27.05.2024 - Kommentare

Unternehmensgewinne: Die neue Norm

von Christof Schürmann


Unternehmensgewinne: Die neue Norm

Gewinn ist Ansichtssache. Eigentlich sollte sich diese Erkenntnis bei denjenigen, die an den Finanzmärkten unterwegs sind, längst durchgesetzt haben. Und doch gilt etwa das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) immer noch als einer der wichtigsten Indikatoren an der Börse. Sehr gerne präsentieren Unternehmen ihren Aktionären und potenziellen Investoren jedoch nicht nur die Basis für das KGV, den Nettogewinn oder auch Jahresüberschuss genannt, sondern verschönern diesen noch. Zu erkennen an „bereinigten“ oder „adjustierten“ Ergebnisausweisen.

Bereinigungen an der Tagesordnung

Das treibt Blüten. So adjustierte etwa die deutsche Northern Data ihren Gewinn (Ebitda) um die Positionen Handelsverluste/-gewinne aus Kryptowährungen, Aufwendungen für Aktienoptionspläne, Rechtsstreitigkeiten/Rechtskosten, Systemeinführungen, Abfindungszahlungen für Führungskräfte, Wertminderung von Forderungen im Zusammenhang mit dem Konkurs eines Dritten und Abschreibungen von nicht in Betrieb genommenen Anlagen.1

Viele wissen: Solche adjustierten Gewinne – die wie bei Northern Data häufig auch im Ergebnis vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Amortisation (Ebitda), dem Ebita oder dem Ebit anzutreffen sind – hat das Unternehmensmanagement selbst zusammengeschustert.

Was viele nicht wissen: Auch ein unbereinigtes „echtes“ Ebit oder Ebitda unterliegen keiner klaren Definition. Die in weiten Teilen der Welt von Unternehmen anzuwendenden International Financial Reporting Standards (IFRS) geben hier kein Schema vor. Ebit oder Ebitda sind kein Teil der Normierung innerhalb des IFRS-Bilanzregelwerkes. Dabei spielen sie im Kontext der Börse wichtige Rollen.

Unternehmen können zudem ziemlich frei ein „operatives Ergebnis“ oder einen „Betriebsgewinn“ gestalten. Das erschwert Vergleiche von mehreren Jahres- oder Quartalsabschlüssen desselben Unternehmens ebenso wie Vergleiche von Konzern zu Konzern.

Neuer Standard ändert die Regeln

Zumindest bisher. Denn nun liegt ein neuer Standard vor, der das ändern wird. Die neue Norm ist der IFRS 18, den alle Unternehmen, die nach den IFRS bilanzieren, von Januar 2027 an verwenden müssen, und zwar mit bereits vergleichbaren Vorjahreszahlen.

Investoren-Kritik an der Präsentation der Gewinn- und Verlustrechnungen seitens der Unternehmen lag dem International Accounting Standards Boards (IASB), das für die IFRS verantwortlich ist, bereits 2014 vor. Schon seinerzeit stieß vielen Anlegern auf, dass Konzerne zu viele Gestaltungsmöglichkeiten in ihren Zahlenwerken nutzen.

2016 starteten die Regelsetzer des IASB das Projekt „Presentation and Disclosure in Financial Statements“, seit diesem April liegt der Standard endgültig vor. Davor stand ein umfangreicher Realitätscheck. Grundsätzlich definierten laut IASB Unternehmen „ihre eigenen Zwischensummen“ und „gruppieren Posten auf ihre eigene Weise“.2

So ist etwa das Betriebsergebnis eine der am häufigsten genannten Zwischensummen in Jahresabschlüssen. In einer vom IASB durchgeführten Stichprobe von 100 Unternehmen wiesen 61 Unternehmen in der Gewinn- und Verlustrechnung eine Größe mit der Bezeichnung Betriebsergebnis aus. Dabei fand das IASB „neun verschiedene Definitionen“.3

Größte Reform seit 20 Jahren

Abhilfe tut also not. Der neue Standard 18 wird vom IASB sogar als die größte Reform seit Einführung der IFRS vor über 20 Jahren gefeiert.4

Die Bilanzregelsetzer schränken nun die Gestaltungsspielräume der Unternehmensvorstände ein. Zwar dürfen Unternehmen weiterhin selbst kreierte Kennzahlen (sogenannte non-IFRS-Zahlen) veröffentlichen. Doch solche Alternative Performance Measures (APM) oder Management-defined Performance Measures (MPM) müssen zukünftig in eigens dafür vorgesehenen Anhängen eingehend erläutert, offengelegt und hergeleitet werden. Die geforderten detaillierten Erklärungen dürften so manchen Vorstand ins Schwimmen bringen.

Klar umrissenes Schema

Zentral aber ist, dass es erstmals ein klar umrissenes und mit Inhalten definiertes Schema für die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) geben wird. Investoren würden damit zukünftig weniger Zeit für die Beschaffung von Informationen aufwenden, die sie für ihre Analysen benötigen, so das IASB.

Der neue Standard legt fest, dass Unternehmen zukünftig in ihrer GuV Aufwands- und Ertragsposten in die Kategorien „Operativ“, „Investition“ und „Finanzierung“ gliedern müssen.5 Zudem ist die Nennung von Zwischenresultaten verpflichtend: ein operatives Ergebnis (Betriebsergebnis) sowie ein Ergebnis vor Finanzierung und Ertragsteuern sind ausweisen (siehe Tabelle).6

Das ist jeweils als Standardisierung neu.  Eine weitere Veränderung ist beispielsweise auch, dass Unternehmen zukünftig die Nettozinsaufwendungen von Pensionslasten der Kategorie Finanzierung zuordnen müssen. Der Ausweis von Beteiligungen, die nicht vollkonsolidiert, sondern gemäß des Anteils an der Tochter bilanziert werden (at equity) muss zukünftig in die Kategorie Investition. Dazu kommen konkrete Vorgaben, welche Aufwands- und Ertragspositionen Unternehmen zusammenfassen dürfen, und welche aufgeschlüsselt werden müssen.

Die neuen Zwischensummen in der Ertragsrechnung entsprechen dabei nicht den non-IFRS-Kennziffern Ebit, Ebita und Ebitda. Diese sind also auch künftig nicht direkt aus der GuV abzulesen.7

Deutliche Erleichterung

Das alles soll nach den Vorstellungen des IASB ein besseres Bild über die finanzielle Leistungsfähigkeit eines Unternehmens geben.

Dass dies der Fall sein wird, daran besteht kein Zweifel. Endlich geben die IFRS ein einheitliches Schema vor, das eine Periodenvergleichbarkeit gewährleistet und den Unternehmensvergleich auf eine einheitliche Basis stellt. Das wird so manche Trickserei innerhalb der GuV den Riegel vorschieben. Was non-IFRS-Daten betrifft, dürfte es dem externen Bilanzleser leichter fallen, die Berechnungsweise nachzuvollziehen.

Ohnehin sollte jeder, der sich mit dem Wildwuchs an adjustierten Zahlen konfrontiert sieht, wissen: Hier übernehmen die Unternehmen eine Aufgabe, die nicht die ihre ist, nämlich die von Finanzanalysten. Diese sollen und müssen hinter die GuV und die Cashflow-Rechnungen schauen, um der wahren Unternehmens-Performance möglichst nahe zu kommen. Der IFRS 18 wird diese Aufgabe erleichtern. Gewinn jedoch wird auch dann noch Ansichtssache bleiben.


1 https://lp.northerndata.de/hubfs/Investor%20Relations/Financial%20Reports/ND_AR2022_EN.pdf, Seite 38

2 https://www.ifrs.org/content/dam/ifrs/publications/amendments/english/2024/effect-analysis-ifrs18-april2024.pdf, Seite 2

3 a.a.O., Seite 30

4 https://www.ifrs.org/news-and-events/news/2024/04/new-ifrs-accounting-standard-will-aid-investor-analysis-of-companies-financial-performance/

5 Die operative Kategorie ist die Standardkategorie, die alle Erträge und Aufwendungen eines Unternehmens umfasst, unabhängig davon, ob sie sie in irgendeiner Weise unbeständig oder ungewöhnlich sind. Das Betriebsergebnis ist kein Maß für die „dauerhafte“ oder wiederkehrende“ Betriebsleistung. Es soll ein vollständiges Bild der Ergebnisse der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens für den betreffenden Zeitraum liefern.

6 Für Banken, Versicherungen und andere Finanzdienstleister wird es hinsichtlich der Zuordnung der Erträge und Aufwendungen zu den verschiedenen Kategorien gesonderte Vorschriften geben.

7 IFRS 18 tangiert auch andere Vorschriften: so IAS 33 (Earnings per Share) und IAS 34 (Interim Financial Statements). Zusätzlich wird nach IFRS 18 nun die Cashflow-Ermittlung enger gefasst. Als verpflichtender Ausgangspunkt für die indirekte Ermittlung des Cashflow der betrieblichen Tätigkeit kommt zukünftig nur noch der operative Gewinn oder Verlust infrage. Für Zinsen und Dividenden entfallen Wahlrechte der Kategorisierung innerhalb der Cashflow-Rechnung. Tricky: Die einzelnen Kategorien innerhalb der GuV und des Cashflow können zwar namensgleich sein, haben aber zum Teil den Vorschriften nach andere Inhalte.