01.08.2024 - Kommentare

Ist der japanische Yen auf Erholungskurs? Oder droht ein dauerhafter Absturz?

von Gunther Schnabl


Der japanische Yen schwächelt. Notierte er im Januar 2012 bei 77 Yen pro Dollar und im Januar 2021 noch bei 104 Yen pro Dollar, waren es Ende Juni 2024 über 160 Yen. Nach einer Erholung im Juli sind es derzeit rund 150 Yen. Die Abwertung ist so stark, dass sie weltweit das Reiseverhalten verändert hat. In Japan klagt man über eine „Übertourismus-Krise“, die malerischen Landschaften würden durch einen „Selfie-Wahn“ verschandelt.

Japans Finanzministerium hat nervös mit Devisenmarktinterventionen regiert, bei denen es nicht nur um die Reputation von Japan als Reiseland geht. Die Abwertung ist längst ein politisches Problem, weil sie die Preise von Lebensmitteln und Energie nach oben getrieben hat. Die Popularitätswerte des Ministerpräsidenten Kishida sind im Keller. Die Bank von Japan könnte mit Zinserhöhungen die Schwächephase stoppen, bleibt jedoch zögerlich. Deutet dies auf einen dauerhaften Wertverfall hin?

Der Grund für die aktuelle Yen-Schwäche ist offensichtlich. Nachdem seit 2021 die Inflation in den meisten Industrieländern stark angestiegen war, haben ab 2022 die US-amerikanische Zentralbank Fed und die Europäische Zentralbank die Leitzinsen mit Wucht angehoben. Die Fed hat die Wertpapierbestände in ihrer Bilanz reduziert, so dass die Zinsen auf 10jährige Staatsanleihen stark gegenüber 10jährigen japanischen Staatsanleihen angestiegen sind (Abbildung 2). Die wachsende Zinsdifferenz zwischen Japan und den USA hat es attraktiv gemacht, trotz Wechselkursrisiken von niedrig-verzinsten Yenanlagen in deutlich höher verzinste Dollaranlagen umzuschichten. Die sogenannten Carry-Trades – Spekulanten verschulden sich in niedrig verzinsten Währungen und legen in hochverzinsten Währungen an – haben beispielsweise mit den Zielen Mexiko und Indien nochmals an Schwung gewonnen. Auch viele Käufe von Tech-Aktien dürften mit Yen finanziert worden sein.

Zwar hat im Frühjahr 2024 die Bank von Japan nachgezogen, indem sie den Leitzins von -0,1 Prozent auf 0,25 Prozent erhöht hat und den Zins auf 10jährige japanische Staatsanleihen auf rund 1 Prozent hat steigen lassen. Doch das hat die Zinsdifferenz gegenüber den USA nicht wesentlich abgeschmolzen. Die Bank von Japan baut im Gegensatz zu anderen großen Zentralbanken trotz der jüngsten Reduktion des Volumens ihre Bestände an Staatsanleihen weiter aus. Mögliche Gründe gibt es viele: Die Zinsverbindlichkeiten des hochverschuldeten japanischen Staates würden explodieren und die Bank von Japan würde hohe Verluste erleiden.

Trotzdem könnte der Yen auch wieder aufwerten. Japan hat seit den frühen 1980er Jahren auf der Grundlage seither fortbestehender Nettokapitalexporte ein Nettoauslandsvermögen in Höhe von über 3.000 Milliarden Dollar angehäuft (Abbildung 3). Dieses ist in Fremdwährung (wohl überwiegend Dollar) denominiert und wird weitgehend von privaten Akteuren gehalten. Die Bank von Japan hat die anhaltenden Kapitalabflüsse aus Japan maßgeblich befeuert, indem sie seit Beginn der 1980er Jahre das Zinsniveau in Japan um durchschnittlich 2,8 Prozentpunkte unter dem Zinsniveau in den USA gehalten hat (Abbildung 2).

Nach der offenen Zinsparität signalisiert ein dauerhaft niedrigeres Zinsniveau in Japan als in den USA Aufwertungserwartungen des Yen gegenüber dem Dollar. Der Yen würde in der Tat aufwerten, wenn viele japanische Anleger ihr Kapital aus dem Ausland zurückziehen und in Yen tauschen würden. In der Vergangenheit wurde ein großes Erdbeben in der Hauptstadtregion Kanto als möglicher Auslöser diskutiert, weil viel Kapital für den Wiederaufbau benötigt würde.

Auch wenn sich die Aufwertungserwartungen verstetigen würden, könnte dies – wie nach dem Plaza-Abkommen im September 1985 – einen Run in den Yen auslösen. Unter anderen haben die japanischen Lebensversicherungen und Pensionsfonds hohe Anlagen in Dollar, die nur teilweise gegen Wechselkursrisiken abgesichert sind. Da die Bilanzen und Auszahlungsverpflichtungen in Yen sind, könnte eine starke Yenaufwertung das Eigenkapital einer Lebensversicherung schnell dahinschmelzen lassen. Um solche Verluste zu minimieren, müssten bei sich verstetigenden Aufwertungserwartungen Finanzmarktakteure besser heute als morgen ihre Dollaranlagen liquidieren und in Yen tauschen. Wie nach dem Plaza-Abkommen zwischen September 1985 und 1987 könnte eine unkontrollierte, sich selbst verstärkende Yenaufwertung die japanische Wirtschaft hart treffen.

Sollten die Zinsen in den USA weiter hoch bleiben, droht eine Zwickmühle. Die Zinserhöhungen in den USA haben die Kurse von niedrig verzinsten Wertpapieren stark gedrückt. Diese Verluste werden nicht realisiert, wenn die Wertpapiere bis zum Ende der Laufzeit gehalten werden. Wertet in dieser Zeit der Yen jedoch stark auf, weil die Bank von Japan die Zinsen erhöht, dann entstehen schmerzhafte wechselkursbedingte Bewertungsverluste. Japanische Lebensversicherungen, Banken und Pensionsfonds würden vor der Wahl stehen, entweder US-amerikanische Staatsanleihen verlustreich zu liquidieren oder bis zum Ende der Laufzeit die Aufwertungsverluste hinzunehmen.

Jüngst hat die Norinchukin Bank einen Vorgeschmack für ein solches Szenario geliefert. Sie hat sich für die Liquidierung von US-amerikanischen und europäischen Staatsanleihen im Umfang von 63 Milliarden Dollar und damit einem erwarteten Verlust von rund 10 Milliarden Dollar im aktuellen Finanzjahr durchgerungen. Durch den aktuell schwachen Yen kann sie Teile dieser Verluste wieder kompensieren. Wenn jedoch andere Institute Auslandsvermögen zurückholen, würde der Yen aufwerten und zu den zinsbedingten Bewertungsverlusten könnten sich Aufwertungsverluste auf die verblieben Auslandanlagen gesellen. Je später die Entscheidung zur Liquidierung der Auslandsanlagen käme, desto verlustreicher.

Es scheint also, dass nicht nur die politisch einflussreiche Exportindustrie, sondern auch viele Finanzinstitutionen einschließlich großer Pensionskassen einen starken Yen fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Zwar tut die Abwertung den Konsumenten weh. Doch könnte die Regierung einen schwachen Yen als einzigen Weg sehen, um eine Finanzkrise zu verhindern und den Export als wichtige Stützen der Konjunktur abzusichern. Das würde das Hadern der Bank von Japan bei den Zinserhöhungen erklären.

Die weitgehend handlungsunfähige Bank von Japan könnte auch auf eine dauerhafte Abwertung des Yen hindeuten. Sobald die Zinsen in den USA wieder sinken, müsste die Bank von Japan ihre Geldpolitik ohnehin wieder schnell lockern, damit der Yen nicht zu stark aufwertet. Ein dauerhaft abwertender Yen wäre nur mit der offenen Zinsparität kompatibel, wenn die langfristigen Zinsen in Japan über die langfristigen Zinsen in den USA steigen. Das wäre dann der Fall, wenn die Inflation in Japan weiter steigen würde und damit die Inflationsprämien auf die Zinsen, während die Inflation in den USA weiter fällt.

Zwar hat die Regierung bisher die Inflation dank umfangreicher Staatsanleihekäufe der Bank von Japan durch Subventionen für Lebensmittel, Energie, Nahverkehr und Bildung niedrig gehalten. Bei der bereits äußerst hohen Staatsverschuldung könnte diese Strategie jedoch zunehmend an ihre Grenzen stoßen. Zusammen mit den Bemühungen der Gewerkschaften, die seit mehr als zwei Dekaden anhaltenden Kaufkraftverluste durch hohe Lohnforderungen auszugleichen, könnte die Inflation in Japan weiter steigen.

Würden sich wie seit längerem die Erwartungen eines fallenden Innen- und Außenwerts des Yen verstetigen, dann könnten die japanischen Anleger auf Dauer die Lust verlieren, ihre Auslandsvermögen in Yen zurückzutauschen. Der aus Repatriierungserwartungen resultierende Aufwertungsdruck wäre weg. Schließlich würde der schwindende Außen- und Innenwert von Nippons Währung an die schon lange schwindende Wirtschaftskraft angepasst.

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