07.11.2024 - Kommentare

„Der 6. November“

von Norbert F. Tofall


Der 6. November 2024 hat das Zeug, als historischer Tag für die Bundesrepublik Deutschland in die Geschichte einzugehen. Am 6. November erfuhren die Deutschen am frühen Vormittag, daß in den USA der Volkstribun Donald Trump erneut an die Macht kommen wird. Am Abend zerbrach dann in Deutschland die Ampelregierung. Für beide Kontinente und für ihr Verhältnis zueinander bringen die Ereignisse des 6. November eine Zäsur: MAGA (Make America Great Again) trifft auf MESS (Make Europe Still Smaller).

Trump ist zurück - wird er Amerika wirklich wieder groß machen?

Am 5. November 2024 haben die USA einen neuen Präsidenten, das gesamte Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats neugewählt. Bei der Präsidentenwahl hat Donald Trump sowohl die meisten Stimmen beim Popular Vote erhalten als auch die entscheidende Mehrheit an Wahlleuten im Electoral College. Ab dem 20. Januar 2025 wird Trump zurück an der Macht sein. Im Senat hat und auch im Repräsentantenhaus (Stand: 7.11.2024 um 6.00 Uhr MEZ) dürfte die Republikanische Partei die Mehrheit errungen haben. Da Donald Trump in den letzten drei Jahren die Republikanische Partei mehr unter Kontrolle hatte als während seiner ersten Amtszeit von 2017 bis 2021 und es sehr unwahrscheinlich ist, daß er diese Kontrolle jetzt verlieren könnte, dürfte Trump bis auf weiteres kein machtpolitisch relevanter Widerstand aus seiner eigenen Partei erwachsen. Er wird, weil jetzt viele Ämter und Posten zu vergeben sind, die Kontrolle über die Republikanische Partei sogar noch weiter ausbauen. Voraussichtlich können ihm lediglich die Gerichte Grenzen setzen – und darunter auch einige jener obersten Richter, die Trump zwar in seiner ersten Amtszeit selbst ernannt hat, die sich aber primär Recht und Gesetz verpflichtet fühlen.

Die Finanzmärkte und allen voran die Wall Street, die schon vor Monaten ihren Frieden mit Donald Trump geschlossen hatte, haben auf die Wahlergebnisse entsprechend reagiert. Eine Verlängerung der Ende 2025 auslaufenden Einkommensteuer-Minderung ist wahrscheinlich. Darüber hinaus dürfte eine Senkung der Körperschaftssteuer von 21 Prozent auf 15 bis 16 Prozentpunkte im Kongress durchsetzbar sein, ebenso wie weitgehende Deregulierungen in der Umwelt- und Klimapolitik. Trump will wie bei der Steuerreform von 2017 die geplanten Steuersenkungen nicht gegenfinanzieren. Wenn das wirklich der Fall sein sollte, dürfte die US-Staatsverschuldung, die sich bereits auf Rekordniveau befindet, weiter ansteigen. Inwieweit Vorschläge zur Senkung der Staatsausgaben, die unter anderem Elon Musk und andere Trump unterstützende Milliardäre erst noch ausarbeiten sollen, zeitnah umgesetzt werden können und ob diese Ausgabensenkungen dann zur Gegenfinanzierung ausreichen, ist vollkommen offen. Ob die illegale Migration auf Dauer wirksam durch massenhafte Ausweisungen begrenzt werden kann, bleibt abzuwarten. Trump hatte bereits in seinem Wahlkampf 2016 angekündigt, 11 Millionen illegale Einwanderer auszuweisen, was nicht ansatzweise erreicht wurde. Trumps Zollpolitik soll heimische Unternehmen schützen und ausländische Unternehmer dazu bewegen, Produktionsstätten in den USA zu errichten und vielleicht sogar ihren Firmensitz in die USA zu verlegen.

Doch wird Donald Trump mit all diesen und anderen Vorhaben Amerika wirklich wieder groß machen? Oder entfacht Trump ein gewaltiges Strohfeuer, das durchaus eine Zeitlang wärmen kann? Das Bedienen von Sonderinteressen seiner prominenten Günstlinge, die nicht mit der Gesamtheit der US-amerikanischen Wirtschaft verwechselt werden sollten, hat mit Wohlstand für alle im Sinne von Ludwig Erhard nichts zu tun.

Bereits Trumps Protektionismus und seine Zollpolitik aus seiner ersten Amtszeit wirkten in den USA nicht wohlstandssteigernd. Wie der Ideengeber dieser Zollpolitik in einer empirischen Evaluationsstudie selbstkritisch festgestellt hat, führten Trumps Handelspolitik in den betroffenen US-amerikanischen Regionen nicht zu ökonomischen Verbesserungen.1

Die Fed wird eine solche Entwicklung bei ihren Zinsentscheidungen auf Dauer nicht ignorieren können. Eine sich verstetigende oder sogar höhere Inflation bedeutet tendenziell höhere Zinsen. Und da die Staatsverschuldung in den USA auf Rekordniveau angestiegen ist und nach Prognosen des IWF vermutlich weiter steigen wird, bedeuten höhere Zinsen eine höhere Zinslast im Staatshaushalt, was die Ausgabemöglichkeiten des Staates beschränkt. Und ganz allgemein wird durch eine abermals sich erhöhende Staatsverschuldung nicht nur das fiskalische, sondern auch das geldpolitische System der USA weiter unter Druck gesetzt. Wenn Trump seinen Äußerungen aus dem Wahlkampf, daß der Präsident bei der Geldpolitik das entscheidende Wort haben sollte, Taten folgen läßt und die Unabhängigkeit Fed beschädigen sollte, dürfte der Druck auf das monetäre System zusätzlich anwachsen.

Eine echte und nachhaltige wirtschaftspolitische Wende, die diesen Namen verdient, müßte die beiden Hauptprobleme der US-amerikanischen Volkswirtschaft, die auch die Hauptprobleme der europäischen Volkswirtschaften darstellen, lösen:

“The United States is not far behind Europe on its fiscal trajectory to default… We have two bad systems: the fiscal and the monetary. They are intertwined now as they were in the 18th and 19th centuries. They must be reformed, or together they will destroy the economic system that sustains them.2

Donald Trump und die heutige Republikanische Partei ignorieren – anders als vor über 10 Jahre einige Tea-Party-Aktivisten wie Ron und Rand Paul – die Reformbedürftigkeit des fiskalischen und des geldpolitischen Systems der USA, obwohl gerade in diesen reformbedürftigen Systemen die Hauptursachen für verschleppte Strukturanpassungen einerseits und die steigende Ungleichheit in den USA anderseits zu finden sind.

Trump will mindestens 100 000 Personen in Exekutive und Justiz austauschen und jeden, der sich ihm bisher in den Weg gestellt hat. Der Deep State müsse vernichtet werden, weil der ihm den Wahlsieg 2020 gestohlen und bereits vorher den Erfolg seiner ersten Amtszeit hintertrieben habe. Niemand weiß, wie weit Donald Trump hier gehen wird. Es besteht aber auf jeden Fall die Gefahr, daß die Checks-and-Balances verletzt werden könnten und insbesondere die Unabhängigkeit der Justiz.

Derartige politische Struktur- und Gewaltenteilungsfragen zeitigen mittel- bis langfristig jedoch immer ökonomische Folgen. Trumps Protektionismus und seine Vorliebe, komplexe Systeme durch Befehle und Anordnungen steuern zu wollen, lassen bereits vermuten, daß sich unter Trump eine ausgeprägte Günstlingswirtschaft etablieren dürfte. Die Ansätze waren bereits in seiner ersten Amtszeit zu erkennen. Wie so etwas vor sich geht, konnte in den letzten Jahren in Ungarn beobachtet werden. Sollte Trumps Ankündigung, den Deep State zu vernichten, zu einer Beschädigung der Checks-and-Balances und zu einer Aushebelung der Unabhängigkeit der Gerichte führen, dann sind dem Ausbau einer ausgeprägten Günstlingswirtschaft Tür und Tor geöffnet.

Wie jedoch mit einer ausgeprägten Günstlingswirtschaft Wohlstand für alle geschaffen und Amerika wieder groß gemacht werden soll, bleibt das Geheimnis von Donald Trump und seiner ihm demütig ergebenen Grand Old Party. Ronald Reagan wird sich im Grabe umdrehen…

Die Ampel ist endlich vorbei

Bundeskanzler Olaf Scholz hat Bundesfinanzminister Christian Lindner entlassen und in einer öffentlichen Erklärung die Schuld für das Scheitern der Ampel Christian Lindner zugeschoben. Damit wird Olaf Scholz nicht durchkommen. Die Fehler von Olaf Scholz und Robert Habeck liegen offen zu Tage. Die deutsche Wirtschaft geht immer weiter in die Knie und Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck sind nicht bereit, die notwendigen Priorisierungen im Bundeshaushalt und wirksame Änderungen in der Wirtschafts- und der Klimapolitik vorzunehmen. Der Fehler von Christian Lindner besteht nicht darin, ein Forderungspaper für klare Priorisierungen im Bundeshaushalt und für eine Wirtschaftswende vorgelegt zu haben, die Deutschland dringend braucht.3 Der Fehler von Christian Lindner besteht darin, dieses Papier nicht bereits im Sommer 2023 vorgelegt zu haben. Aber besser spät als nie.

Wie geht es jetzt weiter? Olaf Scholz wird versuchen, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die Verabschiedung eines Bundeshaushalts für das nächste Jahr oder zumindest für weitgehende vorübergehende Maßnahmen zu gewinnen. Ob und unter welchen Bedingungen sich Oppositionsführer Friedrich Merz darauf einlassen wird, werden die nächsten Tage zeigen. Das Angebot von Olaf Scholz ist vergiftet. Denn Friedrich Merz hat die Forderungen von Christian Lindner als richtig und notwendig bewertet. Stimmt er jetzt dem Bundeshaushalt einer Minderheitsregierung von Scholz und Habeck zu, die zur Minderheitsregierung geworden ist, weil sie die Forderungen von Christian Lindner und der FDP vehement ablehnt, hat er ein Glaubwürdigkeitsproblem bei der nächsten Bundestagswahl.

Olaf Scholz hat angekündigt erst Anfang Januar die Vertrauensfrage im Bundestag zu stellen, über die am 15. Januar 2025 abgestimmt werden soll. Wieso stellt er nicht jetzt die Vertrauensfrage, so daß Anfang Januar ein neuer Bundestag gewählt werden kann, der dann anschließend einen Bundeshaushalt für 2025 beschließt? Olaf Scholz gibt vor, aus staatspolitischer Verantwortung zu handeln, will aber wohl Fakten schaffen. Vermutlich wird er versuchen, Friedrich Merz für die Aussetzung der Schuldenbremse zu gewinnen. Und wenn die CDU/CSU durch einen solchen Deal mit Scholz und Habeck an Glaubwürdigkeit und damit Wählerstimmen verliert, könnte die SPD nach einer Wahl Ende März deutlich besser dastehen als jetzt. Dieses Agieren von Olaf Scholz und vermutlich auch von Robert Habeck zeigt, woran die Ampel wirklich gescheitert ist.

Die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland werden bei der nächsten Bundestagswahl die Wahl haben, ob sie den Standort Deutschland retten wollen oder nicht. Allein deshalb ist zu hoffen, daß Friedrich Merz und die Unions-Bundestagsfraktion jetzt Olaf Scholz nicht auf den Leim gehen. Klare Politikprogramme sind jetzt notwendig. Wenn die Wähler trotzdem ihr Kreuz bei BSW und AfD machen, dann wird der Standort Deutschland weiter in die Knie gehen.

Da die AfD weiterhin wegen Höcke und Co koalitionsunfähig ist, dürfte ohnehin ein Regierungsprogramm links der Mitte erneut wahrscheinlich sein. Die Frage ist jedoch, wie weit links von der Mitte es diesmal wird. Da Christian Lindner mit seinen richtigen Forderungen zu lange gewartet hat, ist auch fraglich, ob die FDP wieder in den Bundestag einziehen wird. Angesichts der ökonomischen Probleme und politischen Herausforderungen wäre ein Weiterregieren der derzeitigen Ampel aber nicht zu verantworten.

Jetzt besteht die Chance, daß durch Neuwahlen eine Wirtschaftswende ermöglicht wird. Dafür darf die Union nicht wackeln und sich nicht einseifen lassen. Aber am allerwichtigsten ist, daß die Bürger eine Wirtschaftswende selbst wollen und entsprechend wählen. Falls nicht, wird der Standort Deutschland weiter vor die Hunde gehen.

MAGA und MESS

Während in den USA eine stabile Regierung entstehen dürfte, weicht der Kern der EU weiter auf. Nach Frankreich hat nun auch Deutschland eine Minderheitsregierung auf Abruf. Kurzfristig verringert dies sicher das geopolitische Gewicht Europas. Ob der Gewichtsverlust langfristig andauert, hängt vor allem davon ab, ob es in Deutschland gelingt, eine neue Regierung zu wählen, die zur Durchführung längst überfälliger umfangreicher Reformen in der Lage ist.


1 Siehe David Autor, Anne Beck, David Dorn and Gordan H. Hanson: Help for the Heartland? The Employment and Electoral Effects of the Trump Tariffs in the United Staates, Working Paper 32082, National Bureau of Economic Research, January 2024, online: https://www.nber.org/papers/w32082

2 Gerald P. O’Driscoll: Central Banks: Reform or Abolish? Cato Working Paper, October 15, 2012, S. 29 – 30.

3 https://www.fdp.de/sites/default/files/2024-11/wirtschaftswende-deutschland.pdf

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