06.09.2024 - Kommentare

Deutschland nach den Landtagswahlen - Nationalisten und Anti-Kapitalisten weiter auf dem Vormarsch

von Norbert F. Tofall


Mit der Gründung des BSW in der Bundesrepublik Deutschland verbanden viele politische Analysten die Erwartung, daß der BSW in der Summe der AfD Stimmen abnehmen und der Stimmenanteil der AfD zurückgehen könnte. Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen zeigen, daß das nicht der Fall ist. Die rechten und linken Nationalisten und Anti-Kapitalisten verzeichnen beide erhebliche Zuwächse, scheinen bislang nicht in einem Verdrängungswettbewerb zu stehen und zerdrücken die bisherigen Parteien in der Mitte. Selbst die relativ guten Ergebnisse für die CDU sind ein Pyrrhussieg, denn die CDU scheint in Sachsen und Thüringen zur Zusammenarbeit mit der SPD und dem BSW verdammt zu sein, was nur zu Regierungsprogrammen links der Mitte führen kann.

Obwohl die Ergebnisse aus Sachsen und Thüringen nicht ohne weiteres auf die Bundesebene übertragen werden können, - dafür spiegeln sie zu sehr die alte DDR-Fürsorge-Mentalität und die Ressentiments gegen den Westen und die USA, welche sowohl Höcke als auch Wagenknecht exzellent zu bedienen wissen -, verfestigt sich in Deutschland eine Entwicklung, die in ganz Europa seit fast 20 Jahren zu beobachten ist. Seit der unbereinigten Finanzkrise von 2007/2008, über die Griechenlandkrise 2010 und die Euro-Schuldenkrise 2011/2012 und die Migrationskrise seit 2015 sowie die Corona-Krise von 2020/2021 sowie Russlands Krieg in der Ukraine seit dem 24. Februar 2022 wachsen die rechten und linken politischen Ränder in vielen Staaten Europas. Bei der nächsten Bundestagswahl ist deshalb mit der AfD und dem BSW zu rechnen.

Daß die AfD bis dahin koalitionsfähig wird, indem sie einen Weg wie Meloni in Italien einschlägt, ist unwahrscheinlich. Björn Höcke hat den Bundesverband der AfD bereits heute weitgehend unter informeller Kontrolle. Ihm dürfte es derzeit auch nicht so wichtig sein, wer unter ihm die Bundesvorsitzenden und die Spitzenkandidaten sind. Und vor allem liefern die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen parteiintern keine Argumente, jenen gemäßigten politischen Kurs einzuschlagen, den der ehemalige AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen jahrelang vergeblich in der AfD durchzusetzen versucht hatte. Und Meuthens Weg war bereits längst nicht mehr der Weg des Gründungsvorsitzenden der AfD Bernd Lucke und seiner ordoliberalen Professorenkollegen. Zudem scheint sich Alice Weidel spätestens im Sommer 2019 mit Höcke und dessen Spiritus Rector Götz Kubitschek vom Institut für Staatspolitik in Schnellroda verbündet zu haben, obwohl sie im Frühjahr 2017 einen Ausschlußantrag gegen Höcke wegen dessen Dresdner Rede vom Januar 2017 unterstützt hatte, wodurch sie in der AfD aber in die machtpolitische Defensive geriet. Weidels Bündnis mit Höcke hält nun schon seit fünf Jahren. Ob Weidel heute eine Emanzipation von Höcke politisch in der AfD überleben könnte, ist zumindest im Moment sehr unwahrscheinlich. Und Björn Höcke ist ideologisch fest in der Ideenwelt der sogenannten „Konservativen Revolution“ der 1920er Jahre, die nicht konservativ, sondern faschistisch war¹, sowie im Anti-Universalismus, Anti-Kapitalismus und Ethnopluralismus von Alain de Benoist² verankert und dürfte auch nicht davon abrücken.

Das heißt, daß aufgrund der anhaltenden Koalitionsunfähigkeit der AfD auch bei der nächsten Bundestagswahl der kontraintuitive Effekt eintreten wird, daß jede Stimme für die AfD die Wahrscheinlichkeit für ein Regierungsprogramm links der Mitte erhöht.

Da auf Bundesebene auch eine Koalition mit dem BSW allein schon aus außen- und sicherheitspolitischen Gründen weder von Union und FDP noch von der SPD oder den Grünen eingegangen werden kann, werden zwei Fragen relevant:

  1. Woher sollen die Stimmen für die Wahl einer neuen Bundesregierung im Bundestag herkommen?
     
  2. Entsteht eine Regierungskoalition, welche den Willen und die Kraft besitzt, das dringend für unser Land benötigte Reformprogramm zur Rettung des Standortes Deutschland durchzusetzen?
     

Zur 1. Frage:

Laut der Umfragen zur Sonntagsfrage (Stand: 5.9.2024 um 23.00 Uhr MEZ), die auf der Homepage wahlrecht.de veröffentlicht werden³, kommen CDU/CSU auf 31 bis 34 Prozent, die SPD auf 14 bis 16 Prozent, die Grünen auf 10,5 bis 13 Prozent, die FDP auf 4 bis 5 Prozent, die Linken auf 2,5 bis 3 Prozent, die AfD auf 16 bis 19 Prozent und das BSW auf 7 bis 9,5 Prozent. Wenn wir wie oben angenommen davon ausgehen, daß AfD und BSW auf Bundesebene nicht koalitionsfähig sind und aus analytischen Gründen annehmen, daß die FDP und die Linken nicht in den Bundestag kommen, dann verengt sich die Betrachtung auf CDU/CSU, SPD und Grüne. Da der CSU-Vorsitzende Markus Söder eine Regierungsbeteiligung der Grünen nach der nächsten Bundestagswahl verhindern will⁴ und wenn wir annehmen, daß er das sogar ernst meint, verbleiben CDU/CSU und SPD. Nach dem Stand der derzeitigen Umfragen und der Annahme, daß FDP und Linke nicht in den Bundestag einziehen, dürften sie die absolute Mehrheit an Sitzen im Bundestag erringen können. Wohlgemerkt: nach Stand der derzeitigen Umfragen.

Sollte die FDP in den nächsten Bundestag einziehen und sollten CDU/CSU und SPD deshalb nicht die absolute Mehrheit im Bundestag stellen, könnten sie die FDP als dritten Partner in die Bundesregierung einbinden. Sollte die FDP nicht in den Bundestag einziehen, dafür aber die Linke, und sollten dadurch CDU/CSU und SPD keine absolute Mehrheit haben, müßten die Grünen eingebunden werden, obwohl Markus Söder die eigentlich raushalten will. Falls die FDP in den Bundestag einziehen sollte, wäre theoretisch auch eine Bundesregierung aus CDU/CSU, Grünen und FDP möglich.
 

Damit zur 2. Frage:

Hätte eine neue Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD den Willen und die Kraft, das dringend notwendige Reformprogramm zur Rettung des Standortes Deutschland durchzusetzen? Das wäre nur dann der Fall, wenn erstens in CDU/CSU Merz und Linnemann ihren Wirtschaftskurs gegen die noch immer existierenden Merkelianer durchsetzen können und wenn zweitens sich die SPD in Rekordtempo zu einer neuen Agenda-Partei à la Gerhard Schröder wandelt. Die erste Bedingung könnte erfüllt werden, ist aber bereits kein Selbstläufer. Die zweite Bedingung ist mit Blick auf das derzeitige Führungspersonal der SPD – mit Ausnahme von Boris Pistorius – leider nicht sehr wahrscheinlich. In einer Palastrevolution müßte das derzeitige SPD-Führungspersonal ausgetauscht und unter Führung von Boris Pistorius vollkommen neu aufgestellt werden.

In einer neuen Bundesregierung aus CDU/CSU, SPD und FDP wären die Gewichte zwar deutlich in Richtung Reformprogramm zur Rettung des Standortes Deutschland verschoben, setzen die erforderliche Wandlung der SPD aber ebenfalls voraus.

Eine neue Bundesregierung aus CDU/CSU, SPD und Grünen wird kein Reformprogramm zur Rettung des Standortes Deutschland durchsetzen, denn dazu müßten sich die Grünen von ihrem Traum einer grünen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft verabschieden. Gleiches gilt für eine Bundesregierung aus CDU/CSU, Grünen und FDP.

Zusammengefaßt bedeutet das, daß die Chancen für ein Reformprogramm einer Bundesregierung zur Rettung des Standortes Deutschland nicht sonderlich gut stehen. Diese Chancen steigen, falls sich die Umfragen für CDU/CSU und FDP erheblich verbessern. Die Chancen sinken, falls sich der Trend zugunsten von SPD und Grünen dreht. Und die Chancen sinken auch, falls AfD und BSW gemessen am derzeitigen Stand der Umfragen zulegen sollten.

Sollte eine neue Bundesregierung kein Reformprogramm zur Rettung des Standortes Deutschland durchsetzen können, wird die Polarisierung durch Problemverschleppung mit Sicherheit AfD und BSW stärken. Selbst wenn die amtierende und eine neue Bundesregierung die Migrationsfrage endlich in den Griff bekommen sollte, dürfte ohne die Durchsetzung eines Reformprogramms zur Rettung des Standortes Deutschland die Polarisierung weiter zerstörerisch wirken. Nationalisten und Anti-Kapitalisten dürften dann weiter erfolgreich sein. Nur wenn die Problemverschleppungen in vielen Bereichen unserer Volkswirtschaft beendet und nur wenn die Rettung des Standortes Deutschland gelingt, besteht die Chance, diese Entwicklung umzudrehen. Dazu muß die ökonomische Lage unseres Landes und breiter Bevölkerungsschichten verbessert werden, was nur durch neues und echtes Wirtschaftswachstum möglich ist, nicht durch weitere Sozialleistungen, Umverteilung und Subventionen. Neues und echtes Wirtschaftswachstum ist auch nicht durch einen Abschied aus der Weltwirtschaft möglich.

Vielleicht gibt es in Deutschland ja noch Parteien der Mitte, die den Mut haben, in einem Wahlkampf mit offenem Ausgang für diese Anliegen zu streiten, und welche die Zuversicht fassen, daß sich durch diese Anliegen Umfragen verändern können. Wer sich anhand der derzeitigen Umfragen auszurechnen versucht, welche Posten ihm wie lange erhalten bleiben, versündigt sich nicht nur an unserem Land, sondern wird als strategischer Rohrkrepierer enden. Nationalisten und Anti-Kapitalisten feiern dann fröhliche Urständ⁵.


¹ Siehe Armin Mohler: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Ein Handbuch, 4. Auflage, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1994. Daß die „Konservative Revolution“ von 1918 bis 1932 nicht konservativ, sondern faschistisch war, hat Armin Mohler unter anderem in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung vom 25./26. November 1995 selbst ausgeführt: "Faschismus ist für mich, wenn enttäuschte Liberale und enttäuschte Sozialisten sich zu etwas Neuem zusammenfinden. Daraus entsteht, was man Konservative Revolution nennt."

² Ethnopluralisten wollen nicht wie Rassisten andere Kulturen vernichten, sondern wollen Kulturen erhalten. Jede Kultur erhalte ihre identitätsbildende Eigenart aber nur, wenn sich die Kulturen nicht vermischen würden. Die Identität der einzelnen Men­schen werde maßgeblich durch die Kollektive ethnischer, religiöser und kultureller Prä­gung erzeugt. Da jede individuelle Tätigkeit eine Teilnahme am Leben eines Volkes und einer Kultur darstelle, komme dem Interesse des einzelnen Menschen an sich keine Wertschätzung zu. Siehe dazu Alain de Benoist: Kulturrevolution von rechts. Gramsci und die Nouvelle Droite, Krefeld (Sinus) 1985, S. 133. Deshalb lehnt Benoist sowohl den Liberalismus als auch das „Ju­däo-Christentum“ und damit die Menschenrechte als universalistisch ab. Für Benoist ist die Globalisierung die Folge des Liberalismus. Die globale Entfesselung des Kapitals ziele auf die Zerstörung der Völker und Kulturen der Welt. Der Haupttrei­ber dieser Entwicklungen seien die USA. Durch diese Vorstellungen von Benoist erklären sich auch der verbreitete Anti-Amerikanismus und die unkritische Russlandfreundlichkeit dieser politischen Bewegungen. Festzuhalten ist, daß Anti-Globalisierung, Anti-Kapitalismus und Anti-Universalismus in diesem Denken zu­sammengehören: „In Verbindung mit der Expansion der Märkte dient die Rhetorik der Menschenrechte als ideologische Verkleidung der Globalisie­rung“ (Alain de Benoist: Kritik der Menschenrechte. Warum Universalismus und Globalisierung die Frei­heit bedrohen, Berlin (Edition JF) 2004, S. 10).

³ Siehe www.wahlrecht.de/umfragen/

⁴ Siehe www.spiegel.de/politik/deutschland/markus-soeder-will-schwarz-gruene-bundesregierung-verhindern-a-f69e3208-a5ee-47d1-926a-9c4f7c2e5c13

⁵ Siehe Norbert F. Tofall und Thomas Mayer: Integristen und Identitäre. Anti-Globalisierung und Anti-Kapitalismus auf dem Vormarsch, Kommentar zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 12. Februar 2017, online: www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/studien/integristen-und-identitaere/

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