27.03.2023 - Kommentare

Die große Erpressung

von Thomas Mayer


Es droht eine neue Lohn-Preis-Staatsdefizit Spirale. Um das zu vermeiden, wäre es an der Zeit, dass der Gesetzgeber die Bedingungen des aus Artikel 9 des Grundgesetztes abgeleiteten „Streikrechts“ klar definiert. Streiks auf dem Rücken der Allgemeinheit zur Erpressung der Staatskasse fallen nicht unter dieses Recht.

„Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will“ – diese Zeile aus dem Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein aus dem Jahr 1863 ist schon zu Tode zitiert worden. Aber sie passt zu gut zum heutigen Tag, um sie nicht noch einmal hervorzukramen. Mit ihr sollte den Arbeitern zugerufen werden, dass sie ihre Schwäche überwinden könnten, indem sie vereint gegen Hungerlöhne streiken würden. „Brecht die Sklaverei der Not! Brot ist Freiheit, Freiheit Brot“, heißt es zum Schluss.

Tatsächlich schuf die Bevölkerungsexplosion in dieser Zeit ein Heer von Arbeitern, während die industrielle Revolution gleichzeitig die Produktivität der Arbeit erhöhte. Die Gewinne der „Industriebarone“ explodierten, während die Löhne der Arbeiter dem wirtschaftlichen Fortschritt weit hinterherhinkten. Wer sich dagegen allein mit Arbeitsverweigerung wehrte, wurde schnell mit bereitstehenden „Streikbrechern“ ersetzt. Nur ein allgemeiner Verbund konnte die strukturelle Schwäche der Arbeiter gegenüber den Arbeitgebern überwinden. Dafür brauchte es aber nicht nur eine rechtliche Grundlage für seine Bildung, sondern die Arbeiter mussten auch das Recht erhalten, für ihre Interessen in den Streik zu treten. Heute garantiert Artikel 9 unseres Grundgesetzes die „Koalitionsfreiheit“ und daraus abgeleitet das „Streikrecht“.

Die Verhältnisse sind heute jedoch anders als im 19. und 20. Jahrhundert. Aufgrund der Alterung der Bevölkerung sind die Arbeitskräfte knapp und das Wachstum der Arbeitsproduktivität hat sich stark verlangsamt. Folglich sind die Arbeitnehmer heute in einer viel stärkeren Position als damals. Sind sie mit ihrem Job unzufrieden, können sie leichter als früher eine besser bezahlte Stelle finden. Und die Drohung der Arbeitgeber, Arbeitsplätze zur Einsparung von Lohnkosten ins Ausland zu verlagern, hat an Wirkung verloren, denn es hat sich gezeigt, dass die Überdehnung von Lieferketten die Produktion anfällig macht. In der Industrie können Arbeitnehmer ihren Arbeitgebern heute auf Augenhöhe begegnen. Auch deshalb sind Streiks in der Industrie seltener geworden.

Anders verhält es sich in den Staatsunternehmen und im öffentlichen Dienst. Dort haben die Arbeitnehmer längst die Oberhand über die Arbeitgeber gewonnen. Die Arbeitsplätze sind sicher und den Gewerkschaften stehen Verhandlungspartner gegenüber, die meist selbst Gehaltsempfänger sind. Für die Verhandlungen sind sie nur in die Rolle des „Arbeitgebers“ geschlüpft. Da öffentlicher Dienst und Staatsunternehmen vielfach ein Angebotsmonopol haben, können die Konsumenten auch kaum auf andere Anbieter ausweichen. Das bietet den Gewerkschaften die Möglichkeit, mit flächendeckenden Streiks die Allgemeinheit zu erpressen, um aus den schwachen Arbeitgebervertretern hohe Löhne auf Kosten der Steuerzahler und Kunden von Staatsunternehmen herauszuholen. Oft profitieren die „Arbeitgebervertreter“ dann selbst von den Lohnerhöhungen.

In einem Gutachten aus dem Jahr 2007 kommt der wissenschaftliche Dienst des Bundestags zu dem Schluss, dass Streikende die Verhältnismäßigkeit und das Gemeinwohl berücksichtigen müssen. Denn „ein grenzenloses Recht der (das Streikrecht legitimierenden) Koalitionsfreiheit bedeutete umgekehrt letztlich die völlige Rechtlosigkeit aller anderen und würde so die Rechtsordnung ad absurdum führen.“ (https://www.bundestag.de/resource/blob/504094/1d4904d7a73bd1f00775b2406642f133/Grenzen-des-Streikrechts-data.pdf). Der heutige „Generalstreik“ von Bediensteten des öffentlichen Diensts und von Staatsunternehmen ist ein gefährlicher Schritt in diese „Rechtlosigkeit“. Vermutlich dürfte dem dann eine Einigung auf Kosten der Zahler von Steuern und Abgaben folgen. Das Ergebnis: höhere Belastung der öffentlichen Finanzen und Inflationsdruck aufgrund steigender Löhne. Es droht eine neue Lohn-Preis-Staatsdefizit Spirale. Um das zu vermeiden, wäre es an der Zeit, dass der Gesetzgeber die Bedingungen des aus Artikel 9 des Grundgesetztes abgeleiteten „Streikrechts“ klar definiert. Streiks auf dem Rücken der Allgemeinheit zur Erpressung der Staatskasse fallen nicht unter dieses Recht.

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