30.10.2020 - Kommentare
Eine Unabhängigkeit der Zentralbank garantiert nicht, daß diese allein im Interesse der Geldwertstabilität handelt. Von der Politik ernannte Zentralbanker können die Agenda der Politik, der sie ihre Ernennung verdanken, oder eine eigene Agenda umsetzen. Aus diesem Grund kann gutes Geld nur im Wettbewerb der Emittenten entstehen.
Die Unkündbarkeit von Beamten wird im freiheitlich-demokratischem Rechtsstaat unter anderem damit begründet, daß Beamte zur Sachlichkeit verpflichtet sind und sich unparteiisch zur Sache äußern können müssen, ohne politischem Druck und der Drohung mit Entlassung ausgesetzt zu sein. Und die Verbeamtung von Hochschullehrern und Wissenschaftlern läßt sich - wenn überhaupt - nur damit begründen, daß die im Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes für die Bunderepublik Deutschland garantierte Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre nur wenig wert wäre, wenn ein Hochschullehrer oder Wissenschaftler von den jeweilig politisch Herrschenden ohne weiteres entlassen werden könnte, wenn er Forschungsergebnisse veröffentlicht oder Wissenschaftsansätze lehrt, die den jeweilig politisch Herrschenden nicht ins politische Konzept passen.
Die Sicherstellung von Sachlichkeit lag auch dem Konzept von unabhängigen Zentralbanken zugrunde. Die Zentralbanken sollten unabhängig von den Wünschen der jeweils politisch Herrschenden eine Geldpolitik verfolgen, die den Wert des Geldes erhält. Eine Unabhängigkeit von Zentralbanken wurde als notwendige Bedingung und institutionelle Voraussetzung für die Geldwerterhaltung betrachtet, weil erstens politisch abhängige Zentralbanken dazu neigten, durch monetäre Staatsfinanzierung Inflation und im Extremfall Hyperinflation zu erzeugen. Die deutsche Hyperinflation von 1923 ist dafür ein besonders instruktives Beispiel.1 Zweitens könnten sich Staaten mittels Inflation auf Kosten ihrer Bürger entschulden, was einer Besteuerung ohne demokratische Legitimation gleichkommt. Und drittens könnten durch geldpolitische Impulse Konjunkturaufschwünge vor Wahlen erzeugt werden, welche den jeweilig politisch Herrschenden Vorteile bei Wahlen gegenüber ihren politischen Konkurrenten verschaffen würden.2
Betrachtet man die heutige Geldpolitik in den USA und in der Eurozone und bewertet sie anhand der drei genannten Gründe für unabhängige Zentralbanken, dann könnte man aufgrund der großen Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit vorschnell schließen, daß die FED und die EZB keine unabhängigen Zentralbanken mehr sein können. Abgesehen von dem logisch-philosophischen Problem, daß ein solches Urteil als unzulässiger Rückschluß bezeichnet werden müßte, wäre ein solches Urteil aber auch deshalb vorschnell, weil es von der eigentlichen Ursache für die heutige Geldpolitik der Zentralbanken ablenkt. Denn die Unabhängigkeit der Zentralbanken kann sehr wohl die notwendige Bedingung für eine auf Geldwerterhaltung gerichtete Geldpolitik darstellen, sie war aber noch nie die hinreichende Bedingung für eine solche Geldpolitik. Doch worin könnte eine derartige hinreichende Bedingung überhaupt bestehen?
Die naheliegende Antwort lautet, daß man einfach die richtigen Experten mit den richtigen geldpolitischen Theorien in die unabhängigen Zentralbanken entsenden muß. Doch was sind die richtigen geldpolitischen Theorien? Und wer entscheidet das? Natürlich die Entsender! Die jeweilig politisch Herrschenden entscheiden über das Führungspersonal der Zentralbanken - und das natürlich interessenorientiert, so daß sie letztlich auch über die dort vertretenen geldpolitischen Theorien entscheiden. Die Entsender können aber aufgrund der Unabhängigkeit der Zentralbanken anschließend nicht mehr über die konkreten Maßnahmen entscheiden, welche die entsendeten Experten treffen. Eine hinreichende Bedingung für eine auf Geldwerterhaltung gerichtete Geldpolitik existiert also in zweierlei Hinsicht nicht. Zum einen gibt es keine Garantie und erst recht keinen Automatismus, der die Entsendung der richtigen Experten mit den richtigen Theorien erlauben würde, ganz zu schweigen von dem Problem, daß die Frage, was die richtige geldpolitische Theorie ist, höchst umstritten ist. Zum anderen können die entsendeten Experten nach ihrer Entsendung aufgrund ihrer institutionellen Unabhängigkeit anders handeln, als die Entsender wünschen.
Damit ergibt sich das Problem, daß die Unabhängigkeit der Zentralbanken für Ziele genutzt werden kann, die dem ursprünglichen Auftrag oder Zweck widersprechen, aufgrund dessen die Unabhängigkeit verliehen worden ist. Die Unabhängigkeit der Zentralbanken kann also zum Bumerang für ihren ursprünglichen Auftrag werden. Eine expertokratische Emanzipation vom ursprünglichen Auftrag wird möglich. Die Experten können sich neue, vom ursprünglichen Auftrag abweichende Ziele setzen, was oftmals selbst in politischen Kreisen nicht erkannt wird. Und wie viele ablehnende Reaktionen auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2020 zu den Anleihekaufprogrammen der EZB belegen, rückt selbst in Fachkreisen der Finanzindustrie die aus dem ursprünglichen Auftrag abgeleitete Unabhängigkeit der Zentralbanken in den Fokus der Bewertung, während die Verletzung des die Unabhängigkeit konstituierenden Auftrags der Zentralbanken ignoriert wird. Mittel und Zweck werden schlicht verwechselt. An die Stelle der ursprünglich angestrebten Sachlichkeit tritt eine Vermachtung der Geldpolitik.
Diese Vermachtung der Geldpolitik dürfte auch der Hauptgrund sein, weshalb die EZB derzeit die Chancen der Digitalisierung zu verspielen scheint. Das Konzept eines digitalen Zentralbankeuros, welches die EZB seit diesem Monat intern testet, ist auf die Erhaltung des bestehenden Währungs- und Geldsystems ausgerichtet, nicht auf die Geldwerterhaltung. Die bestehende Währungsordnung dürfe nicht dadurch in Frage gestellt werden, daß digitales Zentralbankgeld zu einer wichtigen Form der Wertaufbewahrung für die Bürger werde. Das heißt, das von der EZB emittierte digitale Zentralbankgeld soll für die Bürger von vornherein so schlecht und unattraktiv sein, daß von ihm kein heilsamer Zwang zur Reform der fragilen Europäischen Währungsunion ausgelöst werden kann. Die innovativen Möglichkeiten der Digitalisierung sollen also gerade nicht dazu genutzt werden, das bestehende fragile und dysfunktionale Geldsystem durch eine Geldreform zu verbessern, sondern zu verlängern und zu verfestigen.
Geld soll weiterhin durch Kreditvergabe erzeugt werden, aber der Nutzer soll dieses nun nicht nur in Zentralbankgeld aus Papier (also Bargeld in Form der uns bekannten Geldscheine), sondern in begrenztem Umfang auch in von der EZB geschaffenes „digitales“ Geld tauschen können. Jedem Haushalt bzw. Bürger in der Eurozone soll zu diesem Zweck bei der EZB ein eigenes Einlagenkonto mit digitalem Zentralbankgeld eingerichtet werden. Eine gestaffelte Vergütung soll verhindern, daß das digitale Zentralbankgeld von den Bürgern verstärkt zur Wertaufbewahrung verwendet wird. In der Stufe 1 (Tier 1) soll bis zu einer Höhe von 3000 Euro die Vergütung der Vergütungshöhe für Überschußreserven entsprechen, wobei eine „Untergrenze“ von Null gilt. In der Stufe 2 (Tier 2) soll die Vergütung 2 Prozentpunkte unterhalb der Vergütung für Überschußreserven liegen, wobei eine „Obergrenze“ von Null gilt. Die Stufe 2 dient also ausdrücklich der „Disincentivierung“.
Mit diesem digitalen Zentralbankkonzept der EZB wird eine große Chance verpaßt. Eine geldpolitische Evolution hin zu einer marktwirtschaftlichen Geldordnung im Sinne von Friedrich August von Hayek wird behindert. Durch die Einrichtung eines Einlagenkontos bei der EZB mit digitalem Zentralbankgeld für jeden Bürger in Höhe eines durchschnittlichen monatlichen Haushaltseinkommens soll einerseits die Verbreitung und Verwendung von digitalem Zentralbankgeld ermöglicht werden (Payment-Funktionalität). Gleichzeitig wird dadurch aber staatlicherseits behindert, daß eine der Staatswährung Euro Konkurrenz machende Massennachfrage nach privaten digitalen Währungen für den Zahlungsverkehr entsteht, durch welche ein heilsamer Zwang zur Stabilisierung des Euro und zu einer Geldsystemreform ausgelöst werden könnte. Andererseits soll das digitale Zentralbankgeld der EZB so unattraktiv sein, daß es nicht seinerseits diesen heilsamen Zwang hervorbringt. Es soll schließlich verhindert werden, daß durch Währungswettbewerb evolutionär eine neue Geldordnung entsteht.3 Das digitale Zentralbankgeld der EZB dient deshalb lediglich der Ergänzung und Aufrechterhaltung des Euro in unserem bestehenden fragilen Kreditgeldsystems. Die Vermachtung der Geldpolitik scheint in der Eurozone bereits so weit vorangeschritten zu sein, daß die zur Sachlichkeit verpflichteten Experten der EZB ihren ursprünglichen Auftrag der Geldwerterhaltung durch das Ziel, das bestehende fragile Kreditgeldsystem zu erhalten, ersetzt haben. Mittel und Zweck werden schlichtweg verwechselt.
1 Siehe Marius Kleinheyer: Wenn Geld zum Instrument der Politik wird, Studie des Flossbach von Storch Research Institute vom 16. Juni 2020, online: https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/studien/wenn-geld-zum-instrument-der-politik-wird/
2 Vgl. Gabler Wirtschaftslexikon online: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/unabhaengigkeit-der-zentralbank-47065/version-270336
3 Zum evolutionären Übergang zu einer marktwirtschaftlichen Geldordnung bereits FRANK SCHÄFFLER und NORBERT F. TOFALL: „Währungswettbewerb als Evolutionsverfahren. Der Übergang vom staatlichen Papiergeldmonopol zu einer marktwirtschaftlichen Geldordnung ist evolutionär mittels Wettbewerb möglich“, in: PETER ALTMIKS (Hg.): Im Schatten der Finanzkrise. Muss das staatliche Zentralbankwesen abgeschafft werden? München (Olzog) 2010, S. 135 – 155 sowie FRANK SCHÄFFLER und NORBERT F. TOFALL: „Euro-Stabilität durch konkurrierende Privatwährungen“, in: DIRK MEYER (Hg.): Die Zukunft der Währungsunion. Chancen und Risiken des Euros, mit Beiträgen von Helmut Schmidt, Václav Klaus, Arnulf Baring, Roland Vaubel, Wolf Schäfer, Hans-Olaf Henkel, Charles B. Blankart und anderen, Berlin (LIT) 2012, S. 275 – 288.
15.01.2018 - Wirtschaft & Politik
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