13.04.2020 - Kommentare
An den Börsen setzt sich das Narrativ durch, dass die gesundheitlichen und ökonomischen Folgen der Pandemie in überschaubarer Zeit überwunden werden. Neue Narrative bilden sich um die Folgen der Krise: Der Euro dürfte, sobald sich die Befürworter von Corona-Bonds durchsetzen, stark abwerten. Und auch für das Narrativ einer höheren Inflation gibt es gute Argumente.
In einem früheren Beitrag habe ich geschrieben, dass die Wende zur Erholung auf den Finanzmärkten kommen dürfte, wenn die Erwartungen über die Kosten der wirtschaftlichen Einbußen verringert werden. Hierfür sind eine niedrigere Infektionsrate für SARS-CoV2, eine bessere Gesundheitsversorgung, stärkere Wirtschaftshilfen und eine höhere Effizienz bei den Maßnahmen zur Eindämmung der Infektion ausschlaggebend. Dann habe ich darauf hingewiesen, dass die Märkte versuchen, diese Entwicklungen zu antizipieren, indem sie den Kampf der die Politik bestimmenden Narrative über die Pandemie in der öffentlichen Debatte verfolgen. Die Märkte in China, Europa und den USA haben nur kurze Zeit nach der staatlichen Verordnung der pauschalen sozialen Distanzierung durch den „Lockdown“ des öffentlichen Lebens dessen zumindest teilweise Aufhebung durch die Bekämpfung der Pandemie mit technischen Mitteln und selektiver sozialer Distanzierung erwartet. Die öffentliche Debatte seither hat diese Erwartung bestärkt. Seit ihrem letzten Tiefpunkt am 27. März bzw. 1. April sind die EuroStoxx 600 und S&P 500 Aktienpreisindizes um rund 19 Prozent gestiegen.
Die Neigung der Märkte, nach neuen, die öffentliche Debatte dominierenden und die Politik beeinflussenden Narrativen zu suchen und die Konsequenzen zu antizipieren, wirft die Frage auf, worauf sich die Aufmerksamkeit in Zukunft richten könnte. Verfolgt man die Debatte unter tatsächlichen Experten und solchen, die sich dafür halten, dann wird schnell klar, dass sowohl Analyse als auch Therapie für die SARS-CoV2 Pandemie und ihre unmittelbaren Folgen für die Wirtschaft nur schemenhaft zu erkennen sind. Das Krisenmanagement kann daher nur aus Versuch und Irrtum bestehen. Daraus folgt erstens, dass man mit Rückschlägen bei der Eindämmung der Infektionsrate sowohl in der Phase des „Lockdowns“ als auch beim Übergang zu seiner selektiven Aufhebung rechnen muss. Und es folgt zweitens, dass die wirtschaftlichen Kosten der Pandemie höher ausfallen könnten als bisher erwartet und weitere staatliche Finanzhilfen notwendig werden.
All dies kann auf den Märkten zu Verunsicherung und damit weiteren Schwankungen führen, dürfte aber keine grundlegende Änderung der Einschätzung bringen, dass die gesundheitlichen und ökonomischen Folgen der Pandemie in einem überschaubaren Zeitraum überwunden werden können. Eine grundlegende Neueinschätzung würde erst dann nötig, wenn das Virus durch Mutation gefährlicher würde oder sich die Gesundheitskrise zu einer (möglicherweise von den Schwellenländern ausgehenden) globalen Finanzkrise entwickeln würde.
Sollte es bei nur vorübergehender Verunsicherung im Zuge des Krisenmanagements bleiben, dürfte sich die Aufmerksamkeit der Märkte bald auf die durch die Krise ausgelösten und danach bleibenden strukturellen Veränderungen richten. Schon jetzt entstehen Erzählungen über nachhaltige Konsumveränderungen und die sich daraus ergebenden Folgen für Wirtschaftsbranchen und Unternehmen. Die Veränderungen einzelner Aktienpreise relativ zum Gesamtmarkt spiegeln diese Narrative wider. So lag zum Beispiel der Aktienpreis von Amazon, einem vermeintlichen Profiteur von der Tendenz zum Online-Handel, am 7. April um neun Prozent über seinem Wert vom Jahresanfang, während der des S&P 500 Index um 18 Prozent darunter lag.
Von einer Neueinschätzung ihrer Wirtschafts- und Finanzkraft werden aber nicht nur Wirtschaftszweige und Unternehmen, sondern ganze Staaten betroffen sein. Nach der Krise werden manche, vorher schon hoch verschuldete Staaten überschuldet sein. Wo die Verschuldung in Fremdwährung erfolgte, droht die Zahlungsunfähigkeit. Und wo sie in eigener Währung eingegangen wurde, dürfte der Wechselkurs fallen. Seit dem 19. Februar ist der durchschnittliche effektive Wechselkurs der Schwellenländer um vier Prozent zurückgegangen, wobei der Verlust bei einigen Ländern deutlich mehr als zehn Prozent betrug. Weitere Rückgänge dürften mit zunehmender Stärke des Narrativs der strukturellen Veränderungen folgen.
Besonders im Fokus stehen die Mitgliedsländer der Europäischen Währungsunion, die in einer Währung verschuldet sind, die sie nicht kontrollieren können – und das in manchen Fällen in sehr hohem Ausmaß. Länder wie Italien sind wahrscheinlich nur deshalb noch nicht zahlungsunfähig, weil die Europäische Zentralbank ihre Staatsanleihen durch Käufe stützt. Politiker in Italien, Spanien und einigen anderen Länder drängen auf die Vergemeinschaftung der Staatsschulden im Euroraum durch die Ausgabe sogenannter „Coronabonds“.
Die Vergemeinschaftung dürfte der Neigung zu noch höherer Verschuldung entgegenkommen. Sollten sich die Politiker dieser Länder damit durchsetzen – was früher oder später zu erwarten ist – könnte der Euro in der Einschätzung der Akteure auf den Devisenmärkten die Qualität der Währung eines Schwellenlandes mit schwachen institutionellen Strukturen annehmen. In diesem Fall dürfte er gegen andere Währungen der Industrieländer stark abwerten. Seit dem 9. März ist der Euro gegenüber dem US-Dollar um fünf prozent gefallen, obwohl die Pandemie die USA inzwischen stärker trifft als Europa. Aber noch ist es zu früh, um beurteilen zu können, ob sich darin der Aufstieg eines neuen Narrativs für den Euro widerspiegelt.
Strukturelle Veränderungen werden sich auch auf dem Gebiet der internationalen Arbeitsteilung ergeben. Bisher wurden viele Wertschöpfungsketten global tief gegliedert, um Kostenvorteile an den jeweiligen Produktionsorten zu nutzen. Die Krise hat offengelegt, dass ein so tief gegliedertes System störungsanfällig ist. Produktionsunterbrechungen an einem Ort können die gesamte Lieferkette zerbrechen lassen. Und ohne entsprechende Vorratshaltung werden in der Krise lebensnotwendige Güter knapp. Diese Erfahrungen werden wohl dazu führen, dass Lieferketten in Zukunft kürzer und mit größeren Puffern in Form von Vorratslagern gestaltet werden. Dadurch steigen die Produktionskosten.
Gleichzeitig wird es aufgrund von Veränderungen der Nachfragestruktur zu Redundanzen bei bestehenden Produktionskapazitäten und damit zu einer Verringerung des gesamten Produktionspotenzials kommen. Einer durch Finanzhilfen gestützten Nachfrage werden nach der Krise folglich ein geringeres Angebot und höhere Produktionskosten gegenüberstehen. Die Inflation dürfte steigen und als Inflationsschutz bekannten Anlagen Auftrieb geben. Seit Ende Mai 2019 ist der US-Dollar-Preis von Gold um rund 30 Prozent gestiegen. Vermutlich ist das Narrativ einer höheren Inflation in der mittleren Zukunft so gefestigt, dass der Goldpreis seinen Aufwärtstrend nach der Corona Krise umso mehr fortsetzen wird.
Und schließlich wird der vergrößerte Einfluss des Staates konkurrierende Narrative hervorbringen. Wird der notwendige Eingriff des Staates in der Krise zum Aufbau einer dauerhaften Dominanz des Staates missbraucht werden? Nach dem Aktiencrash von 1929 ebnete US-Präsident Herbert Hoover den Weg für Franklin D. Roosevelts „New Deal“, auf dessen Grundlage der US Staat bis in die 1980er Jahren eine dominante Stellung einnehmen konnte. Sinnigerweise feiert Roosevelts New Deal heute als „Green Deal“ ein Comeback. Oder wird die Staatswirtschaft wieder radikal zurückgebaut wie nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs in Deutschland unter Ludwig Erhard? Das erscheint wenig wahrscheinlich, aber auch hier wird es Differenzierung zwischen Ländern geben.
Noch steht die weitere Entwicklung der Pandemie im Zentrum der Aufmerksamkeit in den Finanzmärkten. Das Narrativ der Lockerung des „Lockdowns“ ist gegenwärtig im Aufwind. Rückschläge sind möglich, aber früher oder später werden sich die Märkte auf Narrative über die Entwicklung nach der Pandemie konzentrieren.
Erschienen in "WirtschaftsWoche" online am 13. April 2020
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