18.06.2019 - Kommentare
Geldpolitische Sondermaßnahmen nehmen keinen Einfluss auf die Vermögensverteilung in Deutschland. So sieht es zumindest der Bundesbank Präsident Jens Weidmann.1 Angesichts dessen, dass Immobilien den größten Anteil des Vermögens deutscher Haushalte ausmachen und die Preise für Wohnimmobilien nahezu explodiert sind, fällt es schwer Herrn Weidmann zu glauben. Daher haben wir einmal nachgerechnet.
Gehen wir in das Jahr 2010 zurück, als die EZB noch nicht zu den geldpolitischen Sondermaßnahmen gegriffen hatte. Damals wurde der Wert der durchschnittlichen Immobilie in Besitz deutscher Haushalte auf 210.000 Euro geschätzt.2 Seitdem sind die Preise für Immobilien deutschlandweit um sage und schreibe 49 % angestiegen.3 Wenn nun in 2019 ein Haushalt eine Immobilie verkauft, die er bereits 2010 besessen hat, würde er dafür rund 310.000 Euro bekommen, also 100.000 Euro mehr. Selbst nach Abnutzung der Immobilie bleibt ein erheblicher Mehrwert übrig. Vergleicht man den Mehrwert mit dem Nettovermögen des durchschnittlichen deutschen Immobilienbesitzers im Jahr 2010 von 270.000 Euro4, so stellt dies vorbehaltlich der Abnutzung einen Vermögenszuwachs von 37 % dar.
Wie wird Ungleichheit verschärft?
Da 2010 nur 44 % der deutschen Haushalte eine Immobilie besessen haben, hebt sich deren Vermögen nun deutlich von den zur Miete wohnenden Haushalten ab. Dies ist jedoch nicht der einzige Weg, auf dem sich eine zunehmende Ungleichheit einschleicht. So müssen Nicht-Immobilienbesitzer nun erheblich mehr aufwenden, um ein Objekt zu erwerben. Auch Immobilien-Erben haben den Vorteil vom Preisanstieg zu profitieren, während Haushalte, deren Eltern keine Immobilie vererben können, das Nachsehen haben. Und zu guter Letzt sind Immobilienbesitzer häufiger unter wohlhabenderen Haushalten vorzufinden. Es fällt immer schwerer, der Aussage von Herrn Weidmann Glauben zu schenken.
Worauf stützt sich Weidmanns Behauptung?
Weidmann beruft sich auf die Ergebnisse der Umfrage „Private Haushalte und ihre Finanzen“ der Bundesbank aus den Jahren 2010, 2014 und 2017. Darin ist zu lesen, dass der Wert der durchschnittlichen deutschen Wohnimmobilie seit 2010 nur um 15 % gestiegen sei – also in einem deutlich geringeren Umfang.5 Wenn man genauer hinschaut, entdeckt man, dass die Berechnung des Wertzuwachses auf einer Selbsteinschätzung der Haushalte beruht. Innerhalb einer umfangreichen Telefonumfrage werden Haushalte befragt, wie hoch der gegenwärtige Wert ihrer Immobilie sei.6
Und hier liegt das Problem.
Knackpunkt ist die Erhebungsmethodik. Kann ein Haushalt hinreichend genau einschätzen, wieviel seine Immobilie wert ist? Nur wenn in jüngster Zeit die Immobilie erworben oder ein vergleichbares Objekt in der Nachbarschaft verkauft wurde, kann man eine halbwegs genaue Einschätzung des Preises angeben. Steht diese Information jedoch nicht zur Verfügung, so kann der Befragte am Telefon entweder ins Blaue raten oder sich an den Preis erinnern, den der einst selbst berappeln musste. Psychologische Studien legen nahe, dass die Benennung des ursprünglichen Kaufpreises durchaus als die zu erwartende Antwort angesehen werden kann.7 Umfrageergebnisse sind daher als Schätzer für die Wertentwicklung illiquider Assets kaum tauglich.
Die Vergleichsrechnung
Die eingangs präsentierte Vergleichsrechnung geht einen anderen Weg. Wir haben ebenfalls die Umfrageergebnisse aus 2010 als Ausgangsbasis genommen, jedoch die Wertentwicklung einer Immobilie mittels des Immobilienpreisindex von vpdResearch fortgeschrieben. Der Index wird anhand einer Datenbank von Immobilientransaktionen von fast 600 Kreditinstituten berechnet. Daher kann die Schätzung als hinreichend genau angesehen werden.8 Die so entstehende Abweichung zu den Umfrageergebnissen aus 2014 und 2017 ist zu groß, als dass sie durch die Abnutzung der Immobilien erklärt werden könnte. Dies lässt auf Inkonsistenz in den Umfrageergebnissen der Bundesbank schließen, auf die wir bereits 2016 hingewiesen haben.9
Die geldpolitischen Sondermaßnahmen der EZB haben einen erheblichen Einfluss auf die Vermögensverteilung in Deutschland. Zwar mag dies durch Umfrageergebnisse nur schwer ersichtlich sein, ein Blick auf die Mikroebene legt den Zusammenhang jedoch klar offen. Es bleibt abzuwarten, wann dieser unerwünschte Nebeneffekt der Geldpolitik auch von Herrn Weidmann, der Bundesbank und schließlich auch von der EZB anerkannt wird.
1Rede von Jens Weidmann am 28. Sparkassentag in Hamburg, 16.05.2019.
2 Deutsche Bundesbank, PHF-Studie, erste Welle (2014), Tabelle 2_1.
3vdp Immobilienpreisindex für selbstgenutztes Wohneigentum, vdpResearch GmbH, Zugriff 07.06.2019.
4 Deutsche Bundesbank, PHF-Studie, erste Welle (2014), Tabelle 1_A_1.
5 Deutsche Bundesbank, PHF-Studie, dritte Welle (2019).
6 Deutsche Bundesbank (2014): „Fragenprogramm: Private Haushalte und ihre Finanzen“, Frage 3.15.
7 Genannt „Anchoring Bias“, erstmals dokumentiert von Tversky & Kahnemann (1974) in „Judgement und uncertainty: Heuristics and biases“, in Science.
8 Vgl. https://www.vdpresearch.de/transaktionsdatenbank/.
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