehandelt. Bleiben Anleger aufgrund der schieren Masse an Auswahl dem Kapitalmarkt fern, geht einerseits wertvolle Liquidität verloren und andererseits werden keine ausreichenden Ersparnisse zum Beispiel für die Altersvorsorge gebildet.

Was uns hemmt zu entscheiden

Ursachen für Choice Overload gibt es viele. Eine (nicht abschließende) Liste von Merkmalen, in denen viel Auswahl eine Entscheidung erschwert, umfasst die folgenden drei Punkte:3

  1. Geringe emotionale Verknüpfung zum Produkt: Während die Auswahl eines Urlaubszieles zumeist Freude macht, ist das Auswählen einer privaten Haftpflichtversicherung ein notwendiges Übel. Im zweiten Fall schrecken große Auswahlmöglichkeiten  ab, sich überhaupt mit der Thematik zu beschäftigen.
  2. Unklare oder schwache Präferenzen: Müssen sich Präferenzen und Bedürfnisse, die ein Produkt befriedigen soll, erst im Kaufprozess erarbeitet werden, ist dies anstrengend. Es kommt leichter zum Abbruch des Kaufprozesses. Das Phänomen tritt insbesondere dann auf, wenn man ein Produkt selten oder erstmalig kauft.
  3. Hohe negative emotionale Verknüpfung mit der Aufgabe: Beispielsweise erzeugt die Erstellung einer Patientenverfügung oder eines Testaments bei vielen Menschen ein unangenehmes Gefühl. Kommen dann noch zu viele Textbausteine und Optionen ins Spiel, widmen wir uns schnell lieber angenehmeren Dingen.

Neben diesen subjektiven Faktoren hängt das Auftreten von Choice Overload zusätzlich von der Struktur der Auswahlmöglichkeiten ab. Besteht die Auswahlmenge aus vielen ähnlichen Produkten bzw. Substitutionsgütern, in der sich keine dominante Option ausmachen lässt, wird Choice Overload befördert. Ebenfalls förderlich wirkt eine komplizierte Präsentation der Auswahlmöglichkeiten zum Beispiel durch Angabe besonders vieler Produkteigenschaften.4 Im Rahmen fondsbasierter Kapitalanlage stellt eine aktuelle Studie eine dazu passende These auf:

“The presence of a large number of mutual funds in the markets leads to increased decision difficulty, increased anticipatory regret, higher chances of deferring a choice, reduced product satisfaction, and reduced decision process satisfaction.” 5

Eine hohe Zahl an verfügbaren Investmentfonds erschwert privaten Investoren die Auswahl. Quantitativ gestützt wird dies durch eine frühere Studie. Sie weist eine negative Korrelation zwischen der Teilnahmerate an einem 401K-Plan, d.h. der vorherrschenden Form betrieblicher Altersvorsorge auf Aktienbasis in den USA, und der Zahl der zur Verfügung stehenden Fonds nach.6

Choice Overload bei der Kapitalanlage

Der Befund aus Abbildung 1 passt zu unserer zu Beginn aufgestellten Liste von Merkmalen, die Choice Overload befördern. Kapitalanlage erfüllt vermutlich für viele Menschen alle drei oben genannten Merkmale:

  1. Geringe emotionale Verbindung zum Produkt: Nur wenige Menschen erzählen im Freundeskreis stolz von der Auswahl einer bestimmten kapitalbildenden Lebensversicherung oder eines Fondssparplans. Für viele ist dies notwendiges Übel und nicht freudvolles Hobby. Geldanlage findet sich laut einer aktuellen repräsentativen Umfrage nicht unter den zehn beliebtesten Hobbys der Deutschen.7
  2. Unklare oder schwache Präferenzen: Schwach ausgeprägte Finanzbildung lässt darauf schließen, dass dem Einzelnen seine Präferenzen zwischen Sparbuch, Anleihen und Aktien unklar sind.8
  3. Hohe negative emotionale Verknüpfung mit der Aufgabe: Spätestens, wenn man Verluste bei der Kapitalanlage realisieren muss, entsteht eine negative emotionale Verknüpfung mit dem zugehörigen Investment. Da dies aber bei jeder Sparform abseits von festverzinslichen Anlagen und Garantieprodukten fast sicher irgendwann passiert, schwebt diese Gefahr wie ein Damoklesschwert über risikobehafteter Kapitalanlage.

Die qualitativen Einschätzungen spiegeln sich auch in Zahlen wider: Trotz 15.000 vertriebsberechtigter Fonds, sind nur 12,5 Prozent des Geldvermögens in Deutschland in Aktien angelegt. Über 40 Prozent des deutschen Geldvermögens ist in Bargeld oder (Spar-)Einlagen gebunden.9

Der Löwenanteil der Ersparnisse steckt also ganz offenbar in „sicheren“ Anlagen, wie Sparbüchern und Festgeld. Es scheint, als würde das große Angebot von Fonds bei vielen die Handlungsmaxime „wer nichts macht, macht auch nichts verkehrt“ befeuern. In der Konsequenz stammt nur jeder zwölfte Euro des Alterseinkommens in Deutschland aus privater Vorsorge.10

Wie man trotzdem handelt

Wie verhindert der Einzelne nun aber bei der großen Auswahl an Anlagemöglichkeiten schlicht nichts zu tun? Wie entscheidet der Einzelne und welche Techniken macht er sich oder sollte er sich zu Nutze machen? Um das zu verstehen, muss man zunächst verstehen in welcher Entscheidungswelt man sich am Kapitalmarkt befindet.

Lange Zeit galt die „Modern Portfolio Theory“ von Harry Markowitz als hinreichend gute Approximation der Wirklichkeit um Entscheidungen zu treffen. Sie geht davon aus, dass sich der Einzelne in einer Entscheidungssituation unter Risiko befindet. Er kennt die erwarteten Renditen aller Anlagen und kann ihre Korrelationen zueinander berechnen. Er definiert Risiko als Preisschwankungen (und nicht als finalen Verlust), und er unterstellt, dass sich die Marktbedingungen der Zukunft nicht wesentlich von denen der Vergangenheit unterscheiden. Denn nur dann sind die geschätzten Parameter stabil und nutzen zur Prädiktion der zukünftigen Entwicklung. Dazu kennt der Einzelne seine persönlichen Risikoneigungen (hier definiert als Toleranz für Preisschwankungen),11 was implizit voraussetzt, dass der Risikobegriff richtig definiert ist.

Aber weder die genaue Voraussage von Renditen über einen längeren Zeitraum ist möglich, noch können wir uns dem akademischen Risikobegriff anschließen. Statt uns vor steil ansteigenden Portfoliowerten ebenso zu fürchten wie vor fallenden, freuen wir uns über den Anstieg und grämen uns über den Fall. Wir befinden uns damit hinsichtlich der Planung, wie wir sparen wollen und sollten, nicht in einer Situation des (vollständig) quantifizierbaren Risikos. Vielmehr herrscht eine Situation der Unsicherheit, wie sie bereits von Frank Knight im Jahr 1921 beschrieben12 und von Nassim Taleb in seinem Bestseller aus dem Jahr 2007 wieder aufgenommen wurde.13 Die Zukunft ist in Teilen unbekannt und lässt sich daher nicht als Lösung einer Optimierungsaufgabe aus der Vergangenheit heraus berechnen.

In einer unsicheren Welt sind die Grenzen der Analysefähigkeit im Sinne einer Optimierung unter Alternativen erreicht. Daher ist, wer sich auf komplexe (mathematische) Modelle zur Entscheidungsfindung verlässt und nach einer „optimalen“ Lösung sucht, verloren. Wer es schafft sich auf Heuristiken, das heißt einfache Handlungs- bzw. Entscheidungsschemata zu verlassen und eine (von möglicherweise vielen) zufriedenstellenden Lösung zu wählen, der besteht in einer solchen Umgebung.14

Dualität von Fähigkeiten und Umwelt

Heuristiken zur Entscheidungsfindung unter Unsicherheit existieren nicht im luftleeren Raum. Sie leben von und in der Dualität aus persönlicher Kognition und Umwelt. Heuristiken sind Prozesse, deren Ziel die Lösung eines Problems unter begrenzter Information, Zeitdruck und limitierten geistigen Kapazitäten ist.

Dabei passt nicht jede Heuristik zu jeder Problemstellung und in jede Umweltsituation. Experten auf einem Gebiet zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf ihrem Spezialgebiet – bewusst oder unbewusst - besser als ein Laie einschätzen können, welche Heuristik zum Erfolg führt und diese anwenden. Der Nobelpreisträger Herbert Simon hat dies mit den zwei Klingen einer Schere veranschaulicht. Sowohl Kognition als auch Kontext sind nötig, um ein Problem unter Unsicherheit zu lösen.15 Menschliches Verhalten unter Unsicherheit erklärt sich so als Vorgehen, in dem der Mensch mit „evolvierten Fähigkeiten“ flexibel auf seine Umwelt reagiert.16

Im betriebswirtschaftlichen Kontext hat der Volksmund hierfür den Begriff „unternehmerisches Geschick“ geprägt. Ohne genau zu wissen warum, scheinen Firmeninhaber mit langjähriger Erfahrung oftmals pragmatische und auch in der Rückschau angemessene Lösungen zu finden. Charlie Munger, der kürzlich verstorbene, kongeniale Geschäftspartner von Warren Buffett, beschrieb es als Gitterwerk verschiedener „mental models“ aus denen er sich situationsabhängig bedient:

“What you need is a latticework of mental models in your head.”17

Und weiter:

“You can reach out and grasp the model that better solves the overall problem. All you have to do is know it and develop the right mental habits.”18

Im Folgenden betrachten wir einige solche Heuristiken im Kontext der Kapitalanlage.

II. Heuristiken für die Kapitalanlage

Die Imitationsheuristik

Nachahmung ist eine der basalsten Methoden sich zu entscheiden. Hat man keine Zeit, wenig praktische Erfahrung oder schlicht kein Interesse an Kapitalanlage, orientiert sich der Einzelne an Anderen. Er macht sich fremde Erfahrungen zu Nutze. Dies nennt man Imitationsheuristik. Sie funktioniert nach dem Motto „Tue das, was die Mehrheit deines sozialen Umfelds tut“.19 Eine Spielart davon ist „Tue, was erfolgreiche Menschen tun“, was zu Teilen die Popularität von Investmentratgebern erklärt.

Auf gesellschaftlicher Ebene beobachten wir die Imitationsheuristik in der bis ins 18. Jahrhundert zurückreichenden Tradition des Sparens in Deutschland. Der Gedanke fürs Alter etwas Geld bei Seite zu legen, hat die Hyperinflation der 1920er Jahre, die Währungsreform 1948 und die Finanzkrise von 2007/08 überstanden.20 Dazu passt auf persönlicher Ebene, dass der Umgang mit Geld vor allem im Elternhaus gelernt wird und stark kulturell und sozial geprägt ist.21 Je mehr also mein persönliches und gesellschaftliches Umfeld von Sparern durchsetzt ist, desto eher spare ich selbst auch. Der oben im Zusammenhang mit den hohen festverzinslichen Sparguthaben geäußerte Grundsatz „wer nichts macht, macht auch nichts verkehrt“ lautet daher wohl treffender „wer nichts anders macht, macht auch nichts verkehrt“.

Die Imitationsheuristik besitzt jedoch eine Achillesferse. Beim Aufgreifen kurz- und mittelfristiger Entwicklungen ist sie träge.22 Sie passt sich nur über Generationen an neue Gegebenheiten an und sorgt damit in dynamischen Umgebungen mitunter für die Nachahmung nicht mehr zeitgemäßer Praxis. Die deutsche Anlagekultur verdeutlicht dies: Trotz Realzinsen nahe Null erfreuen sich festverzinsliche Anlagen und Garantieprodukte immer noch großer Beliebtheit.23 Im Umfeld hoher Nominalzinsen und (erwarteter) niedriger Inflationsraten ergab dies zwischen 1990 und 2000 durchaus Sinn. Bei kontinuierlich sinkenden Realzinsen hätten Sparer jedoch bereits ab der Jahrtausendwende Aktien als Anlageklasse verstärkt ins Blickfeld nehmen sollen. Und spätestens mit dem Erreichen negativer Realzinsen im Jahr 2010 wären verstärkte Investitionen am Kapitalmarkt das Gebot der Stunde gewesen. Zwischen 2005 und 2014 zeigen sich in Deutschland jedoch sogar leicht rückläufige Aktionärszahlen. Inwiefern das Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 und die Finanzkrise 2007/08 hierbei eine Rolle spielen, bleibt ungewiss. Der Prozentsatz und die Zahl der Aktienbesitzer in Deutschland steigen jedenfalls erst seit 2015 merklich an.

Die Anpassungsschwäche der Imitationsheuristik erinnert an den langsamen Vollzug von Paradigmenwechseln in der Wissenschaft, wie sie Thomas Kuhn beschrieben hat. Erst das „Aussterben“ der herrschenden Meinung schafft Platz für neue Ideen, welche meist von einigen wenigen außerhalb der gängigen Theorie aufgestellt werden.24 Imitation ist also ein wichtiger Baustein, wenn es darum geht, überhaupt etwas zu sparen. Jene, die in der Kapitalanlage neue Wege gehen wollen, müssen sich jedoch anderer Heuristiken bedienen, um Vermögen aufzubauen.

Mental Accounting

Wenn nicht alle Ersparnisse auf dem Sparbuch verbleiben sollen, stellt sich zunächst die Frage, wieviel des Ersparten am Kapitalmarkt angelegt werden soll. Hierfür kann man sich der „Mental Accounting“-Heuristik bedienen: Statt sich nach klassischem Risikoverständnis den Kopf über die Volatilität des Kapitalmarkts und den damit verbundenen maximalen Verlust zu zerbrechen, schätzt man wieviel Kapital kurz- und mittelfristig für den Lebensunterhalt benötigt wird. Dieses Geld wird vom Gesamtkapital abgetrennt und weiterhin sicher angelegt. Der Rest wird am Kapitalmarkt investiert. Der Sparer nimmt in Gedanken eine getrennte Buchhaltung vor.

Der amerikanische Verhaltensökonom Meir Statman hat eine treffende Bezeichnung für die beiden Konten gefunden. Das eine nennt er „protection from poverty“, also Schutz vor Armut. Das andere „prospects for riches“, also die Hoffnung auf Reichtum. Die Konten sind für Statman Ausdruck persönlicher Lebensbedürfnisse.25 Reichtum kann dabei mehrere Bedeutungen haben: Der eine möchte möglichst viel Vermögen ansparen und an die eigenen Kinder weitergeben. Ein anderer hat den Wunsch frühzeitig in Rente gehen zu können.

Mein Kollege Thomas Mayer hat für diese theoretischen Überlegungen kürzlich eine praktische Umsetzung vorgeschlagen. Das kurzfristig benötigte Kapital kommt in einen Geldmarktfonds oder auf ein Tagesgeldkonto. Die mittelfristig benötigten Mittel zahlt man in Laufzeitenfonds, die das Geld nach Ablauf von 3-5 Jahren mit etwas höherer Verzinsung im Allgemeinen sicher zurückzahlen. Den Rest investiert der Sparer in einen globalen Aktienfonds, dessen Schwankungen er nun gelassener ertragen kann, da er durch seine beiden anderen Investments vor Armut geschützt ist.26

Fragebögen zur Gewichtung der Anlageklassen

Da sich aber nicht jeder damit wohlfühlt, die Hoffnung auf Reichtum ausschließlich mit Aktienanlage zu unterfüttern, stellt sich die Frage wie man unter den verschiedenen (risikobehafteten) Anlageklassen, die für einen persönlich passende Allokation auswählt. In der Regel erstellt man hierfür, eine Liste an Kriterien, wie Anlagehorizont, Wertschwankungen und Rendite. Die Kriterien kann man unterschiedlich gewichten. Die einfachste Möglichkeit der Gewichtung ist sich nur auf das persönlich wichtigste Kriterium, zum Beispiel die erwartete Rendite, als alleiniges Entscheidungsmerkmal zu konzentrieren. Der Anleger wählt dann ausschließlich die Anlageklasse, welche bezüglich dieses Merkmals am besten abschneidet; in unserem Beispiel vermutlich Aktien. Eine solche „Take-the-best“-Heuristik ist sehr simpel, und funktioniert insbesondere dann gut, wenn die verschiedenen Entscheidungskriterien redundante Informationen enthalten.

Studien zeigen jedoch, dass Menschen nicht alles der Rendite unterordnen.27 Dies ist auch vernünftig, da bei einer Asset-Allokation neben der Rendite, die Fähigkeit die gewählte Strategie auch durchzuhalten mindestens genauso wichtig ist.28 Es geht somit darum anhand verschiedener Kriterien eine Aufteilung des eigenen Vermögens vorzunehmen. Möchte ich mich zum Beispiel zwischen Aktien und Anleihen entscheiden, so könnte ich erwartete Rendite, Mindestanlagehorizont sowie meine persönliche Vorerfahrung mit der Anlageklasse verwenden und abzählen in wie vielen Kategorien die jeweilige Anlageklasse meine Anforderungen erfüllt. Die Zahl der Merkmale, in der die jeweilige Anlageklasse meine Anforderungen erfüllt, geteilt durch die Gesamtzahl aller erfüllten Merkmale ergibt dann den Prozentsatz meines Vermögens, den ich in diese Anlageklasse investieren sollte. Erfüllen Aktien zwei von drei Kriterien und Anleihen eines von drei, investiere ich zwei von drei Euro in Aktien und einen in Anleihen. Das ist eine Spielart der sogenannten Dawes-Rule, in der alle Inputs einer Entscheidung gleich gewichtet werden.29 Besonders gut funktioniert eine solche Regel, wenn die einzelnen Merkmale für mich mehr oder weniger gleich wichtig sind.

Von Finanzexperten entwickelte Fragebögen zur Risikoneigung verwenden Abwandlungen dieser Gewichtungsregeln.30 Entgegen der Dawes-Rule werden hier nicht alle Merkmale gleich bewertet. Die Abweichungen vom simplen Modell basieren aber nicht auf komplizierten statistischen Risikomodellen, sondern auf berufspraktischen Beobachtungen der Experten, die Erkenntnisse wie Verlustaversion ihrer Kunden berücksichtigt (wobei aber oft Buch- und Realverluste als gleich betrachtet werden).

Entscheidungsbäume

Hat man eine Aufteilung seiner Kapitalanlage auf verschiedene Anlageklassen gefunden, stellt sich als nächstes die Frage, in welche Produkte innerhalb der Klassen angelegt werden soll. Hat man die Auswahl zwischen zwei Alternativen, bieten sich spezielle Entscheidungsbäume an. Die sogenannten Fast-and-Frugal-Trees sind gestutzte, binäre Entscheidungsbäume. Das Entscheidungsproblem löst sich mit der Beantwortung von höchstens drei Fragen, die jeweils nur zwei Antwortmöglichkeiten vorsehen.31

In der Fondsanlage ist eine unter Anlegern oft diskutierte Frage, ob ich mein Geld in einen aktiv gemanagten Fonds oder einen passiven Exchange Traded Fund, kurz ETF, investiere. Mein Kollege Thomas Lehr hat dies mit der Wahl zwischen „Selbstfahren“ und „ein Taxi rufen“ verglichen.32 In Anlehnung an seine Argumente lässt sich ein Entscheidungsbaum konstruieren (Abb. 4). Ein Anleger, der sich selbst um seine Ersparnisse kümmern möchte, für den Renditemaximierung das oberste Ziel ist und der es schafft auch in volatilen Zeiten investiert zu bleiben, landet beim ETF. Allen anderen Anlegern empfiehlt der Baum aktiv gemanagte Fonds.

Der Baum zeigt die beiden Schneiden der Schere von Herbert Simon (siehe Abb. 2). Jede der drei Fragen beachtet sowohl persönliche Fähigkeiten als auch die Umwelt der Entscheidung. Der Frage, ob ich es schaffe, langfristig investiert zu bleiben, liegt zum Beispiel die Erkenntnis zu Grunde, das langfristiges Halten von Aktien gute Renditen erzielt, sich manche Menschen aber schwertun, die für diese Strategie notwendige Geduld aufzubringen. Im Gegensatz zu pauschalen Ratschlägen, welche das Individuum außer Acht lassen oder Listen, welche nur Vor- und Nachteile der beiden Optionen auflisten, ermöglicht der Fast-and-Frugal-Tree selbstständig und selbstbestimmt, eine informierte Entscheidung zu treffen.

1/N-Heuristik

Die Zahl der Menschen, die direkt in einzelne Aktien investieren, hat zuletzt abgenommen. Es sind aber immer noch 4,7 Millionen Menschen in Deutschland in Einzelaktien investiert.33 Für sie stellt sich die Frage, wie sie ihr Kapital auf die verschiedenen Titel aufteilen. Eine einfache Methode ist, alle Titel zu gleichen Anteilen ins Portfolio zu legen. Dies nennt man 1/N-Heuristik, wobei N die Zahl der Einzeltitel angibt. Wie groß N ist und wie oft man ein „Rebalancing“, also den Ausgleich eines aus Kursschwankungen entstandenen Ungleichgewichts vornimmt, steht in der Verantwortung des Anlegers.

Dieses simple Vorgehen steht im Widerspruch zur bereits erwähnten Modern Portfolio Theory von Harry Markowitz. Laut dieser Theorie gibt es bei der Auswahl der richtigen Finanztitel eine optimale Lösung: Hat man N Anlageoptionen zur Auswahl benötigt man lediglich deren (historische) Renditen, Varianzen und Kovarianzen, um ein optimales Portfolio zu erstellen. Beschränke ich mich auf 10 Aktien wollen 110 Variablen bestimmt werden.

Dieses komplexe Modell zeigte jedoch in einer Studie keine bessere (risikoadjustierte) Performance als die einfache 1/N-Regel.34 Verwundern sollte das nicht, basiert die „optimale“ Aufteilung doch auf Schätzungen aus Vergangenheitsdaten. Strukturbrüche und „Regimewechsel“ sind jedoch an Finanzmärkten allgegenwärtig. Eine Voraussage der Zukunft ausschließlich auf vergangenen Korrelationen scheint daher unmöglich. Die Studie liefert lediglich einen empirischen Beleg unserer These, dass wir uns in einer Welt der Unsicherheit befinden. Die 1/N-Heuristik liefert unter dieser Prämisse eine einfache Möglichkeit eine Portfolio-Aufteilung zu finden, die „gut genug“ bzw. „zufriedenstellend“ ist. Aufwendige „Optimierung“ führt nicht zu besseren Resultaten. Vielmehr besteht das Risiko sich in den Formeln zu verzetteln, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen und am Ende gar nicht zu investieren.

Vertrauens-Heuristik

Möchte man sich nicht selbst um die eigene Geldanlage kümmern oder traut es sich nicht zu, gilt es einen geeigneten Berater zu finden. Menschen entscheiden hierbei offenbar schlicht nach Vertrauen. Eine italienische Studie zeigt: Sparer haben überaus hohes Vertrauen in ihren Berater, während sie der Finanzindustrie als solcher nur mittelmäßig über den Weg trauen.

Aber was sind Gründe für Vertrauen bzw. wonach halten Menschen bei der Beraterwahl Ausschau? Zunächst fallen zwei Oberthemen auf: Die Kompetenz des Beraters und - doppelt so wichtig - die Qualität der Interaktion mit dem Berater. Letzteres dient jedoch nur als Surrogat für das Fachwissen des Beraters.35 Da sie glauben, dass ihnen das Fachwissen fehlt, trauen sich nicht alle Sparer, die Kompetenz eines Beraters zu bewerten. Sie benutzen stattdessen eine ihnen verlässlich erscheinende Hilfsgröße. Die Qualität der Interaktion bewerten sie über „honest signals“. Dies sind unbewusste soziale Signale zwischenmenschlicher Kommunikation, welche Vertrauen aufbauen. Das Kopieren des Verhaltens eines Gesprächspartners ist ein Beispiel.36 Da sie weitestgehend unbewusst ablaufen, sollen sie aufrichtiges Interesse des Beraters am Anleger erkennen lassen. Dazu kommt noch die subjektiv wahrgenommene Transparenz der Erklärungen des Beraters: Verstehe ich die Ausführungen? Ist die Beratung nachvollziehbar? Bin ich zufrieden mit den Erklärungen?

Für die Beratersuche lässt sich somit folgende einfache Heuristik formulieren: Wähle einen Berater, dem du vertraust, den Du verstehst und der deine finanziellen Ziele in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellt. Bis auf regelmäßige Überprüfung, ob das Vertrauen noch gerechtfertigt ist, kann ich mich nach der Auswahl eines Beraters wieder den Dingen zuwenden, mit denen ich gerne meine Zeit verbringe.

Fazit

Kapitalanlage erfüllt viele Merkmale, die Choice Overload fördern. Akzeptiert der Sparer jedoch, dass es sich um eine Entscheidung unter Unsicherheit handelt, in der es per Definition keine optimale, sondern immer nur zufriedenstellende Lösungen geben kann, lassen sich Heuristiken zur Entscheidungsfindung heranziehen. Basierend auf den zwei Schneiden Kognition und Umwelt, der „Verhaltensschere“ von Herbert Simon helfen Fragebögen, Entscheidungsbäume und weitere einfache Faustregeln bei der Kapitalanlage. Ausgestattet mit einem Werkzeugkasten an Heuristiken, findet jeder die für sich passende Kapitalanlage.

 


1 S. Iyengar, M. Lepper: When Choice is Demotivating: Can One Desire Too Much of a Good Thing?, 2000.

Studie zu Ausstattungsvarianten: Wie deutsche Autobauer ihre Kunden überfordern - und sich selbst - manager magazin (manager-magazin.de)

3 T. Eyerund: Die Qual der Wahl, unveröffentlichtes Manuskript, IW Köln. siehe auch 15 Jahre Roman Herzog Institut - Science Slam.

4 A. Chernev, U. Bockenholt, J. Goodman: Choice Overload: A conceptual review and Meta-Analysis, 2015

5 B. Jacob, J. Joseph: A Comprehensive Analysis of Choice Overload in Mutual Funds, 2022.

6 S. Iyengar, W. Jiang & G. Huberman: How Much Choice is Too Much?: Contributions to 401(k) Retirement Plans, 2003.

7 Idealo.de und Kantar: Deutsche und ihre Hobbys: Kein Geld mehr für Freizeitbeschäftigungen?, 2024.

BaFin - Fachartikel - Finanzwissen ausbaufähig

9 Deutsche Bundesbank: Geldvermögensbildung und Außenfinanzierung in Deutschland im vierten Quartal 2023, 2024 und Finanzierungsrechnung, 2023

10 Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Alterseinkommen und zusätzliche Vorsorge (2019), 2023.

11 Markowitz model - Wikipedia und Modern portfolio theory - Wikipedia

12 F. Knight: Risk, uncertainty and profit, Houghton Mifflin, 1921 siehe auch J. Kay und M. King: Radical uncertainty, The Bridge Street Press, 2020.

13 N. Taleb: Der schwarze Schwan 2007.

14 Der amerikanische Psychologe Barry Schwartz untersucht in seinem Buch „The Paradox of choice“ die Zufriedenheit mit Entscheidungen unter großer Auswahl und stellt fest: Größere Auswahl sorgt für ein höhere Unzufriedenheit. Insbesondere die Suche nach der „optimalen“ Lösung anstatt einer „zufriedenstellenden“ macht er hierbei als Quelle aus.

15 D. Lockton: Simon's Scissors and Ecological Psychology in Design for Behaviour Change, 2012.

16 G. Gigerenzer, Bauchentscheidungen, S.75, Goldmann Verlag, 2008.

17 C. Munger: Poor Charlie’s Almanack: The Essential Wit and Wisdom of Charles T. Munger, Stripe Press, 2024.

18 C. Munger: Poor Charlie’s Almanack: The Essential Wit and Wisdom of Charles T. Munger, Stripe Press, 2024.

19 G. Gigerenzer & H. Brighton: Homo Heuristicus: Why Biases Minds Make Better Interferences, Topics in Cognitive Science, 2008, Table 2.

20 Deutschlandfunk.de: Die Geschichte des Sparens - Von einer bürgerlichen Tugend bis zum "Kaputtsparen" (deutschlandfunk.de)

21 Stuttgarter Nachrichten: Geld: Kann man sparen eigentlich lernen?

22 G. Gigerenzer & H. Brighton: Homo Heuristicus: Why biases minds make better inferences, Table 2, 2008.

23 Deutsche Bundesbank: Geldvermögensbildung und Außenfinanzierung in Deutschland im vierten Quartal 2023, 2024 und Finanzierungsrechnung, 2023 sowie Verband der privaten Bausparkassen: Top Geldanlagen 2024 - Verband der privaten Bausparkassen e.V., 2024.

24 Paradigmenwechsel – Wikipedia siehe auch Max Planck: Max Planck Zitat Wahrheit: Eine neue wissenschaftliche Wahrheit (welt-der-zitate.com)

25 M. Statman: Behavioral Finance – The Second Generation, 2019.

26 T. Mayer: Geld anlegen mit Homer Simpson, Welt am Sonntag vom 9. Juni 2024.

27 M. Statman: Behavioral Finance – The Second Generation, 2019.

28 S. Ebert: Verhaltensbasierte Vermögensverwaltung – Ziele ergründen, passende Anlagestrategien wählen, 2024.

29 J. Czerlinski, G. Gigerenzer & D. Goldstein: How good are simple heuristics?, Kapitel 5 in Simple Heuristics that make us smart, Oxford University Press, 1999.

30 S. Ebert: Verhaltensbasierte Vermögensverwaltung – Ziele ergründen, passende Anlagestrategien wählen, 2024.

31 L. Martignon, O. Vitouch, M. Takezawa & M. Forster: Naive and Yet Enlightened: From Natural Frequencies to Fast and Frugal Decision Trees, 2003.

32 T. Lehr: ETF - Warum eigentlich nicht?, 2024.

33 Deutsches Aktieninstitut: Aktionärszahlen 2023, 2024.

34 V. DeMiguel, L. Garlappi & R. Uppal: Optimal Versus Naive Diversification: How Inefficient is the 1/N Portfolio Strategy?, The review of financial studies, 2009.

35 C. Guglielmetti, L. Martignon, M. Monti & V. Pelligra: The insurance by my side: better risk assessment for smarter insurance decisions. CAREFIN Working paper, 2011.

36 A. Pentland: Honest Signals: How they shape our world, MIT Press, 2008.