27.08.2024 - Kommentare

Bühnennebel über der Wirtschaftspolitik von Trump und Harris

von Agnieszka Gehringer, Thomas Mayer


Oft wird in Wahlkämpfen viel versprochen und wenig gehalten. Im jetzt beginnenden Wahlkampf von Kamala Harris und Donald Trump um das Weiße Haus sind sogar die Versprechungen vage. Man hört zwar viel Theaterdonner, aber die wirtschaftspolitischen Absichten erscheinen allenfalls verschwommen hinter dichten Schwaden von Bühnennebel. Unter Strich ist gegenwärtig nur eines klar: Weder Harris noch Trump planen eine Rückkehr zu stabilen Staatsfinanzen (Grafik 1). Sie scheinen davon auszugehen, dass die globalen Finanzmärkte jede neue Emission von US-Staatsanleihen willig schlucken werden, stellen diese Anleihen doch das ultimative „safe asset“ für alle Investoren dar.

Dabei blenden beide Kandidaten aus, dass ein Überangebot auch ein „safe“ zu einem „unsafe asset“ machen könnte. So stieg während der Amtszeit von Bill Clinton die Rendite auf zehnjährige US-Staatsanleihen von 5,2 Prozent im Oktober 1993 auf gut 8,0 Prozent im November 1994 – und zwar aus Furcht, die Staatsfinanzen würden aus dem Ruder laufen (Grafik 2). Die Verkäufer der Anleihen, die ein bitteres Ende für die US-Staatsfinanzen und ein Anstieg der Inflation prognostizierten, nannte man „Bond Vigilantes“. Die Episode ging als das „Great Bond Massacre“ in die Geschichte ein.

James Carville, der politische Berater von Clinton, bekannte im Juni 1994, als die Rendite bereits 7 Prozent überschritten hatte: „Ich dachte immer, wenn es eine Reinkarnation gäbe, wollte ich als Präsident oder Papst oder als Baseballspieler mit einer Trefferquote von 400 wiederkommen. Aber jetzt würde ich gerne als Anleihenmarkt zurückkommen. Man kann jeden einschüchtern.“1  Auf Drängen von Finanzminister Robert Rubin ergriffen die Clinton-Regierung und der Kongress schließlich Maßnahmen zur Verringerung des Defizits - und die 10-jährigen Renditen fielen bis November 1998 auf etwa 4 Prozent. Wer auch immer nächstes Jahr ins Weiße Haus einziehen wird, könnte es bald wieder mit den Bond Vigilantes zu tun bekommen, sollten die fiskalpolitischen Manöver der neuen Administration zur Ausweitung der Staatsdefizite führen.

Trump 2.0

Es ist ungewiss, ob ein konkretes, wirtschaftspolitisches Wahlprogramm von Donald Trump noch bekannt gegeben wird, oder ob es sich am Ende aus den Puzzleteilen seiner Wahlauftritte ergeben wird. Neben anderen – manchmal verschwommenen – Ideen, die Donald Trump bisher ausgesprochen hat, plädiert er dafür, die auslaufenden Maßnahmen des Tax Cuts and Jobs Act (TCJA) von 2017 zu verlängern und den Körperschaftssteuersatz von aktuell 21 Prozent weiter auf 15 Prozent zu senken (Grafik 3, Tabelle 1).2 Außerdem hat er die US-Notenbank kritisiert, weil "sie sich oft geirrt hat und [Fed Präsident Powell] dazu neigt, etwas zu spät zu handeln. Er kommt ein bisschen zu früh und ein bisschen zu spät und, wissen Sie, das ist größtenteils ein Bauchgefühl (...)".3 Direkt wird Trump die Fed wohl nicht steuern können, aber er könnte bei der nächsten Gelegenheit - im Jahr 2026 - ein neues, ihm gefügiges Mitglied des Open Market Committee ernennen und 2028 Jerome Powell durch einen ihm ergebenen Vorsitzenden ersetzen. Dazu wären allerdings Bestätigungen durch den Senat nötig, der in der Vergangenheit zwei von Trumps vier Nominierungen blockiert hat.

Trump verspricht, seinen Kampf gegen Zuwanderung mit der "größten Abschiebeaktion der amerikanischen Geschichte" fortzusetzen.4 Doch dürften logistische und rechtliche Hürden eine solche Aktion enorm schwierig machen. Außerdem scheint (zum Teil illegale) Zuwanderung für Entspannung auf dem unter Arbeitskräfteknappheit leidenden Arbeitsmarkt gesorgt und den Inflationsdruck verringert zu haben.5 Dies würde sich bei einer entschiedenen Bekämpfung der Zuwanderung wieder umkehren – was Trump aber wohl abstreiten würde.

Trumps Steckenpferd ist die Handelspolitik. Er verspricht einen 10-prozentigen universellen Basis-Zoll auf alle und 60 Prozent auf Einfuhren aus China. Obwohl unter normalen Umständen die Einführung von Zöllen der Zustimmung des Kongresses bedarf, verfügt der Präsident im Rahmen der Handelsgesetze über einige Befugnisse. Er kann gemäß Abschnitt 232 des Trade Expansion Act von 1962 einen nationalen Sicherheitsnotstand ausrufen, sich gemäß Abschnitt 301 des Trade Act von 1974 auf unfaire Handelspraktiken berufen oder gemäß Abschnitt 201 desselben Trade Act eine Schädigung der heimischen Industrie geltend machen. Diese Befugnisse – und die Feindschaft gegen China – machen Zölle zur beliebtesten wirtschaftspolitischen Maßnahme Trumps.

In der Vergangenheit hat Trump nicht gezögert, den Kongress zu umgehen. Er hat alle drei Regelungen genutzt, um zahlreiche Zollmaßnahmen zu ergreifen. Doch könnten als Folge von höheren Zöllen die Inflation und Zinsen wieder steigen und die Wirtschaft in eine Rezession fallen. Ob dies Trump beeindrucken würde, ist aber zweifelhaft. Wahrscheinlich würde er einen Zusammenhang einfach abstreiten.

Tabelle 1. Trumps Kernpolitik für eine Wiederwahl

Trump 2.0

Wichtigste wirtschaftliche Folgen

Hürden

Verlängerung der Steuersenkungen von 2017, Körperschaftssteuersatz von 21% auf 15%

Anhaltende Haushaltsdefizite

Wachstumsimpuls

Inflationärer Druck

Keine überparteiliche Einigung im Kongress

Änderungen in der Geldpolitik der Federal Reserve

Monetäre Finanzierung von Haushaltsdefiziten

Inflationärer Druck

Rechtliche Grenzen für die Änderung der Zusammensetzung des Federal Reserve Board

Begrenzung der Masseneinwanderung

Engpässe beim Arbeitskräfteangebot

Inflationärer Druck

Logistische und rechtliche Hürden

Protektionismus 2.0

Konjunkturabschwächung

Kurzfristige Aufwertung des US-Dollars, langfristige Abwertung

Inflationärer Druck

Keine besonderen Hindernisse

Quelle: Flossbach von Storch Research Institute

 

 

Harris 1.0

Sind Trumps wirtschaftspolitische Vorstellung schon reichlich inkohärent, so sind die von Kamala Harris völlig nebulös (Tabelle 2). In einer ersten programmatischen Rede hat sie am 16. August betont, dass es ihr in erster Linie um die „Mittelklasse“ geht, der sie in einer „Wirtschaft der Möglichkeiten“ „wirtschaftliche Sicherheit, Stabilität und Würde“ verschaffen will. Dazu sollen die Bürokratie und unnötige Regulierungen zurückgeschnitten und – mit Blick auf die größte Sorge vieler Wähler – die „Preistreiberei“ bei Nahrungsmittel und Medikamenten gebannt werden (Tabelle 2). Offen bleibt jedoch, inwieweit dies durch staatliche Preiskontrollen oder Stärkung des Wettbewerbs geschehen soll.

Millionen Amerikanern soll ihre Verschuldung wegen Krankheit erlassen werden. Die Wohnungsknappheit will sie durch den Bau von drei Millionen neuer Häuser während ihrer ersten Amtszeit bekämpfen. Gleichzeitig aber sollen „künstlich hohe Mieten“ gesetzlich verboten und der Ersterwerb von Eigenheimen mit 25.000 US-Dollar subventioniert werden. Die Subvention könnten einen Aufwärtsdruck auf die Immobilienpreise bewirken (wenn das Angebot nicht der Nachfrage entsprechend steigt) und die Mietkontrollen den Wohnungsmangel verschärfen, statt zu mindern (wenn dadurch der Mietwohnungsbau gedrückt wird).

Außerdem will Harris die Steuergutschrift für Arbeitseinkommen („earned income tax credit“) und Kindersteuergutschrift („child tax credit“) wieder einführen, und sicherstellen, dass Familien 6.000 US-Dollar an Steuererleichterungen im ersten Lebensjahr eines Kindes und 3.600 US-Dollar p.a. danach bekommen. Zwar will sie die Körperschaftssteuer von 21 auf 28 Prozent erhöhen, aber ob dadurch mehr Steuereinnahmen erzielt werden, ist aufgrund vergangener Erfahrungen zweifelhaft.

Bei all den von Harris ins Auge gefassten Maßnahmen bleibt die Finanzierungsfrage weitgehend ungeklärt. Sollten sie kreditfinanziert werden, dürften höhere Staatsdefizite folgen und die jetzt schon enorm hohe Staatsverschuldung weiter steigen. Unklar ist außerdem, ob Harris die protektionistische Subventionspolitik von Joe Biden fortführen will, deren Ziele eine „grüne Transformation“ und Schutz der US-Wirtschaft vor internationaler Konkurrenz waren.

Vor allem aber lassen Harris bisher geäußerten wirtschaftspolitischen Absichten erkennen, dass sie eine Trump ähnliche populistische Taktik einer die US-Wirtschaft stärkenden Strategie vorzuziehen scheint. Die bisherigen Äußerungen lassen allenfalls hoffen, dass Harris einen etwas weniger populistischen Kurs einschlagen will als Trump ihn in seiner ersten Amtszeit praktiziert hat und in der zweiten fortsetzen will.

 

 

Tabelle 2. Harris nebulöse wirtschaftspolitische Agenda

Harris 1.0

Wichtigste wirtschaftliche Folgen

Hürden

Abbau von Bürokratie und unnötigen Regulierungen

Stärkung der Produktivität

Widerstand von Bundesstaaten, Kommunen und Interessengruppen

Bann von „Preistreiberei“ bei Nahrungsmitteln und Medikamenten

Fehlallokation,

Minderung der Produktivität,

Unterversorgung

Umsetzung administrativ unklar

Erlass von Verschuldung wegen Krankheit

Stimulierung des Konsums

Inflationärer Druck

Finanzierung

Bau von drei Millionen neuen Häusern

Stimulierung von Bauinvestitionen

Baupreisinflation

Finanzierung, administrative Umsetzung

„Künstlich hohe Mieten“ gesetzlich verbieten

Fehlallokation,

Minderung der Produktivität,

Unterversorgung mit Mietwohnungen

Umsetzung administrativ unklar

Ersterwerb von Eigenheimen mit 25.000 US-Dollar subventionieren

Stärkung der Baunachfrage

Inflationärer Druck im Immobiliensektor

Finanzierung

Keine Steuer auf Trinkgelder

Niedrigere reguläre Löhne für Trinkgeldempfänger

Keine überparteiliche Einigung im Kongress

Earned income tax credit

Stimulierung des Konsums

Inflationärer Druck

Finanzierung

Child tax credit

Stimulierung des Konsums

Inflationärer Druck

Finanzierung

6.000 US-Dollar an Steuererleichterungen für Familien im ersten Lebensjahr eines Kindes und 3.600 USD p.a. danach

Stimulierung des Konsums

Inflationärer Druck

 

Finanzierung

 

Anhebung der Körperschaftssteuer von 21 auf 28 Prozent

Schmälerung der Unternehmensgewinne, Rückgang der Aktienpreise und möglicherweise der Investitionen

Keine überparteiliche Einigung im Kongress

Quelle: Flossbach von Storch Research Institute

Fazit

Die recht vagen Wahlversprechen beider Kandidaten könnten sowohl positive als auch negative wirtschaftliche Anreize setzen. Aber die Umsetzung der Versprechen ist (bis auf Trumps Zollpolitik) offen. Denn bestehende Gesetze und Verordnungen sowie die Gewaltenteilung zwischen Regierung und Kongress schränken den Spielraum jedes Präsidenten ein. Diese Einschränkung würde geringer, wenn der siegreiche Kandidat auch die Mehrheit sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat gewinnen würde. Das ist jedoch recht unwahrscheinlich.6

Während Kamala Harris eine Politikerin herkömmlicher Art ist, hat Donald Trump oft bewiesen, dass er zu unorthodoxem Verhalten fähig und seine Ansichten sprunghaft und unberechenbar sein können. Bei Trump dürfte der Mangel an Klarheit des wirtschaftspolitischen Kurses seiner impulsiven Natur und Abneigung auf jegliche Festlegung entsprechen, bei Harris könnte es Berechnung sein, um im Wahlkampf Angriffsflächen zu minimieren und durch Wahlgeschenke Wählerstimmen zu gewinnen. Die Unberechenbarkeit eines erneuten Präsidenten Trump könnte sich als Belastung sowohl für die US-Wirtschaft als auch für die Beziehungen der USA zum Ausland erweisen, während Präsidentin Harris größere Stabilität und Kontinuität in der Innen- und Außenpolitik versprechen würde.

Beide Kandidaten lassen ein durchdachtes wirtschaftspolitisches Konzept vermissen und greifen stattdessen bei verschiedenen Wählergruppen populäre Einzelmaßnahmen auf, von denen sie sich Wählerstimmen erhoffen. Nötig wären dagegen ordnungspolitische Maßnahmen auf den Gebieten der Steuer-, Umwelt-, und Sozialpolitik, die zu einer Konsolidierung der Staatsfinanzen führen. Außerdem sollte sich die nächste US-Regierung für eine Rückkehr zu einer liberalen globalen Handelspolitik stark machen, statt den um sich greifenden globalen Handelsprotektionismus zu fördern. Von all dem ist jedoch weder bei Harris noch Trump etwas zu finden.

Möglicherweise ist die US-Wirtschaft robust genug, um eine planlose und populistische Wirtschaftspolitik zu verkraften. Aber die von beiden Kandidaten für die globalen Finanzmärkte ausgehende größte Gefahr ist, dass weder Trump noch Harris die leiseste Absicht erkennen lassen, die ausufernde Staatsverschuldung einzudämmen. Die Bond Vigilantes könnten ein Come-back erleben.

 


„Ideas & Trends: The Bondholders Are Winning; Why America Won’t Boom”, Louis Uchitelle, The New York Times, 12. Juni 1994.

2 Die Senkung der Körperschaftssteuer auf 21 Prozent wurde als eine dauerhafte Maßnahme ergriffen, aber ein Großteil des restlichen TCJA-Gesetzes, einschließlich der Senkung der Einkommenssteuer für Privatpersonen, ist befristet und läuft Ende 2025 aus.

Äußerungen während der Pressekonferenz in Mar-a-Lago, 8. August 2024.

4 Dies ist die Nummer zwei auf der Liste der Versprechen in der offiziellen Plattform der Republikanischen Partei "The American Presidency Project", abrufbar unter: https://www.presidency.ucsb.edu/documents/2024-republican-party-platform und in der offiziellen Plattform von Donald Trump. Das Versprechen wurde von Donald Trump wiederholt in seinen Wahlkampfreden verwendet.

5 Siehe Cohen, E., und Shampine, S. (2022). Immigration shortfall may be a headwind for labor supply.  Federal Reserve Bank of Kansas City, Economic Bulletin.

6 Siehe Tofall N.F. (2024). Die Situation in den USA Teil I: Checks and Balances oder tiefer Staat? Inwieweit könnten bürgerkriegsähnliche Zustände oder Faschismus in den USA drohen? Flossbach von Storch Forschungsinstitut, Kommentar 09.02.2024.

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