13.06.2019 - Kommentare

Italiens Pokerspiel geht in die zweite Runde

von Norbert F. Tofall


Da die EZB ihr „whatever it takes“ nicht widerruft und die Euroländer und die EU-Kommission den Euro-Austritt eines Landes verhindern wollen, dürfte Italien auch die zweite Runde seines Pokerspiels gewinnen.

Kurz vor der Europawahl startete Italiens Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini die zweite Runde des Pokerspiels der italienischen Regierung gegen die EU-Kommission, die EZB und die anderen Euroländer. Am 22. Mai 2019 warf Salvini der Europäischen Union erneut vor, mit ihrer Austeritätspolitik prekäre Verhältnisse und Verzweiflung geschaffen zu haben, weshalb Italien endgültig raus müsse aus dem Käfig der Euro-Verschuldungsregeln. Die italienische Regierung aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung hatte seit ihrem Amtsantritt vor einem Jahr gefordert, daß erstens die Verschuldungsregeln in der Europäischen Währungsunion gelockert werden müssen und daß zweitens die EZB sicherstellen solle, daß die Renditeabstände von Staatsanleihen der Euroländer auf eine maximale Differenz von 1,5 Prozentpunkten begrenzt werden. Zur Durchsetzung dieser Forderungen hatte die italienische Regierung ab August 2018 begonnen, ganz offen und unverblümt gegen die EU-Kommission, die anderen Euroländer und die EZB zu spielen. Die Forderung lautet: Gehen die EU-Kommission, die anderen Euroländer und die EZB nicht auf unsere Vorstellungen ein, drohen wir mit dem ungeregelten Auseinanderbrechen der Eurozone. Kurz vor Weihnachten hatte die italienische Regierung die erste Runde in diesem Spiel bereits gewonnen, wobei ihr die innenpolitische Lage in Frankreich zu Hilfe kam, in welcher Präsident Macron aufgrund der Gelbwesten-Proteste die Erhöhung der Staatsausgaben über die zulässigen Euroverschuldungsregeln hinaus freigab. Die Verschuldungsregeln der Europäischen Währungsunion sind seitdem de facto noch weitgehender außer Kraft gesetzt als vorher schon - und das mit dem Segen der EU-Kommission.1

Am Dienstag nach der Europawahl ging Salvini nun die Erreichung des zweiten Ziels offen an. Die EZB müsse mehr dazu beitragen, daß die Finanzierungskosten der Staatsschulden der Euroländer nicht aus dem Ruder laufen. Es sei nicht akzeptabel, daß die Renditen italienischer Staatsanleihen höher seien als die von anderen Ländern der Europäischen Währungsunion.

Am gleichen Tag stimmte das italienische Parlament dafür, daß der italienische Staat ausstehende Lieferantenverbindlichkeiten mit sogenannten Mini-Bots begleichen könne. Falls die italienische Regierung von dieser Möglichkeit Gebrauch machen sollte und die Mini-Bots als Zahlungsmittel und zur Begleichung von Steuerschulden verwendet werden können, wäre das die Einführung einer Parallelwährung in Italien. EZB-Präsident Mario Draghi bezeichnete das als illegal.

Es verwundert deshalb nicht, daß der Mini-Bot Vorschlag innerhalb der italienischen Regierung zwischen Ministerpräsident Conte und Finanzminister Tria auf der einen Seite und Matteo Salvini von der Lega und Luigi die Maio von den Fünf-Sternen auf der anderen Seite umstritten ist. Politökonomisch mindert das jedoch nicht das Erpressungspotential Italiens in seinem Pokerspiel mit der EU und der EZB. Denn das maximale Drohpotential mittels Chaotisierung könnte in einer Situation bestehen, in welcher nach einem Zerfall der Regierung und den dann folgenden Neuwahlen, in welchen die EU als populäres Feindbild von der Lega und den Fünf-Sternen mißbraucht wird, die Frage ungeklärt und drohend bleibt, ob Italien eine Parallelwährung über Mini-Bots einführt oder nicht.

Da die EZB für sich selbst die Pflicht definiert hat, den Euroraum „whatever it takes“ zusammenzuhalten, dürfte sie – und hierauf zielt die zweite Runde des Pokerspiels von Italien – wohl wieder Mittel und Wege finden, Italien über Wasser zu hal­ten, um so vielleicht die Einführung einer Parallelwährung zu verhindern. Denn aus der Einführung einer Parallelwährung könnte schnell das ungeregelte Auseinanderbre­chen der Eurozone oder zumindest das „Heraus-Crashen“ Italiens aus dem Euro entstehen.

Gesetzt den Fall, daß nach der Einführung einer italienischen Parallelwährung an den Finanzmärkten die Risikoaufschläge für die fälligen italienischen Euro-Staatsschulden derart in die Höhe schießen, so daß die Euroeinnahmen des italienischen Staates nicht ausreichen, um weiterhin die Zinsen für die Euroschulden zahlen und die fälligen Euro­schulden begleichen oder umschulden zu können, dann könnte eine Parallelwährung nicht zur Erhöhung des fiskalischen Haushaltsspielraums, sondern entsprechend der Fälligkeitsstruktur der Euroschulden schrittweise zur Verringerung der fiskalischen Möglichkeiten führen. Dann dürfte ein schneller Austritt aus dem Euro – zur Abwendung der vollkommenen Handlungsunfähigkeit des Staates – wahrscheinlich sein. Die ursprüngliche Parallelwährung wird dann mit einem Federstrich an einem Wochenende zur neuen nationalen und einzigen Währung, so daß eine vollumfängliche natio­nale monetäre Staatsfinanzierung gewährleistet ist. Inwieweit die Euroschulden dann über­haupt weiterhin bedient werden oder bedient werden können oder ob die Gläubiger leer ausgehen, dürfte offen sein. Und würden die Target-Verbindlichkeiten beglichen wer­den? Und könnte die restliche Eurozone dann überhaupt zusammengehalten werden oder würde eine panikartige Flucht des Rette-sich-wer-kann einsetzen?

Dieses Szenario, in welchem die Eurozone ungeordnet Mitglieder ver­liert und dadurch womöglich auseinanderbricht, wollen die Regierungen der Eurolän­der, die EU-Kommission und die EZB auf jeden Fall verhindern. Deshalb werden sie zu weitreichenden Zugeständnissen an Italien bereit sein. Solange die EZB ihr „whatever it takes“ nicht widerruft und solange die anderen Euroländer und die EU-Kommission ein Ausscheiden eines Landes aus dem Euro auf Teufel komm raus verhindern wollen, kann Italien davon ausgehen, daß es auch die zweite Runde seines Pokerspiels gewinnen wird. Die weitere Lirarisierung des Euro ist damit vorprogrammiert.


1 Siehe Norbert F. Tofall: Regelbruch mit Segen der EU-Kommission, Kommentar zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 4. Januar 2019, online unter: www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/kommentare/regelbruch-mit-segen-der-eu-kommission/

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