20.08.2024 - Kommentare
„Ich bin wieder hier, in meinem Revier, war nie wirklich weg, hab' mich nur versteckt“. Älteren deutschen Investoren mag diese Liedzeile von Marius Müller-Westernhagen in den Sinn gekommen sein, als es im August an der Märkten wie aus dem Nichts mächtig krachte und der sogenannte Carry Trade nach langer Zeit überall die Runde machte.
Dieser Handel beschreibt, wie Investoren sich in einer niedrig verzinsten Währung Geld leihen, um in höherverzinste Währungen oder vermeintlich aussichtsreiche Anlagen anzulegen. Dies geschieht auch über Umwege. So können Profi-Investoren etwa Anleihen der Niedrigzins-Währung leer verkaufen und legen die Einnahmen daraus in einer Hochzinswährung an.1
Entscheidend ist dabei nicht die Höhe der Zinsen der jeweiligen Kredit- und Anlagewährung, sondern die Differenz. Je größer der Abstand, desto mehr Puffer bietet der Zinsunterschied. Dazu kommt: Sollten sich die Schuldner der beiden unterschiedlichen Währungen in etwa im selben Bonitätsbereich ansiedeln, dann winken noch Währungsgewinne. Zieht doch ein höherer Zins bei ähnlicher Rückzahlungswahrscheinlichkeit Gelder an, die den Preis einer Währung treiben.
Besonders beliebt als Leih- oder Leerverkaufswährung ist der japanische Yen, der schon beinahe traditionell wenig Zins kostet und sich als einzige wesentliche Währung dem allgemeinen Zinsanstieg seit 2022 entzogen hatte.
Bis vor kurzem. Nachdem die Bank of Japan im März den ersten Trippelschritt heraus aus der Minuszinspolitik gewagt und gleichzeitig ihre Kontrolle über längerfristigen Renditen von Staatspapieren gelockert hatte, erhöhte sie Ende Juli den Leitzins auf 0,25 Prozent – das war offenbar für viele Investoren eine Überraschung. Umgehend schlossen Anleger ihre Carry Trades auf den japanischen Yen. Das zeigen exemplarisch die spekulativen Positionen (Futures) an der dafür maßgeblichen Chicago Merchantile Exchange (CME).
Lagen diese Ende Juni netto noch fast auf Rekordtief, was massive Wetten auf fallende Yen-Kurse (short) bedeutete, drehten sie am 6. August nahe an die Nulllinie heran. Nach letzten verfügbaren Daten zum 13. August sind Investoren inzwischen sogar deutlich netto long, also für einen Yen-Anstieg positioniert (Abbildung 1).
Vorausgegangen war ein schwarzer Montag an den Börsen, nachdem der Dollar auch aufgrund verstärkter Zinssenkungserwartungen in den USA abrupt seinen dreieinhalbjährigen Anstieg gegenüber dem Yen beendet hatte.
Die meist- und hochgehandelten Top-Aktien an der US-Börse brachen binnen weniger Tage mit zweistelligen Prozentsätzen ein, der Nikkei 225 verlor auf einen Schlag gut zwölf Prozent, der in Heimatwährung stark verzinste mexikanische Peso notierte gegenüber dem Dollar auf dem niedrigsten Stand seit Anfang 2023 und der von der Krypto-Lobby als Store of Value gepriesene Bitcoin crashte vom 29. Juli bis zum 5. August um knapp 30 Prozent.
Danach setzte eine schnelle Erholung ein. Grund: Marktbeobachter gehen aktuell davon aus, dass die klassischen, eher kurzfristig finanzierten Carry Trades etwa von Hedgefonds bereits größtenteils aufgelöst worden sind. J.P. Morgan Chase schätzt, dass drei Viertel der Carry-Positionen abgebaut wurden. Die Citigroup hält die verbliebenen Engagements als „noch nicht sauber, aber sie liegen unter den von uns überwachten Gefahrenstufen“.2
Die entscheidende Rolle, das hat das kurze August-Beben gezeigt, spielen bei solchen Entwicklungen die Zinsen. So hängt der Preis des Yen zum Dollar eng an der Differenz der Renditen von langlaufenden, sicheren US- und japanischen Anleihen (Abbildung 2).
Dabei zählt der Yen-Carry-Trade gemeinhin zu den known Unknowns. Zu den bekannten größeren Risiken an den internationalen Finanzmärkten, bei denen sich meist nur die Frage stellt, wann sie denn zum Tragen kommen.3
Während des Beginns der Finanzkrise 2007/2008, die Dollar-Anlagen infrage stellte, drehten die Yen-Futures massiv von short auf long. In der Folge stieg der Yen sukzessive auf ein Rekordhoch: Ende 2011 kostete der Dollar zeitweise weniger als 77 Yen. Auch jetzt könnte es sein, dass sich Positionierung der Investoren pro Yen dreht.
Der schwache Yen hatte in den vergangenen Jahren den Wert von japanischen Investitionen in ausländische Aktien, Anleihen und andere Anlagen aufgebläht. Das Bruttoauslandsvermögen, das von der japanischen Regierung, Unternehmen und Privatanlegern gehalten wird, war im abgelaufenen Fiskaljahr per Ende März um 11,1 Prozent auf 1.488 Billionen Yen gestiegen, während die Auslandsverschuldung um 10,6 Prozent auf 1.017 Billionen Yen zulegte, so das Ministerium Ende Mai.4 Zu damaligen Kursen entsprach dies umgerechnet 9.600 Milliarden Dollar an Vermögen und 6.560 Milliarden Dollar an Schulden – eine Differenz von gut 3.000 Milliarden Dollar also.
Japan ist mit gut 250 Prozent Staatsschulden zu Bruttoinlandsprodukt zwar Schlusslicht unter den großen Industrienationen, aber gleichzeitig auch Anlageweltmeister. In einer engeren, nur auf Investments in ausländische Anleihen und Aktien bezogenen Erhebung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) hatte Japan zuletzt in beiden Kategorien knapp 5,4 Billionen Dollar angelegt (Abbildung 3).
Ein gutes Drittel dieser Investments liegt auf den Büchern der japanischen Banken. So viel wie Japan investiert kein anderes Land Kapital in Übersee.
Japan hat also eine starke Feuerkraft, um seine Währung noch eine lange Weile zu verteidigen, ist aber nach jahrelanger Stagnation und zeitweiliger Deflation ein Gefangener seiner eigenen Wirtschafts- und Notenbankpolitik, die eng miteinander verknüpft sind.5
Auch deshalb gibt es gute Argumente, die für eine nur temporäre Erholung des Yen sprechen. So steht etwa die Handlungsfähigkeit der Bank of Japan infrage.6
Und nachdem die zehnjährige japanische Staatsanleihe am 22. Mai dieses Jahres erstmals seit April 2012 wieder mehr als ein Prozent Rendite pro Jahr abwarf, gibt es aktuell nur noch gut 0,8 Prozent. Das ist uninteressant für japanische Langfristanleger wie Pensionskassen und Lebensversicherer, die laut Markberichten bei zwei Prozent versucht sein dürften, mehr Gelder in japanischen Bonds anzulegen. Zwei Prozent gibt es zwar, jedoch nur für 30-jährige Yen-Papiere. Diese sehr lange Laufzeit dürfte aber oberhalb der Dauer der durchschnittlichen Verpflichtungen der Versicherer liegen.
Allerdings sind Alternativen wie längerfristige Dollar-Engagements nur dann noch lohnend, wenn sie ohne Absicherung eingegangen werden. Die zehnjährige US-Staatsanleihe wirft derzeit rund 3,9 Prozent Jahresrendite ab. Die Absicherungskosten liegen bei 5,1 Prozent.7
Für einen Renditeanstieg in Japan spricht, dass die Bank of Japan nicht nur die strenge Kontrolle aufgegeben hat, sondern ihre jüngsten Anleihekäufe von zuletzt 5,7 Billionen Yen pro Monat sukzessive auf 2,9 Billionen Yen im ersten Quartal 2026 halbieren will.
Schließt sich die Zinslücke zwischen den japanischen und den US-Renditen weiter, und führen deshalb die großen Anleger wie der japanische Staat, die öffentlichen und privaten Pensionskassen und Lebensversicherer ihre Billionen-schweren Anlagen zurück, dann könnte sich weiterer Aufwertungsdruck im Yen entfalten. Das dürfte sich allerdings – wenn – weniger abrupt, als vielmehr graduell und mittel- bis langfristig materialisieren.
Vor allem dem Dollarraum würde dann Liquidität entzogen. Das könnte einen Abbau des deutlichen Übergewichts von US-Anlagen wie vor allem Aktien in den breiten Indizes nach sich ziehen.
Nicht außer Acht gelassen werden darf, dass der Yen langfristig mit nicht lösbaren strukturellen Problemen konfrontiert ist. Das Alter der Bevölkerung Japans wird im Median auf 49 Jahre geschätzt, die Geburtenrate lag 2023 bei nur 1,2 Kindern pro Frau.
Gegen eine Yen-Aufwertung auf Sicht der kommenden Monate spräche eine Wirtschaftsschwäche und Disinflation. Mitte August erst überraschte Japan jedoch mit guten Konjunkturdaten für das Quartal von April bis Juni. Das dürfte die Hoffnung der Bank of Japan nähren, die Inflation an die von ihr gewünschte Zielmarke von zwei Prozent treiben zu können, was weitere, den Yen stützende Zinserhöhungen rechtfertigen würde.
Doch nach dem Zusammenbruch des Nikkei und der US-Märkte reagierte Shinichi Uchida, stellvertretender Gouverneur der Bank of Japan, mit einer bemerkenswerten Erklärung: Die Notenbank werde „ihren Leitzins nicht anheben, wenn die Finanz- und Kapitalmärkte instabil sind".8
Eine Instabilität lässt sich nicht leugnen, dazu hat eben die zu anderen Notenbanken gegenläufige Zinspolitik der Bank of Japan mit beigetragen.
Zu den Akten legen und nur als Episode betrachten sollten Investoren den Yen und den Minicrash jedenfalls nicht.
1 Dazu kommen sogenannte Swap-Geschäfte. Bei einem Devisenswap stellt ein Kreditgeber zum Beispiel Dollar gegen Yen zur Verfügung, mit dem Versprechen, die Yen bei Fälligkeit des Swaps zu einem vereinbarten Wechselkurs zurückzuzahlen. Der Dollar-Geber, der die Yen erhält, parkt die Yen-Erlöse üblicherweise in einem sicheren Yen-Wertpapier, einer japanischen Staatsanleihe zum Beispiel. Die Yen können jedoch auch weiterverkauft werden, wiederum gegen den Dollar oder andere Währungen, so dass der Dollar-Anbieter eine nicht abgesicherte Yen-Verpflichtung hat. Er spekuliert dann ungesichert auf einen Yen-Verfall. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) ermittelte per Ende Juni 2022 Swap-Volumina (FX und Währungen) über 97 Billionen Dollar. Dollar-Yen-Swaps sollen nach Marktschätzungen für rund 14 Billionen Dollar stehen. Die BIZ nennt Swaps einen blinden Fleck im Finanzsystem.
7 Gemessen an Drei-Monats-Dollar-Yen-Forward-Kontrakten
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